
Das Ziel ist groß. Sehr groß. Doch man nimmt ihr ab, dass es ihr damit ernst ist. „Agaplesion soll der beste Arbeitgeber im Bereich Healthcare sein“, sagt Constance von Struensee. Seit Juli 2021 bestimmt sie den Weg zum Ziel entscheidend mit.
Die 50-Jährige ist Vorständin Personal (CHRO) bei dem Gesundheitskonzern, der zu Deutschlands größten konfessionellen Krankenhausträgern zählt, und sie hat ein klares Bild für die nächsten Jahre: mehr Familienfreundlichkeit, Fokus auf die Frauenförderung, klare Werte, nach denen alle handeln, Führungskräfte, die vor allem aufmerksam agieren – und eine Personalpolitik, die sie genau dazu befähigt, sie unterstützt und ihnen praxistaugliche Konzepte liefert.
Krebstherapie statt Vorstandsarbeit
Dass offenbar jetzt schon vieles stimmt im Agaplesion-Kosmos, hat sie selbst schnell erfahren. Nahezu parallel zu ihrem Start auf der neuen Position in Frankfurt am Main erhielt von Struensee eine Krebsdiagnose. Brustkrebs. Statt mit den erwarteten Vorstandsaufgaben begann sie mit der Therapie und lernte ihren neuen Arbeitgeber auch gleich als Patientin kennen. Ein halbes Jahr unterzog sie sich den Behandlungen. Seit Januar 2022 gilt sie offiziell als genesen. „Meine Kunstpause“, nennt sie die Zeit heute.
Da drüben habe ich gelegen.
Die Krankheit habe ihr auch nähergebracht, wie intensiv die Arbeit der Pflegekräfte ist. „Ich habe im eigenen Haus die Menschen beobachtet, die für mich sorgten – und das machen sie heute noch.“ Die Station, auf der sie behandelt wurde, kann von Struensee sehen, wenn sie aus ihrem Bürofenster schaut. „Da drüben habe ich gelegen“, sagt sie, und die regelmäßigen Termine im Brustzentrum stehen weiter in ihrem Kalender.
Die Patientenreise, die der Konzern abbildet – von Struensee hat ihre ganz eigene erlebt. Die Frage, ob schon ausreichend auf die verschiedenen Bedürfnisse eingegangen wird, kann sie umso besser nachvollziehen. Wie sollten Diagnosen erklärt werden? Was brauchen ältere Patienten? Wie schmeckt das Essen? Gibt es genug Privatsphäre? Vieles davon hat sie selbst beschäftigt.
Agaplesion – der Konzern
Agaplesion zählt zu den größten Gesundheitskonzernen in Deutschland. Zu der 2002 gegründeten gemeinnützigen Aktiengesellschaft gehören bundesweit mehr als 100 Einrichtungen, unter anderem 22 Krankenhausstandorte mit insgesamt 6433 Betten, 40 Wohn- und Pflegeeinrichtungen mit 3562 Plätzen, vier Hospize sowie 36 Medizinische Versorgungszentren, sieben Ambulante Pflegedienste und eine Fortbildungsakademie.
Die Umsatzerlöse aller Einrichtungen inklusive aller Beteiligungen liegen bei rund 1,7 Milliarden Euro. Aktionäre des Unternehmens, das mehr als 22 000 Beschäftigte hat, sind verschiedene Diakoniewerke und Kirchen.
Der Name Agaplesion leitet sich aus dem altgriechischen „agapéseis tòn plesíon“ her („Liebe den Nächsten“, nach Markus-Evangelium, Kapitel 12, Verse 30-31).
Die Frage, ob die Krankheit sie verändert habe, verneint sie – schnell und bestimmt. Doch in den Monaten der Therapie habe sie erkannt, wie verständnisvoll ihr Arbeitgeber sei, „und dass er es ernst meint mit mir“, sagt von Struensee. Vorstand, Aufsichtsrat und Team hätten ganz selbstverständlich unterstützend und verständnisvoll reagiert. Von ihnen habe sie gelebte Nächstenliebe, Wertschätzung und Fürsorge erfahren, betont die Managerin.
Mittlerweile steht längst ihr Vorstandsamt im Mittelpunkt. Sie liebe das Personalwesen, sagt von Struensee: „Ich brenne dafür und mag die Themen.“ Und das, was sie selbst erlebt hat, trägt sie als Botschaft umso stärker ins Unternehmen: Der Konzern ist für die Beschäftigten da – dafür steht sie.
Sie kennt alle Personalleitungen – man duzt sich
In den zurückliegenden Monaten hat von Struensee fast alle Einrichtungen des Konzerns besucht. Mehr als 100 sind das, wohlgemerkt, sie war dafür lange und viel unterwegs. Sie will nah dran sein an der Organisation, will die Belange der Mitarbeitenden im Fokus haben und wissen, was sie beschäftigt. „HR ist ein People Business“, sagt sie: „Die Menschen wollen in einem guten Umfeld arbeiten und gesehen werden.“ Achtsam sein, zeigen, dass sie die Leute wirklich hören will – das macht sie aus.
Ich weiß recht gut, wo jemand gerade steht, und kann das einordnen.
Heute kenne sie alle Personalleitungen in den Einrichtungen, sagt sie. Man duzt sich. Die jeweilige Bestandsanalyse hat sie mit allen selbst gemacht, gemeinsam haben sie die nächsten Schritte festgelegt. Sie will die Hintergründe kennen, will wissen, wie alles organisiert ist, warum etwas noch nicht umgesetzt wurde.
Dazu gehöre auch, ein Gespür für die persönliche Situation ihrer Mitarbeitenden entwickeln zu wollen, betont sie. Zum Beispiel wenn daheim kleine Kinder zu betreuen sind, Angehörige gepflegt werden oder jemand krank ist. „Ich weiß recht gut, wo jemand gerade steht, und kann das einordnen.“
Dabei hilft ihre Art. Die Fähigkeit, offen auf Menschen zuzugehen, sich zu interessieren und ins Gespräch zu kommen. „Dadurch wird es möglich, sie zu beobachten, sie einzuschätzen und zu bewerten“, sagt von Struensee. Das hat sie immer gereizt.
Von Befestigungsschellen zur Gesundheit
Nach dem Jurastudium, ihrer Ausbildung in den USA und ihrer Zulassung als Rechtsanwältin im Jahr 2000 sei sie „sehr gewollt auf Arbeitgeber im Bereich HR zugegangen“. Im Studium und Referendariat wählte sie Arbeitsrecht als Schwerpunkt – das hat sie fasziniert und nicht mehr losgelassen. Gleich im ersten Job als HR-Managerin beim Technologiekonzern ZF in Schweinfurt passte alles, die internationale Aufgabe, der hohe Stellenwert des Personalwesens und nicht zuletzt ihr Vorgesetzter, der ihr vertraute und schnell Verantwortung übertrug, sie wachsen ließ und Karrieretüren öffnete – ein Glücksgriff.
Seitdem war sie in mehreren regionalen und globalen Positionen für Joyson Safety Systems tätig, einen Hersteller von Fahrzeugsicherheitssystemen (vormals Takata AG). Und vor ihrem Wechsel zu Agaplesion trug sie als Executive Vice President Group HR bei der Norma Group im hessischen Maintal knapp drei Jahre lang die Verantwortung für mehr als 8700 Mitarbeitende weltweit. Der international agierenden Maschinenbaukonzern stellt Verbindungstechnik her, unter anderem Befestigungsschellen.
Berufliche Laufbahn
Constance von Struensee (50) hat in Augsburg und USA Rechtswissenschaften studiert und erhielt im Jahr 2000 die Zulassung zur Rechtsanwältin. Ihre Karriere begann im März 2001 als Manager Human Resources und Syndikusrechtsanwältin bei der ZF Trading GmbH in Schweinfurt, seit Juli 2021 ist sie bei der Agaplesion gAG Vorständin Personal.
Zuvor war sie
► Executive Vice President Group HR, Geschäftsführerin sowie Syndikusrechtsanwältin und Mitglied im globalen Management Committee der Norma Group SE in Maintal (August 2018 bis Juni 2021) und
► Vice President Human Resources EMEA, Syndikusrechtsanwältin und Mitglied im globalen HR-Führungsteam bei der Joyson Safety Systems GmbH (bis April 2018 Takata AG) in Aschaffenburg (Juni 2008 bis Juli 2018).
► Für Takata war sie bereits seit September 2005 in verschiedenen Positionen tätig, unter anderem als Regional President Western Europe.
Jetzt also ein Gesundheitskonzern. Sie sei gespannt gewesen, ob es in der neuen Branche anders wird. Doch das, was sie jetzt umtreibt, sei dem Vorherigen sehr ähnlich – die Anstrengungen für die Mitarbeiterbindung, der Mangel an Fachkräften, die Suche nach wirksamen Instrumenten. Alles beim Alten also? Nein, sagt von Struensee.
Mein Herz schlägt für die Pflege.
Die neue Branche ist entscheidend. Sie habe noch sinnstiftender arbeiten wollen und deshalb den Wechsel geplant. Da kam die Anfrage der Headhunter von Agaplesion gerade recht. Heilen, sorgen, schützen – das neue Tätigkeitsfeld reizte sie. Ohnehin sei ihr das Gesundheitswesen nahe. Ihre Mutter war Krankenschwester, als Gymnasiastin hat auch von Struensee selbst auf Station und im Pflegeheim gearbeitet.
„Einfache Pflegetätigkeiten sind mir bekannt“, sagt sie: „Mein Herz schlägt für die Pflege.“ Auch der Tod sei daheim oft Thema gewesen, gerade weil er für die Mutter zum Arbeitsalltag gehörte und sie als Krankenschwester damit oft allein war. Von Struensee kennt das Dilemma, sie selbst engagiert sich in der Hospizarbeit – „das ist mir ein wichtiges Anliegen“.
Professionelleres Recruiting
All das sieht sie als das passende Rüstzeug für ihre jetzige Aufgabe. Seit sie bei Agaplesion Verantwortung übernommen hat, hat sie stark in noch professionelleres Recruiting investiert, die Instrumente für die Mitarbeiterbindung verbessert und verschiedene personaldiagnostische Maßnahmen eingeführt. Dabei geht es sowohl um die Auswahl neuer als auch um die Entwicklung der bestehenden Beschäftigten, beispielsweise durch Talentförderung, Persönlichkeitsentwicklung oder Karriereplanung. „Dieses Know-how, wie man Menschen findet und beurteilt, ist wichtig“, sagt von Struensee.
Dass jemand persönlich ins Unternehmen passt, soll künftig eine noch größere Rolle spielen. „Oft bewerten wir nur die fachliche Passung“ – das will sie beim Recruiting ändern. Stärker auf die persönlichen Kompetenzen achten, die Arbeitsethik und Werteorientierung berücksichtigen, „wie jemand mit Menschen umgeht“. Das ist ihr auch persönlich wichtig. Ungerechtigkeit bringt sie auf die Palme, Ungerechtigkeit gegenüber denen, die keine Lobby haben und sich nicht wehren können. Sich für die Schwachen einzusetzen, das versucht sie: „Wir gehen oft nicht achtsam miteinander um.“
Flächendeckend Führungskräftetrainings
Neben der Auswahl der richtigen Leute wird die Expertise untereinander jetzt noch stärker weitergegeben. Führungskräftetrainings finden flächendeckend statt. Spätestens nach drei Jahren sollen alle in einem Basistraining gewesen sein – neue Techniken gelernt haben, wichtige Konzern-Tools kennen und sich dabei ein persönliches Netzwerk schaffen. „Zum Programm gehört auch ein Peer-Coaching, bei dem gemeinsam über das reine Wissen hinaus reflektiert wird“, betont von Struensee.
Damit können wir einen großen Unterschied machen zu den anderen Playern im Markt.
Dabei gehe es insbesondere um das Leitbild des Konzerns. Vertrauen, Verantwortung, Ambition, Respekt und Miteinander – die fünf Agaplesion-Werte hat sie auch als Hintergrundbild für Videokonferenzen eingerichtet. Diese Werteorientierung ist ihr Herzensprojekt. „Damit können wir einen großen Unterschied machen zu den anderen Playern im Markt“, ist von Struensee überzeugt.
Alle Führungskräfte sollen die Ideen und Werte vorleben. „Wenn uns das gelingt, zahlt es sich aus, und Agaplesion hat noch mehr motivierte Mitarbeiter.“ Vieles von dem, was ihr vorschwebt, ist im Unternehmen bereits Realität, ist sie überzeugt. „Wir müssen diese Zufriedenheit aber noch stärker darstellen.“ In den nächsten Jahren will sie damit auf jeden Fall mehr werben, auch in den sozialen Netzwerken.
Pauschale Lösungen gibt es nicht.
Die größte Aufgabe sieht sie jedoch bei den Führungskräften vor Ort – „die müssen das als Multiplikatoren umsetzen“. Das Personalwesen sei „nur die Geburtsstätte“. „Wir unterstützen, befähigen, entwickeln Konzepte, zeigen Best-Practice-Beispiele“, betont von Struensee: „Pauschale Lösungen gibt es nicht.“ Eine Klinik auf dem Land stelle eben andere Anforderungen als eine Einrichtung wie das Markus Krankenhaus mit 697 Betten im Ballungsraum Frankfurt, direkt neben dem Agaplesion-Hauptsitz. Deshalb haben die Einrichtungen den Freiraum, die Konzepte aus der Zentrale für sich anzupassen.

Genau dafür arbeitet sie. Effektiv sein, das ist ihr Anspruch. „Nicht jede Einrichtung muss alles neu erfinden.“ Gleichzeitig gelte es, digitale Möglichkeiten verstärkt zu nutzen, etwa bei Bewerbungen in Echtzeit. „Der Auswahlprozess verändert sich, und es entstehen neue Erwartungen bei Kandidaten.“ Genau wie bei den Beschäftigten, die bei Fragen zum Personalwesen beispielsweise über Sprachcomputer schneller als bislang mit der Abteilung kommunizieren können, größere Zufriedenheit inklusive.
Sie selbst scheint jetzt erst einmal angekommen. Zu ihrer Arbeit pendelt sie. Knapp 40 Kilometer sind es von Aschaffenburg, wo sie wohnt und einen Tag pro Woche im Homeoffice arbeitet. Drei Tage ist sie in der Zentrale im Frankfurter Stadtteil Bockenheim. Tag fünf gehört dem Team der Personalabteilung, das an einem eigenen Standort arbeitet, rund 20 Minuten von der Zentrale entfernt.
Sie besucht Benediktinische Führungsseminare
Dass sie bei Agaplesion jetzt für mehr als 22 000 Mitarbeitende zuständig ist, empfinde sie als große Verantwortung, sagt von Struensee: „Das nehme ich sehr ernst.“ Einmal im Jahr besucht sie Benediktinische Führungsseminare in der Abtei Münsterschwarzach. „Demütig sein, die eigene Aufgabe dankbar annehmen und ausfüllen“ – für die 50-Jährige sind das keine leeren Worte.
Zum Ausgleich zieht es sie oft raus in die Natur. Mit der Familie – zum Wandern, Joggen, Bergsteigen oder Skifahren. „Als gebürtige Allgäuerin bewege ich mich gerne und muss draußen sein, gerne auch mit meinen Tieren“, sagt sie.
Gute HR-Arbeit ist transparent und messbar.
Was sie gar nicht mag? „Wenn jemand unsere Wertekultur missachtet und das Gegenteil von respektvoll ist – das ist nicht tragbar, da müssen wir sofort reagieren.“ Genauso wie illoyales und absichtlich verantwortungsloses Verhalten – „das passt nicht zu unserer Haltung, und dann bleibt manchmal auch nur die Trennung“.
Dass sich ihre Arbeit lohnt, davon ist von Struensee überzeugt. Was sie tut, sieht sie immer auch als Business Case. „Gute HR-Arbeit ist transparent und messbar“, sagt sie. Werde etwa mehr Zeit in die Mitarbeiterbindung investiert, müsse die Fluktuation sinken. Messbar. Der Aufwand, die Fähigkeiten der Führungskräfte zu verbessern, sollte zu höherer Mitarbeiter-Zufriedenheit führen. Ebenfalls messbar. Am Ende soll sich die Personalarbeit – „der HR-Mehrwert“ – noch stärker im Geschäft des Unternehmens niederschlagen. Auch das gehört zu ihrem großen Ziel.






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