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Gewalt im KlinikumZwischen Notwehr und Nötigung

Gewalt im Krankenhaus kommt mittlerweile häufig vor und äußert sich auf unterschiedliche Weise. Warum es für Kliniken wichtig ist, das Thema Gewaltprävention nicht aus dem Blick zu verlieren und was es dabei zu beachten gibt, erläutert der Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Tobias Weimer im Interview mit kma.

Gesetzbuch liegt aufgeschlagen auf einem Tisch.
Ingo Bartussek/stock.adobe.com
Symbolfoto

kma: Gewalt im Krankenhaus rückt immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Inwieweit sind solche Gewaltvorfälle juristisch von Bedeutung?

Weimer: Es werden mehrere Gewaltformen unterschieden: psychische, körperliche, sexualisierte und rassistische Gewalt. Das zieht dann jeweils verschiedene Straftatbestände nach sich. Sexualdelikte wie sexuelle Nötigung zum Beispiel. Oder im Bereich der körperlichen beziehungsweise psychischen Gewalt Körperverletzungsdelikte oder eben Nötigung. Versperrt der Handelnde den Weg, schließt gar sich und Mitarbeiter ein und ähnliches, kommt gegebenenfalls Freiheitsberaubung oder gar Geiselnahme in Betracht. Bei verbaler Gewalt haben wir es mit Beleidigung oder Bedrohung zu tun. Wenn der Delinquent beispielsweise gegen die Tür tritt und sie dabei beschädigt, kommt noch Sachbeschädigung hinzu. Beim Straftatbestand nach § 115 Absatz 3 StGB geht es zudem um die Behinderung von Beschäftigten im Rettungsdienst oder in der Notaufnahme: Menschen werden von ihrer jeweiligen Tätigkeit abgehalten, weil sie zum Beispiel festgehalten oder bedroht werden. Zusätzlich kann gegenüber Menschen, die im Krankenhaus randalieren, das Hausverbot erteilt werden, um die betriebliche Ordnung wiederherzustellen. Reagiert die Person darauf nicht und verlässt nicht das Krankenhaus, handelt es sich in diesem Fall um Hausfriedensbruch. Sprechen wir in dieser Situation von mehreren Personen in einer Gruppe, kann das auch schwerer Hausfriedensbruch sein.

Und was folgt daraus?

Nicht allen, aber doch einigen der genannten Straftatbestände ist gemein, dass es sich um Strafantragsdelikte handelt wie zum Beispiel Beleidigung, Sachbeschädigung, Bedrohung. Es muss also jemand tätig werden und einen Strafantrag stellen. Das richtet sich zunächst an den Betroffenen selbst. Aber wir raten immer auch der jeweiligen Organisation dazu, über den Justiziar beziehungsweise eine begleitende Anwaltskanzlei einen Strafantrag zu stellen. Um nach außen ganz klar zu signalisieren: Wir haben bei Gewalt Null Toleranz und unterstützen unsere Mitarbeiter.

Es muss also jemand tätig werden und einen Strafantrag stellen.

Dazu gehört natürlich auch die Nachsorge nach solch einem Zwischenfall: Fällt der Mitarbeiter dadurch längerfristig krankheitsbedingt aus, ist es Aufgabe des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, diesen wieder einzugliedern und ihm gegebenenfalls auch psychologische Betreuung zur Verfügung zu stellen. Mögliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche sind durch den Verletzten in Erwägung zu ziehen und gegebenenfalls gerichtlich geltend zu machen.

Nimmt die Zahl dieser Straftatbestände zu, die vor Gericht verhandelt werden? Ist das ein Schwerpunkt in Ihrer Kanzlei?

Wenn man der medialen Berichterstattung sowie den Studien des Deutschen Krankenhaus Instituts als auch der Kassenärztlichen Vereinigungen folgt, ist derartiges Gewaltgeschehen an der Tagesordnung. Logische Konsequenz wäre tatsächlich, dass die vor Gericht verhandelten Fälle im Verhältnis steigen. Dies beobachten wir tatsächlich nicht. Wir sind aber regelmäßig im Krisenmanagement und in der Beratung tätig.

Nehmen Sie ein gesteigertes Interesse vonseiten der Krankenhäuser wahr, sich zu dieser Thematik beraten zu lassen?

Wir bieten seit vielen Jahren Workshops an, auch Risikobeurteilungen in den Kliniken. Mit einer professionellen Krisenmanagement-Agentur gehen wir dafür in die Einrichtung und schauen uns alles unter dem Gesichtspunkt Krisen- und Gewaltprävention an, erstellen eine Risikobeurteilung. Aktuell haben die Krankenhäuser angesichts der Krankenhausreform mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, das seit Januar dieses Jahres in Kraft ist, andere Sorgen. Es forciert die Schwerpunktbildung und Zentralisierung, womit sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser mittelfristig verbessern soll. Aber noch befinden sich viele Krankenhäuser in tiefroten Zahlen. Das Geld sitzt insoweit aktuell nicht besonders locker.

Das ist schon eine Diskrepanz zwischen dem, wie das Thema an die Öffentlichkeit gebracht wird, und dem, was im Alltag dann tatsächlich umgesetzt wird.

In der Tat. Aber vielleicht haben das Gros der Praxen in der Bundesrepublik, das sind aktuell circa 98.500, und die meisten von den circa 1875 Krankenhäusern ein funktionierendes Präventionssystem.

Krankenhäuser sind verpflichtet, eine Risikobewertung durchzuführen. Müssen sie, wenn festgestellt wird, dass es in bestimmten Bereichen gehäuft zu Gewaltvorfällen kommt, auch handeln und ein Sicherheitskonzept erarbeiten und einführen?

Psychiatrien sind in der Regel verpflichtet, entsprechende Schutzmaßnahmen vorzuhalten und diese auch zu trainieren. Das alles ist hochspeziell und wird über das Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) abgedeckt. Im Bereich der Somatik ist das anders. Hier kommen Risikobeurteilungen unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes, der Fürsorgepflicht und Unfallverhütungsvorschriften ins Spiel. Wenn es zu offensichtlichen Verstößen der Fürsorgepflicht und arbeitsrechtlichen Pflichten kommt und dadurch Gewalt gefördert oder ermöglicht wird, kann der Arbeitgeber dafür belangt werden. Das muss aber im Einzelfall sehr genau geprüft werden: War es wirklich ein Fehlverhalten des Arbeitgebers, das zu Gewaltereignissen beigetragen hat?

Dr. Tobias Weimer ist Fachanwalt für Medizinrecht sowie Strafverteidiger. Er schloss später ein Aufbaustudium „Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen“ an und ist zudem zertifizierter Compliance Officer. Seine Kanzlei hatte bereits auf Gewalt als ein zunehmendes Problem im Gesundheitswesen hingewiesen – noch bevor im vergangenen Jahr verschiedene Umfragen aus dem ambulanten und stationären Bereich dazu veröffentlicht wurden, unter anderem vom Deutschen Krankenhaus Institut.

Seit mehreren Jahren bietet Weimer in Zusammenarbeit mit einer Krisenmanagement-Agentur Workshops und Risikobeurteilungen für Kliniken an und will auf das Thema Gewaltprävention aufmerksam machen. Unter anderem bietet das Deutsche Krankenhaus Institut sein Seminar mit dem Titel „Gewalt und Aggressionen im Klinikalltag“ an.

Also sollten Krankenhaumanager das Thema Gewaltprävention nicht nachrangig behandeln?

Generell raten wir natürlich dazu, Meldesysteme, einen Notfallplan und Telefonnummern zu hinterlegen oder auch einen Notfallknopf zu installieren. Interessant ist es auch, eine Videokamera zu installieren, die besonders sichtbar ist. Das allein kann durchaus abschreckend wirken. Die Kamera muss letztlich noch nicht einmal laufen.

Dürften denn Kameras, zum Beispiel im Wartebereich der Notaufnahme, die ganze Zeit über filmen oder ist das aus Datenschutzgründen nicht erlaubt?

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 ist eine Videoaufnahme nur in einer Gefahrenlage möglich. Deswegen ist eine dauerhaft eingeschaltete Videokamera in der Notaufnahme, am Empfang oder auf Station kritisch zu sehen. Es sei denn, es wird ausdrücklich offensiv in der Hausordnung und im öffentlichen Raum darauf hingewiesen. Aber schon jetzt wird diese Problematik weniger werden, denn KI-unterstützte Kamerasysteme halten Einzug.

Warum ändert das die Situation?

Im Krankenhaus eingesetzte Überwachungssysteme für Risiko- und Präventionserkennung sind teilweise bereits mit KI hinterlegt. Die Kamera wird nur dann aufzeichnen, wenn bestimmte Gewaltszenarien erkannt werden. Zum Beispiel besonders auffällige Verhaltensweisen wie Schubsen, Schlagen oder das Werfen von Gegenständen. Das wird zukunftsfähig und zukunftsweisend sein.

Es wird bei Gewalt im Krankenhaus immer wieder eine Strafverschärfung gefordert. Wie könnte so etwas in der Praxis aussehen und hätte das Ihrer Meinung nach einen präventiven Charakter, also könnten dadurch Gewalttaten verhindert werden?

Nein. Straftäter kümmern sich im Vorfeld nicht um ein Strafmaß. Das ist ihnen im Zweifel überhaupt nicht bekannt. Gewaltereignisse im Krankenhaus sind psychische Ausnahmesituationen für Opfer wie Gewalttäter. Deswegen ist die Ausübung des Hausrechts mit Erteilung eines Hausverbots in der Regel kontraproduktiv. Denn damit erreiche ich bei einem sich völlig außer Rand und Band befindlichen Patienten oder Angehörigen nichts.

Straftäter kümmern sich im Vorfeld nicht um ein Strafmaß.

Gleiches gilt für härtere Strafen. In der Generalprävention zeigen Strafverschärfungen kaum Effekte. Kriminologische Studien haben eher gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden und einer schnellen Strafverfolgung ausgesetzt zu werden, wirksamer sind. Deshalb sind „ Bodycams“ auch so effektiv im polizeilichen oder auch im rettungsdienstlichen Einsatz. Für Mitarbeiter in der Notfallambulanz bietet sich der Einsatz ebenfalls an.

Gewalt geht häufig von intoxikierten, psychotischen oder auch dementen Personen aus. Wie schuldfähig sind denn diese Personen und macht es überhaupt Sinn, sie nach einem Übergriff anzuzeigen?

Das ist einzelfallabhängig. Bei festgestellter Demenz würde ich an dieser Stelle sehr zurückhaltend sein, bei Alkohol- und Drogenmissbrauch hingegen keinerlei Rücksichtnahme zeigen und dort immer Anzeige erstatten. Insbesondere auch, weil wir gar nicht wissen, ob sich die jeweilige Person möglicherweise absichtlich in diesen Rauschzustand versetzt hat, um Straftaten zu begehen.

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