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LGBTQ im Klinikalltag„Ideal ist, wenn man eine Queer-Community nicht mehr braucht“

Zwei Ärztinnen und ein Arzt gründen eine Queer-Community im Helios Klinikum Berlin-Buch und organisieren die Teilnahme am Christopher Street Day mit einem eigenen Truck. Wozu? Für mehr Sensibiltät und Sichtbarkeit in der Kollegenschaft und um ein klares Statement nach Außen zu setzen.

Queere Community Out@Helios
Helios
Dr. Franziska Renger, Dr. Miriam Baur und Dr. Fabian Mühlberg, die Gründer der queeren Community „Out@Helios“ am Helios Klinikum Berlin-Buch.

Am Helios Klinikum Berlin-Buch entstand 2019 recht spontan die Queer-Community „Out@Helios“. Die drei Initiatoren Dr. Miriam Baur (Fachärztin für Allgemeinchirurgie, Bereichsleiterin Proktologie), Dr. Franziska Renger (Oberärztin, Fachärztin für Allgemein- und Viszeralchirurgie) und Dr. Fabian Mühlberg (Leitender Oberarzt Kardiologie/Nephrologie) erläutern im Interview, wie es dazu kam und wie der damalige Klinik-Geschäftsführer auf den Vorschlag zur Teilnahme am Christopher Street Day mit einem eigenen Helios-Wagen reagierte.

Was hat Sie dazu bewogen, Out@Helios ins Leben zu rufen?

Wir saßen zu dritt zusammen und haben darüber gesprochen, dass wir gemeinsam auf den nächsten Christopher Street Day (CSD) gehen wollen. Dabei hat sich herausgestellt, dass wir im Klinikum genügend Teilnehmer*innen hätten, um einen ganzen Wagen zu füllen. Das Helios Klinikum Berlin-Buch ist ein großes Haus, wir sind in der Hauptstadt Berlin und wir haben eine große LGBTQ-Zielgruppe im Klinikum. Wir haben uns also die Frage gestellt: Wer, wenn nicht wir? Es war alles eine sehr spontane Idee, aber die große Rückendeckung und das positive Feedback aus dem Klinik-Management haben daraus schnell ein Projekt entstehen lassen.

Die Teilnahme am CSD haben wir zusammen mit den Kolleg*innen des Helios Klinikums Emil von Behring in Zehlendorf, des Helios Klinikums Bad Saarow und der MVZs des Berliner Raums organisiert. Maßgeblich an der Organisation beteiligt waren wir drei selbst mit Unterstützung von Anja Himmelsbach aus der Unternehmenskommunikation.

Wie haben Kollegen, Freunde und Familie auf das Thema reagiert?

Es gab viel positive Rückmeldung, auch von Kollegen, die bisher nicht wirklich mit dem Thema in Berührung gekommen sind. Einige wollten mehr darüber erfahren und natürlich wollten auch viele mit auf den CSD-Wagen. Familien und Freunde standen komplett hinter uns und dem Projekt und haben uns unterstützt. 

Einziger Widerstand, den wir zu spüren bekamen war, dass von uns im Klinikum aufgehängte Plakate, um die Aktion sichtbar zu machen, zum Teil abgerissen wurden. Wir vermuten, dass es ein paar Menschen gab, die damit nicht einverstanden waren, aber es gab keine klar offen kommunizierte Kritik. Manche Kolleg*innen hatten eventuell von dem Thema noch recht wenig gehört und sahen sich dann erstmals direkt konfrontiert mit der „Regenbogen-Bewegung“. Die Teilnahme am CSD wurde im Klinikum auch sehr breit kommuniziert. 

Wie hat Ihre Klinik-Geschäftsführung auf das Vorhaben reagiert, gab es Vorbehalte oder Einwände? 

Ein Helios-Krankenhaus ist wie eine Business-Unit eines großen Unternehmens und sehr stark von den Entscheidungen einzelner Personen abhängig. Sebastian Heumüller, damaliger Klinik-Geschäftsführer, ist ein junger offener Mensch und hat sich im Klinikum für moderne Akzente eingesetzt. Die Community und die Teilnahme am CSD passten hervorragend in sein Konzept, wodurch keine große Überzeugungsarbeit nötig war. Die Geschäftsführung war früh an Bord und hat das Projekt mitgetragen. Es war die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt. 

Haben Sie sich im Vorfeld mit jemanden in der Zentrale ausgetauscht bzw. Ihr Projekt dort vorgestellt?

Wir haben zu Beginn festgestellt, dass es bisher bei Helios keine vergleichbare Aktion zum Thema Diversity gab. Das hat uns zusätzlich darin bestärkt. Wir sind dann auf unsere Zentrale zugegangen und haben das Projekt vorgestellt. Auf dem Truck beim CSD waren letztendlich auch rund 30 Mitarbeiter aus der Zentrale, was für uns ein positives Zeichen war. Mit einer Community und einem Wagen auf dem CSD haben wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Welche Art von Unterstützung gibt es mittlerweile rund zwei Jahre nach der Teilnahme am CSD 2019 von der Zentrale? Hat man ein Diversity Management bei Helios im Konzern aufgebaut, um z.B. alle Kliniken zu diesem Thema zu sensibilisieren?

Der Konzern hatte es sich für 2020/21 auf die Agenda geschrieben, der aktuelle Stand ist aber nicht bekannt. Durch die Corona-Pandemie mussten viele Themen auch umpriorisiert oder pausiert werden. 

Wie gestaltet sich aktuell während der Pandemie Ihre eigene Community-Arbeit?

Eine Teilnahme am CSD 2020 war geplant, aus bekannten Gründen wurde der gesamte Umzug aber verständlicherweise abgesagt. Seitdem liegt auch das Thema bei uns ehrlich gesagt brach. Wir hatten einen Stammtisch, der in jedem Quartal zusammenkam, nun aber aus Pandemiegründen nicht stattfinden kann. Corona hat uns quasi einen Strich durch die Rechnung gemacht. Um die Community auf die nächsthöhere Ebene zu heben und richtige Strukturen zu erarbeiten, benötigt man viel Zeit und auch Kapazitäten, die derzeit einfach nicht vorhanden sind. Auch wir drei haben es erst vor sechs Wochen geschafft, uns mal wieder zu treffen. Dennoch planen wir optimistisch für 2022 die aktive Teilnahme beim CSD – mit einem noch größeren Wagen.

Was ist für 2021 geplant? 

Bisher ist aufgrund der anhaltenden Pandemie noch nichts Großes geplant. Es werden aber sicherlich wieder Aktionen zur Steigerung der Sichtbarkeit und zur Sensibilisierung untereinander im Klinikum stattfinden. Auch wird jährlich eine Regenbogenflagge vor dem Haupteingang gehisst, auf die es in der Vergangenheit schon viele positive Reaktionen seitens Patient*innen gab.

Vergangenes Jahr hat die Unternehmenskommunikation kleine Regenbogensticker für die Namensschilder und Schlüsselbänder in Regenbogendesign verteilt. Eine Aktion, die bis heute von einem Großteil der Belegschaft gut angenommen wird. Die Schlüsselbänder wurden uns förmlich aus der Hand gerissen. 

Würden Sie sich wünschen, dass das Thema Diversity bei Helios eine größere Rolle spielt? In Berlin ist es sicherlich ein intensiveres Thema als im Schwarzwald.

Für uns drei ist das vorrangige Ziel, dass wir das Thema in unserem Klinikum voranbringen können. Deutschlandweit haben uns allerdings viele Rückmeldungen erreicht, was den Bedarf an anderen Kliniken aufzeigt. Das Thema lässt sich aber auch nicht überall gleich aufziehen, hier bedarf es eines genauen Konzeptes.

Kürzlich gab es die Kampagne #actout im SZ-Magazin, in der sich dutzende Schauspieler*innen auf dem Cover geoutet haben, was für große Diskussionen gesorgt hat. Wie weit ist die Medizinbranche davon entfernt? 

Der Unterschied zwischen öffentlichen Personen und uns Medizinern und unserem Job ist, eine gewisse Distanz und Neutralität zu anderen Menschen zu haben. Wir sind nicht der Freund oder das Vorbild der Patient*innen oder eine Person, mit der sich identifiziert wird. Daher ist in unserer Branche der Druck nicht so groß, sich öffentlich zu outen. Es stellt sich auch die Frage, inwiefern ein Outing in unserem Job eine Rolle spielt. In Bezug auf den Patienten sicherlich keine, im Team ist es etwas anderes. Man hat das Gefühl, dass in der Medizin prinzipiell eine höhere Akzeptanz zu diesem Thema besteht als in anderen Branchen. Menschen, die mit Menschen arbeiten, haben in der Regel weniger Vorbehalte. Auch innerhalb eines Teams sollte immer eine Atmosphäre herrschen, so dass es jedem möglich ist, sich zu outen, wenn er oder sie das möchte. Man muss aber auch regional unterscheiden. In Berlin selbst spielt das Thema sicher eine andere Rolle als in ländlichen Gegenden in einem kleinen Klinikum. Hier in Berlin werden Menschen per se überall mit LGBTQ-Themen und -Aktionen konfrontiert, während viele anderswo noch überhaupt nicht persönlich damit in Berührung gekommen sind.

Wir sind mit Sicherheit nicht so weit weg wie der Profi-Fußball, aber trotzdem noch weit entfernt von solch einer Aktion wie die der Schauspieler*innen. Auch innerhalb eines Klinikums in den verschiedenen Bereichen gibt es gewiss Unterschiede. Man muss unterscheiden, von welchen Professionen innerhalb der Branche man spricht. In der Pflege hat das Thema LGBTQ eine andere Bedeutung als in der Ärzteschaft. In unseren Kreisen fällt es vielen etwas leichter, sich zu outen. 

So simpel ein Regenbogenaufkleber auf dem Namensschild ist, wenn die Hälfte der Mitarbeiter das trägt, steigt die Hürde, einen diskriminierenden Kommentar abzugeben. Anders herum ist das Thema überall positiv sichtbar. Gefühlt ist die Macht des kleinen Symbols hier bei uns sehr groß. Das sollte noch viel breiter und offensiver gehandhabt werden, auch im Hinblick auf andere Häuser des Helios-Konzerns. 

(Anm.d.Red.: am 10.05.2021 outeten sich mit der Initiative #kickout nun auch über 100 Menschen aus dem Amateur- und Profifußball im Magazin Kicker)

Gibt es Beispiele im Haus, wo sich die Arbeit der Community bereits bezahlt gemacht hat? 

Hier haben wir leider zu wenig Gesamteinblick. Es gab bereits Rückmeldungen von Patienten, die sich explizit in unserem Haus behandeln lassen wollten, da offiziell bekannt ist, dass das Haus dem Thema positiv gegenübersteht. 

Die Akzeptanz innerhalb der Mitarbeiter durch alle Berufsgruppen hat mit den Stickern und Schlüsselbändern zweifellos zugenommen. Auch die Teilnahme am CSD 2019 war ein großer Erfolg für die Sichtbarkeit. Alle Plätze waren belegt und es gab noch viele Mitarbeiter, die auf der Warteliste standen. 

Ein Blick in die Zukunft: Wie sähe die ideale Queer-Community im Helios-Konzern für Sie aus? 

Ideal ist, wenn man sie nicht mehr braucht.

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