

Klassische Vorgehensweisen würden nicht mehr funktionieren, wird gejammert. Und die Unternehmen stünden zunehmend vor einem existenzgefährdenden Personalmangel. Das soll diese Probleme keinesfalls herunterspielen und ja, ein Mangel an ausreichenden oder qualifizierten Mitarbeitern kann für Unternehmen existenzbedrohlich werden. Allerdings wird im Zuge dieser Diskussion häufig vergessen, dass das Recruiting nur eine mögliche Stellschraube im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist. Und wenn es bei dieser einfach nicht so richtig funktionieren will, wäre es dann nicht sinnvoller, sich auf eine andere Stellschraube zu fokussieren?
Recruiting ist nicht das einzige Problem
Ganz außer Acht lassen können Unternehmen die Neurekrutierung natürlich nicht, schließlich herrscht im Unternehmen eine naturgegebene Fluktuation. Spätestens zum Renteneintritt verlassen die Mitarbeiter den Arbeitgeber und dementsprechend benötigt dieser Nachwuchskräfte, welche die Vakanz übernehmen. Oder das Unternehmen befindet sich im Wachstum, was auch die Bildung neuer Stellen beinhaltet. Diese können zwar intern besetzt werden, hinterlassen dann aber eine Lücke an anderer Position. Es steht also überhaupt nicht infrage, dass jedes Unternehmen rekrutieren muss und ja, dabei sind innovative Strategien mit Kreativität und Überzeugungskraft gefragt. Aber was dann?
Selbst, wenn also das Recruiting erfolgreich war, bringt das dem Arbeitgeber wenig, wenn die angeworbene Fachkraft nach wenigen Monaten oder Jahren das Unternehmen wieder verlässt. Zusätzlich zur natürlichen, leiden nämlich viele Betriebe unter einer hohen unnatürlichen Fluktuation. Die Arbeitnehmer gehen also früher als gedacht sowie freiwillig. Sie haben im Kampf um die Fachkräfte vielleicht ein besseres Jobangebot erhalten oder sie waren mit der Atmosphäre am Arbeitsplatz unzufrieden. Es fehlte ihnen an Karriereperspektiven oder sie sind längerfristig erkrankt. Es kann viele verschiedene Gründe geben, weshalb ein Angestellter vorzeitig aus dem Job ausscheidet. Und genau hier liegt das eigentliche Problem!
Verlustprävention ist kein Gegenmodell…
…sondern demnach die logisch Konsequenz aus den zunehmenden Problemen bei der Neurekrutierung. Wenn es nämlich an Nachschub von außen fehlt, muss dieser von innen generiert werden. Ein erster wichtiger Schritt ist dabei, die bestehenden Mitarbeiter am Gehen zu hindern. Anstatt den Blick also zuerst nach außen zu richten auf das Recruiting, ist es für vom Fachkräftemangel betroffene Unternehmen sinnvoller, im Inneren zu beginnen.
Denn erst einmal gilt es, abwanderungswillige Mitarbeiter zu erkennen und langfristig zu binden. Zugleich helfen präventive Maßnahmen dabei, zu verhindern, dass die Arbeitnehmer überhaupt unzufrieden werden. Zufriedene Mitarbeiter sind schließlich in der Regel auch loyale Mitarbeiter. Eine Rate von 100 Prozent ist dabei zwar nicht möglich, denn manchmal sind auch äußere Faktoren wie der Partner, die Familie oder ein Umzug dafür verantwortlich, dass der Job gewechselt beziehungsweise verlassen wird. Nichtsdestotrotz können Arbeitgeber auch heutzutage noch mit einem hohen Maß an Treue ihrer Angestellten rechnen, wenn sie ihnen entsprechend entgegenkommen. Das gilt sowohl für bestehende als auch neu rekrutierte Mitarbeiter. Verlustprävention ersetzt also zwar nicht die Neurekrutierung, sollte ihr aber vorausgehen, um den Rekrutierungserfolg anschließend (wieder) erhöhen zu können.
Mitarbeiter am Gehen hindern – aber wie?
Ein Anstieg der Krankenstände kann ein wichtiges Alarmsignal sein und geht häufig einer steigenden Mitarbeiterfluktuation voraus. Erst einmal sind die Mitarbeiter unzufrieden, dann werden sie krank und anschließend verlassen sie den Arbeitgeber – so oder so ähnlich sehen viele Fälle aus. Spätestens, wenn also ihr Anspruch auf Krankengeld nach 6 Wochen ausläuft, aber die Rückkehr für sie dennoch undenkbar erscheint, verlassen die Betroffenen das Unternehmen. Dieses ist ein häufiges Fallbeispiel, doch auch andere Szenarien sind verbreitet: Das unerwartete Gehen eines Mitarbeiters aufgrund eines unschlagbaren Jobangebots, besserer Perspektiven, unterschwelliger Konflikte, fehlender Zugeständnisse durch den Arbeitgeber, einer höheren Bezahlung…es gibt viele Gründe für Arbeitnehmer, den Arbeitgeber zu verlassen.
Für Arbeitgeber bedeutet das: Sie müssen diese Unzufriedenheit erkennen und beseitigen – oder besser noch präventiv verhindern. Es geht also darum, den Mitarbeitern das zu bieten, was sie wollen. Hiermit wären wir beim Buzzword „New Work“ angelangt. Die New Work wird häufig als Strategie gegen den Fachkräftemangel diskutiert. Bislang tun sich aber viele Betroffene schwer damit, diesen abstrakten Begriff in der Praxis umzusetzen. Greifbarer wird er also vielleicht, wenn wir nicht von „New Work“ sprechen, sondern von der guten alten Verlustprävention.
Fachkräfte von innen heraus entwickeln
Die Mitarbeiterfluktuation zu senken bringt zahlreiche Vorzüge mit sich, das liegt auf der Hand. Geringere Kosten, Entlastung bei der Neurekrutierung, höhere Produktivität und Motivation bei den Mitarbeitern…diese sind nur einige Beispiele von vielen. Ein weiterer Vorteil, welcher aber oft und gerne übersehen wird, ist die langfristige Entwicklung von Mitarbeitern. Wenn diese nämlich dauerhaft im Unternehmen bleiben, können sie auch gezielt entwickelt werden. In Zeiten, in welchen es an externen Fachkräften mangelt, ist es daher eine erfolgversprechende Lösung, die benötigten Qualifikationen stattdessen intern zu entwickeln. Zugleich bietet diese gezielte Weiterentwicklung den Mitarbeitern attraktive Karriereperspektiven, was wiederum die Mitarbeiterbindung im Unternehmen verstärkt. Eine Win-Win-Situation!
Nachdem im ersten Schritt also Maßnahmen zur Verlustprävention ergriffen wurden, können die Nachwuchskräfte im zweiten Schritt gezielt zu den Fach- und Führungskräften entwickelt werden, welche das Unternehmen nicht (so einfach) neu rekrutieren kann. Das ist nicht nur günstiger, sondern bringt auch für das Recruiting selbst noch einen weiteren großen Vorteil mit sich.
Vereinfachte Neurekrutierung durch Verlustprävention
Durch die verbesserten internen Karriereperspektiven steigt die Mitarbeiterzufriedenheit. Diese wirkt sich wiederum positiv auf das Image des Unternehmens aus. Schließlich wissen die begehrten Fachkräfte heutzutage sehr gut, wie sie die digitalen Medien zur Recherche über einen potenziellen Arbeitgeber nutzen können. Wo eine hohe Mitarbeiterfluktuation und Unzufriedenheit herrscht, wird das über Social Media, Arbeitgeberbewertungsportale, Foren & Co mittlerweile schnell in die Öffentlichkeit getragen. Wer also zunehmend Probleme bei der Neurekrutierung hat, sollte einmal einen prüfenden Blick auf sein Employer Branding werden.
Eine nachhaltige Verlustprävention kommt also nicht nur der tatsächlichen Mitarbeiteranzahl im Unternehmen zugute, sondern zieht sich wie ein Rattenschwanz durch alle Bereiche bis hin zum Recruiting. Weniger Krankenstände, dadurch weniger Kosten, mehr Zufriedenheit, besseres Arbeitsklima, höhere Produktivität und Innovationskraft oder eben eine attraktivere Arbeitgebermarke – so mächtig ist die Verlustprävention, wenn sie denn richtig umgesetzt wird. Im dritten Schritt kann mit Hilfe der Verlustprävention also auch die Erfolgsquote bei der Neurekrutierung erhöht werden.
Es müssen (noch) nicht zwingend Fachkräfte sein
Vermehrt auf die interne Mitarbeiterentwicklung zu setzen, bringt zudem noch einen weiteren Vorteil für die Neurekrutierung mit sich: Es ist plötzlich nicht mehr oder in geringerem Ausmaß notwendig, hochqualifizierte Fachkräfte anzuwerben. Denn ja, diese sind umkämpft und vor allem KMUs haben zunehmend Probleme damit, mit den attraktiven Angeboten großer Unternehmen mitzuhalten. Wer jedoch bereit ist, die Angestellten intern zu den benötigten Fachkräften aus- und weiterzubilden, fokussiert sich stattdessen auf eine ganz andere Zielgruppe. Junge und motivierte Nachwuchskräfte, die vielleicht noch überhaupt keine Ausbildung haben oder direkt vom Abschluss kommen. „Rohdiamanten“ sozusagen, die auf dem Arbeitsmarkt noch nicht allzu viel wert sind. Die Betonung liegt auf noch, denn mit den richtigen Maßnahmen kann sich das schnell ändern.
Es muss also nicht unbedingt der erfahrene IT-Spezialist sein. Stattdessen kann auch ein junger Auszubildender in wenigen Jahren dieselben Qualifikationen erlangen und dabei vollkommen zufrieden sein. Das braucht natürlich etwas Vorlaufzeit und gewisse Investitionen, ist aber angesichts der Problematik beim Recruiting im Fachkräftemangel die einzige sinnvolle Lösung. Und sollten dennoch zwischenzeitlich Vakanzen entstehen, können diese notfalls auch als Überbrückungslösung mit externen Spezialisten wie Freelancern gefüllt werden.


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