Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

VersorgungsangeboteWenn der Bürgerwille zu teuer wird

Gleich zwei Mal in kurzer Folge forderten Bürgerinitiativen die Erhaltung bestehender Krankenhausstrukturen, obwohl deren Unterhaltung kaum noch zu finanzieren ist. Doch die eigentliche Entscheidung über künftige Versorgungsangebote fällt längst außerhalb kommunaler Befugnisse.

Jetzt ist es also doch passiert: Mit deutlicher Mehrheit lehnen die Bürgerinnen und Bürger der oberbayerischen Gemeinden Weilheim und Schongau den Plan ihrer Kommune ab, die beiden Krankenhausstandorte zu einem neuen Zentralklinikum zusammenzulegen. Die Zusammenführung sollte durch den Abbau teurer Doppelstrukturen Ressourcen sparen und das medizinische Leistungsspektrum absichern. Eine Bürgerinitiative hatte sich quer gestellt und Anfang Dezember eine Abstimmung erzwungen. Ergebnis: die Einwohner wollen ihre beiden Kliniken behalten. Kommune und Klinikmanagement stehen nun vor einem teuren Scherbenhaufen. Denn mit dem geplanten Neubau entfällt fürs erste auch die millionenschwere Förderung aus dem Krankenhausstrukturfonds, die das Land Bayern in Aussicht gestellt hatte. „In dieser Deutlichkeit hat uns das Ergebnis alle überrascht“, sagt Thomas Lippmann, Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH, die Trägerin beider Standorte ist, frustriert.

Während die Bürgerinitiative „Aktionsbündnis Pro Krankenhaus Schongau“ über einem „überwältigenden Sieg“ jubelt, klingen Kommunalpolitiker schockiert: „Das Votum mag den Eindruck erwecken, dass die Krankenhaus-Standorte Weilheim und Schongau nun zukunftssicher erhalten werden können“, formuliert etwa Landrätin Andrea Jochner-Weiß von der CSU. „Doch die Probleme der steigenden Qualitätsanforderungen und insbesondere des Personalmangels bleiben und werden damit eben so wenig gelöst wie die finanziellen Herausforderungen.“

Rund 135 000 Einwohner des Landkreises versorgen die beiden Kliniken in Weilheim und Schongau. Beide Standorte zusammen haben 350 Betten und beschäftigen 1300 Mitarbeitende. Etwa 38 000 Patientinnen und Patienten werden pro Jahr stationär behandelt. Der Landkreis ist alleiniger Eigentümer.

Bürgerentscheid als Bewahrer des Status Quo

Die beabsichtigte Zentralisierung wurde zum Thema für einen Bürgerentscheid. Denn außerhalb der kommunalen Zuständigkeit können Veräußerungen oder Umstrukturierungen nicht durch Bürgerveto gestoppt werden. „Bürgerentscheide gibt es insbesondere in Bezug auf die Abteilungsstruktur, Veräußerung und Schließung kommunaler Kliniken“, sagt der Rechtsanwalt Prof. Thomas Vollmöller von der in Kommunalrecht und Krankenhausplanung erfahrenen Münchener Kanzlei Seufert. „Bürgerentscheide betreffen immer den Wirkungskreis einer Kommune. Es muss eine kommunale Angelegenheit sein“. Den Organisatoren solcher Abstimmungen an der Basis geht es meist um die Bewahrung des Status Quo gegenüber angestrebten Strukturveränderungen, die als Verschlechterung wahrgenommen werden.

Um angesichts zunehmender wirtschaftlicher Zwänge und Personalnot Lösungsvorschläge zu entwickeln und sich argumentativ zu rüsten, hatte das Krankenhaus-Management den Unternehmensberater und ehemaligen Chef des Uniklinikums Münster, Prof. Norbert Roeder mit einem Gutachten beauftragt. Dieses belege eindeutig, dass eine Zusammenlegung notwendig sei, betont Geschäftsführer Lippmann. „Zwei Krankenhäuser in dieser Größe und Struktur lassen sich auf Dauer nicht erhalten“, sagt er. Zum Problem werde die doppelte Vorhaltung an zwei Standorten: „Unser Ziel muss sein, rare Ressourcen nicht aufteilen müssen“.

Wie es jetzt weitergehen soll, weiß offenbar niemand so recht . „Wir werden prüfen, welche Möglichkeiten uns realistisch unter den bestehenden Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen,damit wir dem Wunsch der Wählerinnen und Wähler gerecht werden können“, sagt Landrätin Jochner-Weiß: „Das wird aber eine sehr schwierige Aufgabe“.

Weilheim-Schongau: Am 4. Dezember durften alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger des Landkreises abstimmen, ob sie dafür sind, „dass kein Zentralkrankenhaus gebaut wird, sondern dass die beiden Krankenhäuser in Schongau und Weilheim langfristig betrieben werden“. So lautete der Wortlaut der Frage, über die die Einwohner entscheiden sollten. Mit mehr als 67 Prozent Ja-Stimmen schmetterten die Wahlberechtigten die Zentralisierungspläne der Kommune ab.

Rendsburg-Eckernförde: Die Bürger von Rendsburg und Eckernförde in Schleswig- Holstein stimmten in einem Bürgerentscheid mehrheitlich gegen Umstrukturierungspläne für die Imland Kliniken, mit denen diese wirtschaftlicher gemacht werden sollten. Die Einwohner votierten für den Erhalt der Abteilungen für Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe und Geriatrie in Eckernförde und somit für die Aufrechterhaltung der Grund- und Regelversorgung an beiden Standorten.

Die Imland Kliniken waren in eine finanziellen Schieflage geraten, nicht zuletzt, weil sich die beiden Standorte gegenseitig Konkurrenz gemacht hatten. Eine Versorgungsbedarfsanalyse im Auftrag des Schleswig-Holsteinischen Sozialministeriums legte eine Umstrukturierung nahe. Das Konzept sah vor, den Standort Eckernförde zu einer internistisch-altersmedizinischen und psychiatrischen Klinik weiterzuentwickeln. In Rendsburg sollten die operativen Leistungen gebündelt werden. Die Bürger, die sich am Bürgerentscheid beteiligt hatten – knapp jeder dritte Wahlberechtigte hatte abgestimmt - wollten beide Krankenhäuser behalten.

„Bürgerentscheide laufen tendenziell der Zielrichtung einer zunehmend zentraler werdenden Krankenhausplanung entgegen“, beobachtet Dr. Stephan Puke, Partner der Hamburger Unternehmensberatung Puke Dresen Mall. Bereinigungen werden dadurch schwieriger. Von der bayerischen Landesregierung ist offenbar keine Hilfe zu erwarten. Die Krankenhausträgerin sei nach kommunalrechtlichen Vorgaben an das Ergebnis des Bürgerentscheides gebunden, betont ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Das Management sei nun gehalten, „weitere Überlegungen anzustellen, um notwendige Strukturanpassungen vorzunehmen, die vom Ergebnis des Bürgerentscheides gedeckt sind“.

Die Krankenhausplanung ist nicht Gegenstand von Bürgervoten. Das Land entscheidet über die Erteilung eines Versorgungsauftrags.

Dabei ist der Ausgang eines Bürgerentscheids für die Planung von stationären Versorgungsangeboten eigentlich gar nicht verbindlich. Die liegt nämlich in der Hoheit der Länder. „Die Krankenhausplanung ist nicht Gegenstand von Bürgervoten. Das Land entscheidet über die Erteilung eines Versorgungsauftrags“, sagt Rechtsanwalt Vollmöller. Aus den divergierenden Zuständigkeiten entsteht aber zunehmend ein Interessenkonflikt. Denn, weil sie sich mit ihren Wählern nicht überwerfen wollen, scheuen die Planungsverantwortlichen meist davor zurück, sich auf eine Konfrontation einzulassen. Gerade der Streit um das medizinische Angebot ist zumeist hoch emotional. Für Landes- und Kommunalpolitiker ist die Konstellation ein politischer Eiertanz: Wer will sich schon offen gegen einen klar dokumentiert Bürgerwunsch stellen und das womöglich bei den kommenden Wahlen ausbaden?

Dennoch kommt es vor: In den Schleswig-Holsteinischen Kleinstädten Rendsburg und Eckernförde überstimmte das Landes-Gesundheitsministerium unlängst einen mit mehr als 67 Prozent Zustimmung deutlichen Bürgerentscheid zum Erhalt beider Krankenhausstandorte der Imland Kliniken in der bestehenden Struktur. Das Bürgervotum sei nicht umsetzbar, hatte zuvor der Landeskrankenhaus-Ausschuss entschieden, der sich aus Vertretern von Kliniken, Kommunen, Kassen und Gesundheitsministerium zusammensetzt. Das Ministerium in Schleswig-Holstein begründet seine Weigerung, den bereits fertig gestellten Krankenhausplan noch einmal zu ändern, unter anderem mit zu hohen Personalkosten im Verhältnis zum Patientenaufkommen. Außerdem würden sich die Angebote der beiden Klinikstandorte überschneiden, es müssten dann Personal und Geräte doppelt vorgehalten werden. Das sei „weder als wirtschaftlich noch als patienten- und bedarfsgerecht zu bewerten“.

Sachzwänge bestimmen kommunales Leistungsportfolio

Nicht nur, weil sie zeitlich eng beieinander liegen, beunruhigen die Auseinandersetzungen um das kommunale medizinische Angebot Lokalpolitik und Klinikchefs gleichermaßen. Die Sorge geht um, dass die Causa Weilheim-Schongau und Imland Kliniken Schule macht: Vor dem Hintergrund der holpernden Konjunktur und steigenden Ausgaben für Sachkosten, Gehälter und Energie müssen sich viele Gemeinden ohnehin darauf einstellen, ihren Bürgern demnächst Einschränkungen im kommunalen Leistungsportfolio zumuten zu müssen.

„Leider ist es uns nicht gelungen, unser Zukunftsmodell für die Gesundheitsversorgung in unserem Landkreis nachvollziehbar darzustellen“, formuliert Klinikgeschäftsführer Lippmann diplomatisch nach der verlorenen Schlacht um den Bürgerwillen. Monatelang waren Klinikleitung und sogar Beschäftigte von einer Veranstaltung zur nächsten getingelt und hatten für eine Zusammenlegung geworben. Der Schulterschluss mit den Mitarbeitern, um den sich Lippmann besonders bemüht hatte, wird nun zum Problem: Die Belegschaft war auf das Projekt eingeschworen, jetzt machen sich viele Sorgen um ihre Zukunft. Die Verunsicherung bei den Mitarbeitenden sei groß, wie es jetzt mit den beiden Häusern weitergehe, sagt Lippmann. Gleich im neuen Jahr habe er die erste Kündigung eines leitenden Arztes entgegennehmen müssen. „Mir fehlt jetzt die Perspektive“, habe dieser gesagt. „Die Gefahr besteht, dass uns mehr gute Leute verlassen“, warnt Lippmann.

Bürgerwille nicht immer umsetzbar

„Es wird eine große Herausforderung sein, die medizinische Stabilität und die hohe Qualität der Versorgung, die wir aktuell bieten, aufrecht zu erhalten, wenn wir an alten Strukturen festhalten, statt uns in die Zukunft zu orientieren“, formulierte der Ärztliche Direktor des Krankenhauses in Schongau, Prof. Reinhold Lang, direkt im Anschluss an die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses.

Schon jetzt würden an verschiedenen Orten notwendige, von der Politik mehrheitlich beschlossene und von den Vertretungen des Gesundheitswesens in einer Region für sinnvoll erachtete Veränderungen durch Bürgerinitiativen abgelehnt und teilweise sogar erfolgreich blockiert, konstatiert Berater Roeder. „Dabei ist der Bürgerwille aber nicht immer umsetzbar, weil auch er die Fakten zur Personalverfügbarkeit und Finanzierbarkeit nicht ignorieren kann“.

„Richtig ist, dass sich die Kliniklandschaft in einem andauernden Prozess der Umstrukturierung befindet“, formuliert die bayerische Landesregierung. „Immer schärfere Qualitätsvorgaben durch Bundesrecht, Maßgaben in Vergütungsvorschriften, aber vor allem auch der Personalmangel in fast allen Bereichen des Krankenhausbetriebs machen es über alles gesehen notwendig, die Angebote zu konzentrieren und die Kräfte in größeren Binnenstrukturen zu bündeln“. Auf der anderen Seite gelte es nach wie vor, einen ausgewogenen Ausgleich zu finden und im Interesse der Bürger an einer flächendeckenden Versorgung in allen Landesteilen festzuhalten.

Auch zukünftig keine direkten Gestaltungsoptionen für Bürger

Aus Sicht der Kommunalrechtsexperten liegt die Krux auch in der für einen Bürgerentscheid notwendigen Verknappung sehr komplexer Zusammenhänge. Kriterien oder Vorgaben für die zur Abstimmung gestellte Frage gibt es kaum – sie muss lediglich mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Über die Fragestellung auf dem Wahlzettel entscheidet im Wesentlichen die Bürgerinitiative. Das lässt Raum für suggestive Fragestellungen nach dem Motto: „möchten Sie bewahren, was uns lieb ist?“

Weil sich Bund und Länder die Gestaltung zukunftsfester Versorgungsstrukturen nicht aus den Händen nehmen lassen wollen, agieren sie politisch zunehmend außerhalb der kommunalen Zuständigkeiten. „Bundes- und Länderminister und der G-BA formulieren Strukturvorgaben für Qualität und Wirtschaftlichkeit, an die schließlich alle Häuser gebunden sind“, sagt Roeder. Häuser wie Weilheim-Schongau werden Probleme bekommen, künftige Strukturvorgaben zu erfüllen, warnt er. „In der Folge werden Versorgungsangebote eingeschränkt werden müssen. Da wirkt dann die Macht des Faktischen“.

Die Krankenhausrahmenbedingungen ändern sich massiver denn je.

Der aktuelle Vorschlag der Regierungskommission zur anstehenden Krankenhausreform beinhaltet die Einführung verschiedener Leistungsebenen. Werden diese Vorschläge in das kommende Reformgesetz übernommen, können bestimmte Leistungen nur noch erbracht und abgerechnet werden, wenn Kliniken oder Abteilungen die notwendigen Voraussetzungen für das jeweilige Level erfüllen. In Weilheim und Schongau werde das nicht in allen Fachabteilungen der Fall sein, befürchtet Lippmann. Der Kreistag sei an das Bürgervotum für Weilheim-Schongau nun ein Jahr lang gebunden, sagt Lippmann. „Danach müssen wir ein von den Bürgern nachvollziehbares akzeptiertes Zukunftskonzept angehen, denn die Krankenhausrahmenbedingungen ändern sich massiver denn je.“ Es stelle sich also die Frage, wie lange sich der Status Quo noch finanzieren lässt: „Welche Fachabteilungen außerhalb der Basisvorsorge müssen durch die nicht gedeckte Finanzierung geschlossen werden, was kann sich der Landkreis noch leisten?“

Dieser Artikel erscheint in der kma Ausgabe 1/2023 (ET: 15.02.2023) und wird hier vorab veröffentlicht.

2023. Thieme. All rights reserved.
Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen

Doctolib GmbH

Doctolib Hospital – Mit Digitalisierung zu mehr Effizienz und Erfolg! 

Die Technologie von Doctolib schafft einen…

Philips GmbH Market DACH

Philips vernetzt Daten, Technologien und Menschen

Die Medizin macht täglich Fortschritte. Damit steigen auch die…