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UmfrageJeder vierte Hausarzt plant Ausstieg bis 2030

Die Bertelsmann Stiftung hat Hausärztinnen und Hausärzte zu ihren Zukunftsplänen und ihrem Berufsalltag befragt. Die Ergebnisse sind nur schwer mit dem derzeit diskutierten Primärarztmodell vereinbar. Aber es gibt Lösungsvorschläge.

Mehrere Arztkittel hängen auf braunen Kleiderbügeln im Schrank.
Frank/stock.adobe.com
Symbolfoto

Im Versorgungsnetz der Hausärzte werden sich in den kommenden Jahren noch größere Lücken auftun. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter den bundesweit knapp 56 000 Hausärztinnen und -ärzten im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und der Uni Marburg. Laut den Antworten der knapp 3700 Teilnehmer, plant ein Viertel der Befragten seine Arbeit in den nächsten fünf Jahren aufzugeben. Wer den Job weitermacht, will eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit um im Schnitt zwei Stunden umsetzen.

10 000 Hausarzt-Sitze werden 2030 nicht besetzt sein

Nach Angaben der Bertelsmann Stiftung sind bereits heute mehr als 5000 Hausarztsitze nicht besetzt. Da der Ärztenachwuchs die Lücke nicht füllen kann, wird sich demnach die Zahl der fehlenden Hausärzte- und -ärztinnen in den nächsten fünf Jahren verdoppeln.

Nach Überzeugung der Stiftung muss diese Entwicklung aber nicht automatisch zu Einbußen bei der Versorgung führen. „Wichtig wird sein, wie viel Zeit dem Hausarzt und der Hausärztin effektiv für die Arbeit am Patienten zur Verfügung steht. Hier gilt es, bislang ungenutzte Potenziale zu heben“, sagt Uwe Schwenk, Experte der Bertelsmann Stiftung. Die Befragten nutzen laut ihren Antworten rund 80 Prozent ihrer Arbeitszeit für Sprechstunden und Hausbesuche. Der Rest wird ihren Angaben zufolge für Verwaltungsaufgaben und Fortbildungen eingesetzt.

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Um die Praxen zu entlasten, müssten die Terminvergabe, der Befundaustausch, Diagnostik und Behandlungsabläufe stärker digitalisiert werden, schlägt die Bertelsmann Stiftung vor. Allerdings berichtet jeder Vierte der Befragten, dass Software-Probleme die Arbeit in der Praxis mehrmals am Tag beeinträchtigen. 70 Prozent gaben an, ein großes zeitliches Einsparpotenzial bei der Übertragung bestimmter Aufgaben an nichtärztliche Berufsgruppen wie medizinische Fachangestellte oder Pflegekräfte zu sehen.

Kritik der Patientenschützer

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sieht unvereinbare Ziele. „Hausärzte wollen weniger Bürokratie, die Reduzierung der Wochenarbeitszeit und mehr Flexibilität bei der vertraglichen 25-Stunden-Wochenpräsenz. Andere beabsichtigen, ihre Praxis aufzugeben. Diese Pläne sind mit einer Erst-Hausarzt-Pflicht der Bundesgesundheitsministerin und der Ärzteverbände unvereinbar“, sagte der Stiftungsvorstand zur Stiftungsumfrage.

Diese Pläne sind mit einer Erst-Hausarzt-Pflicht der Bundesgesundheitsministerin und der Ärzteverbände unvereinbar.

Nicht ganz so drastisch sieht das die Bertelsmann Stiftung. Aber auch ihr zufolge würde das im Koalitionsvertrag geplante Primärarztsystem zusätzliche Herausforderungen schaffen. Im Primärarztsystem sollen die Hausärztinnen und -ärzte stärker als Dreh- und Angelpunkt agieren und den Zugang zu Facharztpraxen verbindlich koordinieren. „Es ist grundsätzlich notwendig und sinnvoll, die Patientenströme besser zu steuern", sagt Schwenk. „Wenn Hausärztinnen und Hausärzte diese Aufgabe übernehmen, kostet sie das jedoch Zeit. Deshalb wird es wichtig sein, sie gleichzeitig an anderen Stellen so viel wie möglich zu entlasten.“

Strukturelle Probleme beheben

Nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung sollten die Strukturen und Abläufe im Gesundheitssystem modernisiert werden, statt Versorgungsengpässe durch noch mehr Steuerzuschüsse oder höhere Kassenbeiträge stopfen zu wollen – zumal die Finanzlage der öffentlichen Haushalte sehr angespannt und die Lohnnebenkosten bereits sehr hoch sind. „Um die hausärztliche Versorgung zu sichern, müssen die notwendigen Digitalisierungsmaßnahmen gelingen, unnötige Arztbesuche reduziert sowie neue Formen der fachübergreifenden Zusammenarbeit etabliert werden“, betont Schwenk.

Veränderte Abläufe, die zu weniger Verwaltungsaufgaben und kürzeren Arbeitszeiten führen, können maßgeblich dazu beitragen, Hausärztinnen und -ärzte im System zu halten: Die Mehrheit der Befragten, die aus der hausärztlichen Tätigkeit aussteigen wollen, kann sich vorstellen, unter bestimmten Bedingungen länger im Beruf zu bleiben als geplant. Am häufigsten nennen sie dabei weniger Bürokratie als Voraussetzung, viele wünschen sich zudem geringere und flexiblere Arbeitszeiten.

Wochenarbeitszeit gesunken

Im Schnitt arbeiten die befragten Hausärztinnen und -ärzte derzeit 44 Stunden pro Woche. Diese Wochenarbeitszeit liegt damit zehn Stunden über der durchschnittlichen Arbeitszeit aller Beschäftigen in Deutschland, ist aber im vergangenen Jahrzehnt deutlich gesunken: 2012 arbeiteten Hausärztinnen und -ärzte laut Ärztemonitor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung noch 57,6 Stunden pro Woche.

Die ausführlichen Umfrageergebnisse

Detaillierte Informationen der Befragung durch die Bertelsmann Stiftung und der Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH finden sich im Tabellenband „Wie wollen Hausärztinnen und -ärzte zukünftig arbeiten?“

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