
Die Chefärzte der Kinderkliniken in Baden-Württemberg befürchten, dass ab kommendem Jahr viele Stationen zur Versorgung von sehr kleinen Frühgeborenen schließen müssen. Hintergrund ist eine Änderung der sogenannten Mindestmengenregelung, die der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen beschlossen hatte.
Demnach müssen Kinderkliniken in ganz Deutschland ab 2024 pro Jahr mindestens 25 Frühgeborene unter 1250 Gramm Geburtsgewicht behandeln, um auch weiter die Versorgung der kleinen Frühgeborenen von den Krankenkassen bezahlt zu bekommen. Bislang lag die Mindestmenge bei 14 Frühgeborenen pro Jahr. Für 2023 gilt eine Übergangsregelung von 20.
Hälfte aller Kliniken erfüllt Regelung nicht
Einer Analyse des Chefarzt-Verbandes zufolge hätten die neuen Mindestmengen massive Auswirkungen auf die Versorgungslage in Baden-Württemberg. Bislang gibt es im Südwesten 21 Kinderkliniken, die der höchsten Versorgungsstufe Level 1 zugeordnet sind. In diesen Krankenhäusern, auch Perinatalzentren genannt, können auch besonders früh geborene Kinder versorgt werden. „Bleibt es bei der neuen Mindestmenge, würde das bedeuten, dass elf der 21 Kliniken Kinder unter 1250 Gramm nicht mehr versorgen dürften“, sagte Christian von Schnakenburg, Vorsitzender des Verbands leitender Kinder- und Jugendärzte Baden-Württemberg.
Bleibt es bei der neuen Mindestmenge, würde das bedeuten, dass elf der 21 Kliniken Kinder unter 1250 Gramm nicht mehr versorgen dürften.
In den vergangenen beiden Jahren versorgten diese elf Kliniken knapp ein Drittel aller Frühgeborenen unter 1250 Gramm. Das geht aus einer Erhebung des Verbandes hervor. Wo und von wem diese Kinder künftig versorgt werden sollen, sei völlig offen, warnte von Schnakenburg. Auf die verbleibenden Kliniken könne man die Fälle nicht einfach aufteilen, so von Schnakenburg. Diese Kapazitäten seien gar nicht vorhanden.
Anderes Bundesland, gleiches Problem
Mit seinen Bedenken ist der Verbands leitender Kinder- und Jugendärzte Baden-Württemberg nicht allein. Bereits im Januar 2023 hatte das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg eine Ausnahmegenehmigung für seine Frühchen-Station beantragt. Auch hier befürchtet man Versorgungsengpässe durch die Schließung des Perinatalzentrums. Dem Antrag an die Kranken- und Ersatzkassen wurde jedoch nicht stattgegeben.
Sozialministerium will eingreifen
Das sieht auch das Sozialministerium so. Eine rein rechnerische Betrachtung, wie sie der Bundesausschuss vornehme, halte man für nicht realistisch, sagte ein Sprecher. „Vor allem ist nicht berücksichtigt, ob die verbliebenen Perinatalzentren weitere Kapazitäten haben.“ Die neuen Mindestmengen stellten das Land vor Herausforderungen, sagte der Sprecher.
Vor allem ist nicht berücksichtigt, ob die verbliebenen Perinatalzentren weitere Kapazitäten haben.
Man wolle sich deswegen dafür einsetzen, beim G-BA die Aussetzung von Sanktionen zu erwirken. Langfristig setze man auf die Krankenhausreform, die Bund und Länder derzeit aushandeln. Diese könnte auch bei der Frühchenversorgung sinnvolle Lösungen anbieten, etwa durch eine Vergütung für das Vorhalten bestimmter Strukturen.
Notfallversorgung bringt mehr Gefahren als Sicherheit
Auch auf die Notfallversorgung habe die Neuregelung Auswirkungen, erklärte Chefarzt von Schnakenburg. Diese bleibe für Schwangere und Frühgeborene zwar weiter gesichert, direkt nach der Geburt aber beispielsweise müssten Kind und Mutter so schnell wie möglich in eine andere Klinik verlegt werden. Das sei mit großen Risiken für die kleinen Frühgeborenen verbunden. „Eigentlich sollte man die Kinder in den ersten drei Tagen nicht herumfahren, weil das Risiko für Hirnblutungen in dieser Zeit sehr hoch ist.“
Unklar sei zudem, was der Wegfall vieler Frühgeborenen-Stationen für die Notfallversorgung in anderen Kliniken bedeute. Bislang müssen nur Perinatalzentren einen sogenannten Babynotarzt vorhalten. Mit diesem fahren Kinderärzte aus den Zentren bei Notfällen in Geburtskliniken ohne Kinderklinik, um dort Kinder nach der Geburt zu versorgen. Diese Kinder müssten bei einem Wegfall vieler Frühgeborenen-Stationen deutlich länger auf Hilfe warten, warnte der Chefarzt.





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