Elisabeth Steinhagen-Thiessen erhielt die Ehrung aus den Händen des Staatssekretärs für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach. „Mit ihren außerordentlichen wissenschaftlichen und ärztlichen Leistungen in den letzten 30 Jahren hat sie die Altersmedizin in Deutschland auf ein neues Fundament gestellt und maßgeblich dazu beigetragen, dass sich diese Disziplin in der Klinik sowie in der medizinischen Forschungslandschaft etablieren konnte“, heißt es in der Begründung des Bundespräsidialamtes. „Wir gratulieren Elisabeth Steinhagen-Thiessen sehr herzlich zu dieser großartigen Auszeichnung“, sagte Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin, und fügte hinzu: „Sie hat die Geriatrie an der Charité als Fach etabliert und seit 1996 eines der ersten Geriatriezentren Deutschlands aufgebaut. Elisabeth Steinhagen-Thiessen hat die geriatrische Forschung intensiv vorangetrieben und wesentlich zur Institutionalisierung dieses Fachbereichs in- und außeruniversitär beigetragen.“ Steinhagen-Thiessen engagiert sich in vielen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und wirkt im Expertenrat Demografie beim Bundesministerium des Innern mit. Zudem ist sie seit 2012 Mitglied des Deutschen Ethikrats. An der Charité leitet Steinhagen-Thiessen den Arbeitsbereich Lipidstoffwechsel an der Medizinische Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin. Der Verdienstorden ist die höchste Anerkennung, die die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht. Aus gegebenem Anlass lesen sie im Folgenden ein Interview mit Frau Elisabeth Steinhagen-Thiessen aus dem Jahr 2011.
Elisabeth Steinhagen-Thiessen im Interview
Ihre Patienten dürfen keine Butter essen. Das klingt hart. Doch ihr Optimismus macht die Härte erträglich: Elisabeth Steinhagen-Thiessen ist überzeugt, dass ein gesunder Lebensstil auch das Demenzrisiko senken kann.
Ihr Vater war demenzkrank. Hat das Ihre Sicht auf die Krankheit noch einmal verändert?
Ja, er ist im vergangenen Jahr im November gestorben. Aber zu Ihrer Frage: Nein, seine Krankheit hat mich ganz im Gegenteil darin bestätigt, dass eine frühe Diagnose wichtig ist, und die therapeutischen Möglichkeiten – auch die medikamentösen – in ihrer ganzen Bandbreite auszureizen. Außerdem muss sich die ganze Familie auf die Demenzkrankheit einstellen. Wir haben zum Beispiel auch dafür gesorgt, dass meine Mutter genügend Auszeiten und Entlastung erhält.
Sie haben von einer frühen Diagnose gesprochen – wie früh ist sie überhaupt möglich?
Bayer hat Tracer entwickelt, also kleine radioaktiv markierte Moleküle, die Proteinablagerungen, auch Amyloide genannt, in der Computertomographie sichtbar machen. Das ist für die Diagnostik und die Therapie ein enormer Schritt. Denn mit diesen Tracern können wir einer Demenz schon zehn Jahre vor Einsetzen der ersten Symptome auf die Spur kommen. Bisher war das immer nur post mortem möglich. Wir führen demnächst eine Studie dazu durch und suchen noch Probanden – sowohl Patienten mit fortgeschrittener Demenz als auch Hochbetagte für die Kontrollgruppe, die keine Demenzsymptome aufweisen.
Ist eine so frühe Diagnose für die Betroffenen erstrebenswert? Das bedeutet doch, zehn kostbare Lebensjahre in Angst zu verbringen?
Nicht unbedingt. Denn ein Therapiebeginn direkt nach der Diagnose verzögert das Fortschreiten der Demenz nachweislich um ein Jahr. Hinzu kommt: Bei den Eiweißablagerungen, so glauben Wissenschaftler, handelt es sich um sogenannte agonistische Antikörper, die irgendwann nicht mehr abtransportiert werden. Wenn dies so ist, dann könnten sie sich möglicherweise durch eine Apherese behandeln lassen. Die Apherese ist eine Art Blutwäsche, mit der schädliche Eiweiße und Fette aus dem Plasma herausgefiltert werden können. Wir behandeln damit in der Charité seit Jahren Menschen mit Fettstoffwechselstörungen, indem wir das gefäßschädigende LDL-Cholesterin aus ihrem Blut waschen. Der Vorgang ist ähnlich wie bei der Dialyse, die beim chronischen Nierenversagen vor allem bei Diabetikern eingesetzt wird. Fresenius hat uns nun eine weitere Säule gebaut, mit der wir erstmals versuchen, die agonistischen Antikörper bei Alzheimer-Patienten zu eliminieren. Die Demenz lässt sich so möglicherweise stabilisieren oder verbessern. Auch dazu haben wir gerade eine Studie gestartet, die ELIAD-Studie, für die wir auch noch Teilnehmer suchen. Zwei Voraussetzungen müssen die Probanden erfüllen: Sie müssen bereits Symptome einer leichten Demenz zeigen, und die agonistischen Antikörper müssen in ihrem Blut nachweisbar sein. Ich bin relativ optimistisch, dass es wirkt: Eine Teilnehmerin hat mir bereits berichtet, dass sie sich wie verwandelt fühlt seit der Apherese-Behandlung.
Nun werden aber nicht alle Formen der Demenz durch Eiweißablagerungen hervorgerufen...
Ja, viele Demenzen entstehen durch Arteriosklerose, durch die sogenannte Gefäßverkalkung. Ich glaube, dass diese vaskulär bedingten Demenzen einen höheren Anteil ausmachen als gemeinhin angenommen. Außerdem vermute ich, dass es auch viele Mischformen gibt, bei denen die Eiweißablagerungen durch eine Durchblutungsstörung gefördert werden. Der Morbus Alzheimer, für den die Amyloidablagerungen typisch sind, erscheint nur prominenter, weil von ihm vor allem die Jüngeren betroffen sind. Und sie gehen wegen der Symptome viel eher zum Arzt und erhalten dann auch eine ausformulierte Diagnose. Die Älteren hingegen suchen seltener den Arzt auf, sie und ihre Angehörigen nehmen die Krankheit eher als Alterserscheinung in Kauf – nicht umsonst kursiert ja auch die Formulierung ‚Altersverwirrtheit’. Dabei gibt es auch für die vaskuläre Demenz Medikamente – Arizept zum Beispiel, das für die Alzheimer-Demenz vorgesehen ist. Man könnte den Anwendungsbereich dieses Medikaments erweitern, was allerdings nicht immer ganz einfach ist, weil man die Demenz dafür genau diagnostizieren muss. Dies ist aber bisher fast nur post mortem möglich. Zusammen mit der Radiologie der Charité versuchen wir aber gerade, die vaskuläre Demenz mittels Kernspintomographie darzustellen.
Wie lässt sich Demenz vorbeugen? Man hört immer wieder, Dinge wie geistige Aktivität, ein reges Sozialleben und eine gesunde Lebensführung haben einen positiven Einfluss. Dann wieder aber entsteht der Eindruck, dass es diese Dinge auch nicht sein können – man denke nur an Jens Reich, Heidi Kabel oder Margaret Thatcher...
Fest steht trotzdem: Bestimmte Faktoren haben einen schützenden Effekt, vor allem ein moderater Blutdruck, eine gesunde, vitaminreiche Ernährung mit vielen pflanzlichen und wenigen tierischen Fetten und körperliche Bewegung. Es gibt Studien, die zeigen, dass selbst Pflegebedürftige kognitiv gewinnen, wenn sie Bewegungstraining erhalten. Eine weitere Untersuchung hat gezeigt, dass regelmäßige Bewegung das Demenzrisiko um 30 bis 40 Prozent senkt. Selbst wenn schon eine Demenz vorliegt, kann das Training den Verlauf verzögern. Die Ergebnisse machen Mut, erstaunen aber nicht besonders. Denn durch die Bewegung wird die Durchblutung und damit die Sauerstoffversorgung des Gehirns und anderer Organe verbessert. Das Gros der Älteren bewegt sich einfach zu wenig. Oft fehlt ihnen der Antrieb. Nicht selten hängt dies mit der Demenz zusammen, bei der das Vorderhirn affiziert ist, wo das Zentrum für den Antrieb liegt.
Was können Altenheime tun, um Demenz vorzubeugen beziehungsweise zu verzögern?
Nun, da ist Verschiedenes möglich. Zur Bewegung: Ein Training für jeden Bewohner von 15 bis 20 Minuten drei Mal in der Woche wäre ideal. Ich weiß, das ist nicht einfach umzusetzen, auch aus eigener Erfahrung hier in unserem Altenheim im Evangelischen Geriatriezentrum. Aber ich kann es nur immer wiederholen: Gemeinsames Singen und Lesestunden sind schön, aber reichen als Stimulation allein nicht aus. Der Geist braucht auch körperliche Bewegung, in jedem Alter. Außerdem sollten die Mitarbeiter bei den Hausärzten der demenzkranken Bewohner darauf drängen, dass sie weniger Beruhigungsmittel und mehr Antidementiva verschreiben. Wichtig sind natürlich auch Fortbildungen, sie sollten für alle Mitarbeiter verpflichtend sein. Denn nur wer die Demenzkrankheit versteht, kann sich den Betroffenen gegenüber richtig verhalten und so ihr Wohlbefinden fördern. Ein einzelner Mitarbeiter, der Demenzkranke aus Unwissenheit durch Bemerkungen wie ‚das habe ich Ihnen doch schon fünf Mal gesagt’ mit ihren Defiziten konfrontiert, kann im schlimmsten Fall die gute Arbeit eines gesamten Teams zunichte machen. In letzter Zeit wird mir außerdem immer klarer, dass Supervision ideal wäre – und fast noch wichtiger als Fortbildungen. Bei uns gibt es sie auch nicht, aber ich denke ernsthaft darüber nach, sie einzuführen.


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