Es wäre schön, mal wieder in den Urlaub zu fahren", sagt Eva Frank und schiebt den Rollstuhl ihres Vaters noch ein Stück weiter den Waldweg entlang. Seit fünf Jahren kümmert sie sich um den 87-Jährigen, pflegt ihn rund um die Uhr in ihrer Wohnung, ab und zu unterstützt von einem ambulanten Pflegedienst. "Aber ich kann nicht zwei Wochen zum Wandern in die Berge fahren und meinen Vater dafür in einem Heim abgeben." Da ist sie wieder, die Assoziation "Pflegeheim gleich Abschiebestation", und jenes diffuse Gefühl, einen Angehörigen auch nur für wenige Tage ? in betreuende Hände zu geben, käme einem "Zwischenparken" gleich.
"Tatsächlich hält das schlechte Gewissen viele Pflegende davon ab, ihre Angehörigen mal für ein paar Tage in die Kurzzeitpflege zu geben", beobachtet Sascha Buchinger, Referent für stationäre Altenhilfe beim DRK-Landesverband Baden-Württemberg. Zwar ist die Zahl der Menschen, die Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen, zwischen 2007 und 2009 von 15.000 auf 17.800 gestiegen. Doch gemessen an den rund 1,5 Millionen Pflegebedürftigen, die derzeit zu Hause durch Angehörige und teilweise durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt werden, ist das eine geringe Nachfrage. Zumal in der Statistik auch jene Menschen berücksichtigt sind, die etwa im Anschluss an einen Klinikaufenthalt kurzzeitig zur Nachsorge stationär aufgenommen werden.
Berührungsängste nehmen auf Hotelflair setzen
Dass sich pflegende Angehörige scheuen, Angebote zur Kurzzeitpflege anzunehmen, hat auch Gesundheitsminister Philipp Rösler bei seinem zweiten Spitzentreffen mit Vertretern der Pflegebranche im Februar in Berlin eingestanden. Während der Politiker, der sich die Unterstützung pflegender Angehöriger auf die Fahne geschrieben hat, bereits andere Maßnahmen wie die Förderung gemeinsamer Kuren in Erwägung zieht, würde DRK-Referent Buchinger viel lieber die Berührungsängste mit der Kurzzeitpflege abbauen. Er hat dabei vor allem das langfristige Potenzial für Pflegeheime im Blick: "Wer als Heimbetreiber Kurzzeitgäste zufrieden stellt, gewinnt sie oft auch als spätere Dauerbewohner." Die Kurzzeitpflege als Eintrittstür für einen späteren Heimeinzug ? diese Verbindung hätten erst wenige Heime erkannt. "Kurzzeitpflegeplätze sind leider oft integrierte Angebote. Das heißt, da wird mal eben ein freier Platz im Doppelzimmer mit einem Kurzzeitgast belegt. Das ist für den einzelnen Gast wenig attraktiv."
Knapp 1.600 Einrichtungen halten laut aktueller Pflegestatistik derzeit insgesamt etwa 10.400 Kurzzeitpflegeplätze vor, die meisten als ein Nebenangebot zur Dauerpflege. Hinzu kommen 30.000 Betten aus der Dauerpflege, die bei Bedarf für die Kurzzeitpflege genutzt werden können. Die Gäste auf Zeit erlebten hier wenig Heimeliges. "Viele Zimmer sind lieblos im immer gleichen Schema gestaltet und lassen an Ambiente und Komfort viel vermissen", so Buchinger. Die Wände weiß, die Betten funktional, die Atmosphäre steril. "Dabei braucht es meist nur eine schöne Tapete an der Wand, hübsche Vorhänge, eine Couch und vielleicht eine Cappuccinomaschine ? schon wirkt ein Pflegeplatz viel ansprechender." Und zieht mehr Gäste an, so seine Prognose. Hotelflair im stationären Pflegeheim ? angesichts der Diskussionen um steigende Kosten scheint das eine gewagte Forderung. Buchinger aber kontert: "Eine etwas bessere Ausstattung kostet nicht die Welt. Es gibt zum Beispiel attraktive, aber günstige Holzboden-Imitate aus PVC-Material oder Betten, die nur 500 Euro teurer sind als die üblichen Funktionsbetten, aber gleich ein gewisses Hotelambiente vermitteln." Außerdem ließen sich die Kosten langfristig wieder erwirtschaften. "Ein Heim sichert sich damit nachhaltig die Belegung. Wenn nur einige der Gäste später in die Dauerpflege rübergerettet werden können, dann rechnet sich das locker."
80 Prozent der Gäste kommen wieder
Ähnliches berichtet auch Jan Engelhardt, Geschäftsführer des Seniorenzentrums Wilhelminum und des St. Elisabeth-Heims im niedersächsischen Braunschweig. Beide Einrichtungen verfügen gemeinsam über 124 Betten. Nachdem Engelhardt die Kurzzeitpflege im ersten Heim zehn Jahre lang beobachtet hatte, öffnete er Anfang 2010 auch das zweite Haus für Kurzzeitgäste. "Wir konnten den Zug nicht an uns vorbeifahren lassen", so der Heimleiter. "Belegung lässt sich heute nur durch Kurzzeitpflege sicherstellen." 80 Prozent der Gäste werden später zu Dauerbewohnern, so seine Erfahrung. Fünf bis zehn Gäste hat er pro Jahr, die er in Einzelzimmern unterbringt. Auch er setzt auf Komfort, wenn auch nicht auf pompöse Ausstattung. Seine Kurzzeit-Zimmer seien zwar standardisiert eingerichtet, also mit Bett, Tisch und zwei Stühlen, Schrank, Nachttisch und Telefon. "Aber wir fragen die Angehörigen immer auch, ob sie nicht ein paar persönliche Bilder mitbringen wollen, die wir dann aufstellen oder aufhängen können." Oft seien es jedoch die Angehörigen, die sich gegen zuviel persönlichen Touch sträuben. "Die sagen dann: ?Mein Vater ist doch eh bald wieder zu Hause, das lohnt sich nicht.? " Kalkuliert werden die Kurzzeitpflegeplätze wie die Dauerplätze, belegt sind sie ohnehin fast immer. "Ich habe schon eine Warteliste anlegen müssen."
Dabei hat gerade Niedersachsen im Rahmen einer Haushaltskonsolidierung die Förderung für die Kurzzeitpflege gekappt: Bislang hatte das Land die Investitionskosten für einen Pflegeplatz übernommen, die landesweit durchschnittlich bei 16 Euro pro Tag der Unterbringung liegen. Seit Jahresbeginn gibt es den Zuschuss nur noch für einen Aufenthalt in solitären Einrichtungen, also in den landesweit 22 Heimen, die sich auf Kurzzeitpflege spezialisiert haben. Allerdings scheinen diese Pflegehotels nicht die Lösung zu sein: 2007 gab es bundesweit 279, zwei Jahre später nur noch 236. Buchinger beschreibt ihre Situation als "finanziell häufig kritisch".
Angehörige aktiv umwerben
Der Nachfrage in seinen Heimen habe die Mittelkürzung kaum geschadet, so Jan Engelhardt. Einen festen Trakt nur für Kurzzeitpflege will er dennoch nicht einrichten. "Wir haben das mal in Erwägung gezogen, aber die Belegung ist zu schwierig." Sich zuspitzender Andrang in den Ferien, aber wenig Nachfrage in den übrigen Zeiten ? das sei kaum kalkulierbar. Alles eine Frage der Organisation, hält Buchinger dagegen. Sein Konzept: eine moderierte Urlaubsplanung. Einrichtungen sollten nicht warten, bis Angehörige zu ihnen kommen, sondern sie aktiv umwerben. Und das am besten gleich zu Jahresbeginn: "Heime sollten einen Gesprächstermin einberufen, vielleicht bei Kaffee und Kuchen, Anbieter von ambulanten Diensten dazubitten und dann ihre Dienste vorstellen." Und vor allem: den bevorstehenden Urlaub ansprechen. "Heime können etwa einen Platz garantieren, wenn dieser zeitnah gebucht wird", so Buchinger. "Das Signal sollte sein: Das Pflegeheim fungiert ganzjährig als verantwortlicher Begleiter für Pflegefamilien."
Rücksicht auf Dauerbewohner nehmen
Soviel Marketing betreibt Engelhardt bewusst nicht. Ein Hinweis auf der Homepage und eine Erwähnung im Werbeflyer ? das war es fast schon. "Klar, wir haben die Sozialarbeiter in den Krankenhäusern informiert, damit die gegebenenfalls Patienten zu uns schicken." Mehr sei nicht nötig. "Wenn ich noch mehr Werbung mache, muss ich bald Feldbetten aufstellen." Ohnehin sei eine zu hohe Anzahl an Kurzzeitgästen nur eine Belastung für die Dauerbewohner. "Wir integrieren beide Gruppen, das heißt, die Kurzzeitgäste können bei uns an allen Betreuungsangeboten teilnehmen." Wenn aber ständig neue Mitbewohner auftauchten, würde das Unruhe hineinbringen. "Das würden die Dauerbewohner nicht mögen." Und die dürfe man schließlich bei allem Engagement für Kurzzeitpflege nicht vergessen.
Weitere Informationen finden Sie in der aktuellen Ausgabe der kma-Pflege.


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