Frank Dickmann ist Rechtsanwalt. Sich durch Aktenordner arbeiten, Vorgänge dokumentieren – das ist für ihn Alltag und Notwendigkeit. Nie würde ihm einfallen, sich darüber zu beklagen. Doch wenn es um die Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) geht, ärgert selbst er sich: "Im Gesetz steht, es komme auf die Lebensqualität und das Ergebnis an. Doch damit hat der MDK-Katalog wenig zu tun. Wer vielleicht nur zu schusselig ist, etwa für die Frage 63, ob sich die Portionsgrößen an den individuellen Bedürfnissen der Bewohner orientieren, ein Konzept zu formulieren und zu dokumentieren, erhält eine schlechte Note – auch wenn er in der Praxis alles richtig macht." Auch Claudia Appelt, Sprecherin der Caritas Altenhilfe in Berlin, kritisiert, dass der MDK zu wenig auf die Ergebnisqualität schaut.
Trotzdem: Wer eine gute Note möchte, der muss sich auf die Spielregeln des MDK einlassen. Die Caritas Altenhilfe hat auch aus diesem Grunde ihre gesamte Dokumentation systematisiert und im Umfang reduziert. Die wesentliche Änderung besteht darin, dass die Pflegekräfte die Pflegeplanung und die täglichen Leistungsnachweise kaum mehr frei formulieren, sondern nur noch zutreffende, vorformulierte und standardisierte Aussagen ankreuzen. Im neuen Dokumentationsschema sind 42 Kernaspekte auf 13 Aktivitäten des täglichen Lebens verteilt. Diese sind auf zwei Din-A3-Bögen zusammengefasst. Handschriftlich dokumentieren die Mitarbeiter nur noch Besonderheiten, Gewohnheiten und Vorlieben der Bewohner.
Vor der Einführung ihres neuen Systems hat die Caritas Altenhilfe den MDK und die Heimaufsicht um ihre Meinung gebeten. Das Echo war positiv. Dies hat sicherlich beigetragen zu den guten Noten: Die Heime der Caritas Altenhilfe rangieren auf einer MDK-Noten-Rangliste von 100 Einrichtungen, die die "Bild"-Zeitung Mitte April veröffentlicht hat, weit oben. Zusammen mit dem Seniorenhaus Bernhard-Lichtenberg-Haus und dem Seniorenzentrum Kardinal Bengsch besetzt die Caritas sogar Platz eins und zwei.
Die Erfahrungen der Caritas Altenhilfe belegen nicht nur, dass eine systematische, standardisierte Dokumentation die Aussicht auf eine gute Note erhöht. Sie zeigen auch: Eine Systematisierung spart Zeit. "Auf Basis der ebenfalls einheitlich vorstrukturierten Anamnese ist die erste Pflegeplanung deutlich rascher zu erstellen – durchschnittlich ist eine bis eine Dreiviertelstunde weniger Zeit nötig. Hinzu kommt: Ist die Pflegeplanung erst einmal erstellt, kann sie mit einer einfachen Methode drei Mal evaluiert werden. Die Evaluation beansprucht jetzt eine und eine Dreiviertelstunde weniger Zeit", heißt es in einem Bericht der Caritas Altenhilfe. Auch die Verlaufsdokumentation ist einfacher geworden, weil die "monatliche Fleißaufgabe, die Maßnahmen aus der Pflegeplanung in die Leistungsnachweise zu übertragen, entfällt". Monatlich sparen die 15 Caritas-Heime im Erzbistum Berlin dadurch 20 Minuten pro Pflegedokumentation.
Mehr als eine halbe Stelle Zeitersparnis
Die Caritas Altenhilfe ist erfolgreich mit ihrer handschriftlichen Dokumentation. Sie hat sich gegen ein elektronisches System entschieden – unter anderem wegen mangelnder Affinität der Mitarbeiter zur digitalen Welt. Doch eine elektronische Dokumentation mit einer speziellen Pflegesoftware kann die Zeitersparnis weiter steigern. So hat die Awo Weser-Ems durch die elektronische Pflegeprozessplanung eine 60-Prozent-Stelle an Zeit in einer Einrichtung mit 60 Plätzen gewonnen. "Viele Sachen, die normalerweise sehr aufhalten, fallen jetzt weg – wie das Formblatt kopieren, den Kopf der Blätter ausfüllen, Befunde abheften und das Stammblatt erneuern", sagt Sozialreferent Eckart Kroon. Die Software spart aber nicht nur Zeit: Sie verbessert auch die Qualität. Die Awo Weser-Ems arbeitet mit dem System Apenio, das das Unternehmen Atacama zusammen mit der Interdisziplinären Alterns- und Pflegeforschung (IAP) der Universität Bremen entwickelt hat und das wie viele andere Systeme die Pflegekräfte warnt und auf wichtige Dinge aufmerksam macht. "Auf Papier kann man eine anstehende Pflegeevaluation bequem übersehen, bei unserem System ist das nicht möglich. Ein weiteres Beispiel: Bei einer richterlichen Anweisung, etwa für freiheitsentziehende Maßnahmen, warnt das System mich, wenn diese ausläuft", sagt Kroon.
Dass eine EDV-gestützte Dokumentation die Qualität fördert, bestätigt die Chefin des Qualitätsmanagements des Kuratoriums Wohnen im Alter (KWA) in München, Monika Nirschl. So ermöglicht auch ihre Software Sinfonie des Herstellers Systemhaus für Integration (SHI), Kennzahlen zu extrahieren. Dies erlaubt, ohne zeitraubendes Wühlen in Formularen präzise auf die Fragen der MDK-Prüfer zu antworten. "Wir können viele Ergebniskennzahlen herausfiltern und beispielsweise auf Knopfdruck erfahren, wie viele Bewohner mit PEG-Sonde, Dekubitus und Kontrakturen versorgt werden. Auch kann sich eine Leitungskraft, die aus dem Urlaub kommt, ganz schnell einen Überblick über die kritischen Ereignisse in ihrer Wohneinheit verschaffen." Immer wieder helfen die Ergebniskennzahlen, den Pflegeprozess besser zu steuern, wie vor kurzem, als sich in einer Einrichtung herausstellte, dass die meisten Stürze donnerstags vormittags stattfinden. Der Grund war schnell gefunden: Zu dieser Zeit kommt der Priester in die Einrichtung und die Bewohner strömen auf einem unzureichend beleuchtetem Weg in den Andachtsraum. "Wir haben dann die Beleuchtung verbessert und eine Begleitung in den Andachtsraum sichergestellt. Teilweise unterstützen die Bewohner sich jetzt auf dem Weg gegenseitig", erzählt Nirschl.
Bessere Karten gegenüber der Pflegekasse
Das Herausfiltern von Kennzahlen ist für das KWA auch aus wirtschaftlichen Gründen wichtig. Nur so kann das Unternehmen beurteilen, ob der Erlös in einem angemessenen Verhältnis zum Pflegeaufwand steht. "Sobald dies aus dem Gleichgewicht gerät, muss bei der Wohnbereichsleitung auf dem Bildschirm eine rote Ampel leuchten. Die Frage ist dann: Passt sie die Leistung an oder muss die Pflegeeinstufung verändert werden?" Dass die Software den Pflegeprozess mit den tatsächlichen Leistungen verknüpft und dies zusammen mit der wirtschaftlichen Situation verbindet, ist besonders für ambulante Pflegedienste mit Blick auf die Tourenplanung wichtig. "Wir Berater beobachten immer wieder, dass mehr geleistet als abgerechnet wird. Wenn es einen Bedarf gibt, wird gehandelt, bevor eine Genehmigung vorliegt", sagt Johannes Woithon, Geschäftsführer der Unternehmens- und IT-Beratungsfirma Consolutions.
Das sei aus ethischer Sicht zu begrüßen. Doch müsste die zusätzliche Leistung auch erfasst werden, was mithilfe einer Pflegesoftware besser gelingt, weil diese – bei guter Konzeption – am Ende immer noch einmal fragen würde, ob die Pflegekraft Außerplanmäßiges geleistet hat. Ist die Leistung erst einmal erfasst, lässt sich gegenüber der Pflegekasse besser argumentieren – auch, weil die Authentizität der Einträge hoch ist. Schließlich ist ein Nachdokumentieren bei elektronischen Systemen nicht möglich. Vor allem aber würde es eine Rückkoppelung zur Pflegeplanung geben, so dass die gesamte Einstufung auf den Prüfstand gestellt würde. "Oft ist die Pflegeplanung fachlich nicht richtig: Sie orientiert sich zu wenig an Pflegediagnosen. So kommt es oft vor, dass zwar ein Dekubitusrisiko diagnostiziert wird, aber die sich daraus ergebenden Pflegeleistungen in die Planung nicht aufgenommen werden – obwohl entsprechende Tätigkeiten tatsächlich erbracht werden", sagt Woithon. Aus diesem Grunde ist es auch wichtig, beim Kauf der Software darauf zu achten, dass sie mit Experten- und Pflegestandards hinterlegt ist und bei jeder Pflegediagnosen mögliche passende Maßnahmen vorschlägt.
Einheitliche Sprache ist wichtig
Kennzahlen filtern, die wirtschaftliche Situation darstellen und eventuell die Dienstplangestaltung unterstützen – alles dies kann eine Software aber nur, wenn die Pflegekräfte in einer einheitlichen Sprache dokumentieren. Manche Hersteller entwickeln deshalb zusammen mit dem Träger eine systematische Terminologie, andere beziehen sich auf bestehende Pflegefachsprachen. So orientiert sich Apenio von Atacama am ICNP an der internationalen Klassifikation für die Pflegepraxis, die von der WHO anerkannt ist. Diese Sprache hat den Vorteil, dass sie – wie das Dokumentationssystem der Caritas Altenhilfe – größtenteils durch Ankreuzen funktioniert. So gibt es unter dem Punkt Schluckstörungen genau beschriebenen Schweregrade, die Kategorie "schwere Beeinträchtigung" ist etwa beschrieben durch "verschluckt sich bei jeder Nahrungsaufnahme". Auf diese Weise wird auch die individuelle Wahrnehmung einer jeden Pflegekraft so weit wie möglich objektiviert. Außerdem ist das System zeitsparend, weil es mögliche Antworten vorgibt und eigene Formulierungen überflüssig macht.
Konsequent auf Zettel verzichten
Wer sich für die elektronische Dokumentation entscheidet, sollte dies allerdings konsequent tun. In jeder Schicht sollte jede Pflegekraft mit einem mobilen Eingabesystem ausgestattet sein, empfiehlt Atacama-Geschäftsführer Jürgen Deitmers. Anderenfalls ist der Nutzen gefährdet, weil Papiernotizen verloren gehen oder falsch übertragen werden. Außerdem erhöht sich der Zeitaufwand für die Verlaufsdokumentation. Es muss allerdings kein I-Phone, I-Pad-Touch oder Tablet PC sein. Ein normales Laptop reicht völlig, meint Kroon von der Awo Weser-Ems. "Wir haben zuerst mit Kosten in Höhe von 800.000 Euro für die gesamte Hard- und Software in unseren 19 Einrichtungen mit ihren insgesamt 2.023 Plätzen gerechnet. Denn wir sind von aufwendigen Tablet PCs ausgegangen. Mit Laptops liegen wir deutlich darunter: Wir werden weniger als die Hälfte zahlen."
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift kma Pflege erschienen. Eine Übersicht aller Inhalte der Ausgabe finden sie hier. Falls Sie Fragen oder Anregungen zur kma Pflege haben, können Sie sich gerne an die Redaktionsleiterin Kirsten Gaede wenden: kirsten.gaede@kma-medien.de


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