
Als sich abzeichnete, dass der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sich bei der Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen nicht einigen können, wurde das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) selbst tätig. Mit einer Verordnung gab es vor, wie viele Pflegekräfte sich in den Bereichen Intensivmedizin, Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie um Patienten kümmern müssen, differenziert nach Tag- und Nachtschicht sowie Wochenend- beziehungsweise Feiertagsschichten. Jeden Monat müssen die Krankenhäuser nun einen Nachweis über die Einhaltung der Pflegepersonaluntergrenzen erbringen und quartalsweise den Krankenkassen sowie dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) vorlegen. Dass diese aufgezwungene Regelung nicht mit Begeisterung aufgenommen werden würde, war klar.
„Das Thema Dienstpläne in Krankenhäusern ist mit Konflikten beladen. Da reden Personalabteilung und Pflegedienstleitung mit und es kommt zu Kompetenzstreitigkeiten. Wenn dann jetzt auch noch das Ministerium mitmischt ist klar, dass das vielen ein Dorn im Auge ist“, weiß Mark Lohrer, Geschäftsführer der TDA-HR. Das Unternehmen bietet komplexe HCM-HR-Software (Health Care Management), also Personalverwaltungs-Lösungen für Krankenhäuser, Altenpflegeheime und stationäre Reha-Einrichtungen an. Er steht im ständigen Kontakt mit den mehr als 200 Kunden und weiß um die Stimmung zu diesem Thema. Dennoch weist er, wenn das Thema angeschnitten wird, immer daraufhin, dass trotz der etwas unglücklich gelösten Verordnung das Wichtige nicht in den Hintergrund treten darf. „Auch wenn die PpUGV und die Personalschlüssel fragwürdig sind, so hat sie doch auch einige Chancen für die Branche zu bieten“, findet er.
Festgelegte Untergrenzen sorgen für Transparenz
Stichwort Transparenz. Die festgelegten Untergrenzen und der Nachweis zur Einhaltung sollen ein Instrument sein, um eine gute Pflege und die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Das Regelwerk wird ab Januar 2020 noch mit dem Ganzhausansatz erweitert. Das heißt, es werden Untergrenzen für alle Abteilungen festgelegt. Der dann ermittelte „Pflegepersonalquotient“ gibt Aufschluss darüber, ob eine Klinik, gemessen am Pflegeaufwand, viel oder wenig Personal einsetzt. Hält sich ein Krankenhaus nicht an die Werte, drohen Sanktionen. Diesen Ansatz hält Lohrer für positiv. Er stimmt aber mit den Krankenhäusern darin überein, dass die Art und Weise wie die Daten ermittelt werden, verbesserungswürdig ist. Im Moment gilt die Stichpunktregel. Das heißt, um Mitternacht werden die Patienten- und Belegungsdaten gegenübergestellt, um zu ermitteln, ob das von der Verordnung geforderte Verhältnis eingehalten wurde. „Diese Stichpunktregelung spiegelt die Realität aber nicht wider. Wird zum Beispiel um 3 Uhr morgens ein verunglückter Motorradfahrer eingeliefert, der das Personal der Intensivstation den ganzen Tag beschäftigt, der aber zum Beispiel im Laufe des Tages in eine andere Klinik verlegt wird oder sogar verstirbt, dann wird er bei der nächsten Gegenüberstellung um Mitternacht gar nicht erfasst“, schildert Lohrer. Um zu verhindern, dass solche in einem Krankenhaus alltäglichen Fälle durch die Statistik rutschen, müssten die kompletten 24 Stunden des Dienstplanes der Aufenthaltsdauer des Patienten gegenübergestellt werden.
Berechnungsgrundlage für Untergrenzen muss überdacht werden
Bestenfalls können die fachlichen Vorgaben der Verordnung als Indiz oder eine Art Richtlinie für Dienstpläne gelten und so bei der Personalplanung hilfreich sein, findet der Spezialist für Personal- und Einsatzplanung im Health Care Sektor. Aber auch dieser Punkt wird von den Fachgesellschaften sehr kritisch gesehen. Denn als Berechnungsgrundlage für die Untergrenzen wurde die Personalaustattung der an den schlechtesten abschneidenden Krankenhäusern zu Grunde gelegt; diese machen bundesweit ca. ein Viertel aller Häuser aus. Kliniken mit besserem Personalschlüssel können jetzt sogar Personal einsparen und erfüllen trotzdem die gesetzlichen Vorgaben.
Überhaupt nutzen alle gut gemeinten Verordnungen wenig, wenn auf dem Arbeitsmarkt zu wenig Pflegepersonal vorhanden ist. Derzeit dauert zum Beispiel die Wiederbesetzung einer Stelle in der Altenpflege laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft durchschnittlich 170 Tage und in der Fachkrankenpflege 194 Tage. Dieses Problem kennt auch Lohrer aus erster Hand. „Um die Vorgaben der PpUGV zu erfüllen, sind manche Einrichtungen gezwungen, nur unzureichend geschultes Personal einzustellen. Das wiederum geht zu Lasten einer ‚guten’ Pflegekraft, die nun die Arbeitslast von zwei Kräften zu tragen hat und eine Aufsichtspflicht erfüllen muss. Das führt wirklich nicht zum gewünschten Ergebnis der Verbesserung der Pflege und Personalentlastung“, spricht Lohrer aus Erfahrung.
Positiver Aspekt: Krankenhäuser führen elektronische Zeiterfassung ein
Ganz klare Vorteile und Chancen sieht er hingegen beim Thema Zeiterfassung, einem Politikum in Krankenhäusern. Viele Geschäftsführungen weigern sich sogar, eine transparente Zeiterfassung zum Beispiel mit einem Webportal einzurichten und setzen auf Vertrauensarbeitszeiten. „In Schichtbetrieben wie Krankenhäusern kann es keine Vertrauensarbeitszeiten geben“, argumentiert Lohrer. Da sei ein neutrales und transparentes Mittel wie eine elektronische Zeiterfassung und das elektronische Erstellen von Dienstplänen absolut unerlässlich. Die Einführung der PpUGV habe tatsächlich dazu geführt, dass die Krankenhäuser nun transparenter mit einer Zeiterfassung arbeiten. Ein durchaus positiver Aspekt, der Abläufe im Krankenhaus vereinheitlicht und veraltete Excel-Tabellen abschafft.
Ob die Untergrenzen nun tatsächlich eingehalten werden oder nicht, hängt ganz von der Klinikleitung ab, denn Statistiken können natürlich gefälscht werden, um die Verordnung zu erfüllen. Pflegepersonal wird mancherorts einfach von Stationen ohne Untergrenzen auf Stationen mit Untergrenzen verschoben. Damit ist weder Personal noch Patienten geholfen, aber die Vorlage wird erfüllt und das Krankenhaus muss nicht mit Vergütungsabschlägen beziehungsweise Fallzahlreduzierungen rechnen.
„Insgesamt gesehen hat die Verordnung gute Ansätze, aber in der Praxis ist es nicht gut durchdacht. Die Branche ist orientierungslos und benötigt Unterstützung um die Arbeit in den Verwaltungen zu vereinfachen“, so Lohrer. Aber ab Januar 2020 weiß niemand genau wie es weitergeht, denn die Verordnung für pflegesensitive Krankenhausbereiche gilt bis zum 31. Dezember 2019. Die Fortführung und Weiterentwicklung der Pflegepersonaluntergrenzen ab 2020 müssen die Selbstverwaltungspartner nach Anweisung des Bundesgesundheitsministeriums selbst regeln. Dass es dann realistischer wird und eine wirkliche Verbesserung der Situation der Pflegekräfte und Patienten eintritt, hofft nicht nur der Software-Experte. Für den Moment jedoch lassen verbindliche Vorgaben zu diesem Thema noch auf sich warten.





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