Der Umgang der Politik mit dem Pflegeberufegesetz ist aus Sicht der Pflegepraxis ein Desaster. Dieses Gesetz wird nun seit vier Jahren über mehrere Legislaturperioden hinweg diskutiert. Das Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe lag bereits am 1. März 2012 vor. Doch es wird voraussichtlich erst am 1. Januar 2019 in Kraft treten. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass die Pflegeverantwortlichen dringend Klarheit brauchen: Sie müssen wissen, wie die Ausbildung künftig gestaltet wird und wie sie die damit verbundenen Veränderungen im Klinikalltag und in der pflegerischen Versorgung managen. Auch das Pflegemanagement in den weiteren Pflegesektoren braucht endlich Entscheidungsgrundlagen, um die Zukunft der Pflege- und Funktionsdienste zu gestalten. Was die Verzögerung besonders brisant macht: Mit den ersten Absolventen der Ausbildung ist nun frühestens im Jahr 2022 zu rechnen. Das bedeutet eine zehnjährige Diskussions- und Umsetzungszeit. Sie ist unverantwortlich, weil die Situation im Gesundheits- und Pflegewesen sich heute kontinuierlich dramatisch verändert.
Verdi bei der Anhörung gleich zweimal vertreten
Als Grund für die Verzögerung nannte der Bundestag auch die „gewaltige Komplexität des Gesetzes“. Es mag aber auch an der Komplexität der letzten Anhörung am 30. Mai gelegen haben: Es wurden sage und schreibe 61 Institutionen und 7 Experten eingeladen. Das dürfte ein neuer Rekord sein. Da erstaunt es nicht, dass sich Ende April dieses Jahres die Beratung im Bundestag unter anderem mit der Begründung verzögerte, es sei für die öffentliche Anhörung kein Raum in der erforderlichen Größe zu finden. Während der Anhörung prallten die unterschiedlichsten Interessen aufeinander, Dutzende Lobbyisten traten in Erscheinung, die mehr oder weniger kompetent sind, um die pflegerische Situation wirklich in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Um nur einige zu nennen: die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB), der Pflegeselbsthilfeverband und der Verband Deutscher Privatschulverbände. Interessanterweise war die Gewerkschaft Verdi, ein vehementer Gegner der Generalistik, gleich zweimal vertreten: Sie kam als Verband zu Worte und außerdem durch den Einzelsachverständigen Gerd Dielmann, der früher einmal den Verdi-Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen leitete. So konnten zahlreiche Institutionen und Anbieter in ihren Stellungnahmen ihre Interessen zum Ausdruck bringen, die sich überwiegend auf die Finanzierung der Ausbildung bezogen. Das dient der Sache nicht: Bei der Entscheidung über dieses Gesetz sollten vor allem pflegefachliche Grundlagen der Ausbildung und langfristige inhaltliche Ziele den Ausschlag geben.
Krankenpflegegesetz 2004 war der Sündenfall
Sicherlich: Einige Verbände und Experten haben auch inhaltliche Einwände vorgetragen. So ist die Kritik an der weiteren „Vertheoretisierung“ der Ausbildung durchaus berechtigt. Doch sie richtet sich bei genauerer Betrachtung im Kern nicht gegen die neue generalistische Pflegeausbildung, sondern gegen das Krankenpflegegesetz 2004. Mit diesem wurden insgesamt 500 Stunden der praktischen Ausbildung in die Theorie verlagert, . Dieser Sündenfall hat selbstverständlich Folgen: Pflegemanager beobachten, dass frisch examinierte Pflegekräfte praktisch nicht mehr in dem Maße wie eigentlich notwendig für den Einsatz in den unterschiedlichsten Pflegebereichen qualifiziert sind.
Doch das Problem lässt sich relativieren, denn inzwischen hat sich das Prinzip Lebenslanges Lernen durchgesetzt – und dieses setzt oft gleich nach der Ausbildung ein: Bereits in dieser Phase beginnen viele Mitarbeiter eine Fort- oder Weiterbildung. Und es sind gerade diese Möglichkeiten, die den Beruf attraktiv machen, aber auch verdeutlichen, wie wichtig ein Pflegeberufegesetz ist, das auch die unterschiedlichen Curricula zur pflegefachlichen akademischen Qualifizierung sowie die unterschiedlichen Modellversuche zu pflegeentlastenden Diensten – wie die zweijährige Ausbildung zum Pflegeassistenten – regeln sollte. Dies gilt selbstverständlich auch für die grundständige akademische Pflegeausbildung. Im Übrigen richten wir uns im Klinikum Karlsruhe darauf ein, dass wir für die Absolventen der generalistischen Ausbildung ein strukturiertes Einarbeitungsjahr, wohlgemerkt unter voller tariflicher Vergütung, entwickeln und umsetzen werden müssen.
Auch wenn das Gesetzgebungsverfahren noch dieses Jahr abgeschlossen werden soll: Die Tatsache, dass es erst 2019 in Kraft treten wird, weist auf einen erheblichen Klärungsbedarf und Umsetzungsprobleme hin, insbesondere bei der Finanzierung, aber auch bei der endgültigen Ausgestaltungs- und Prüfungsverordnung. Diese Schwierigkeiten werden nicht einfacher, wenn – wie es im Sommer geschehen ist – sechs Dutzend Interessenvertreter an der Diskussion beteiligt werden.
Den gesamten Expertenbeitrag lesen Sie in der aktuellen September-Ausgabe der kma.


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