Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

Corona in Italien„Wenn hier Menschen sterben, dann sterben sie allein“

Die Nachrichten senden dramatische Bilder aus Italien. Wir haben mit einer Krankenpflegerin* aus der Hafenstadt Genua gesprochen. Sie arbeitet in einem der größten Krankenhäuser Liguriens und berichtet über die schreckliche Situation, die sie und ihre Kollegen irgendwie bewältigen müssen.

Intensivstation
Michelle/stock.adobe.com
Symbolfoto

kma: Haben Sie Angst, zur Arbeit zu gehen?

Krankenpflegerin: Natürlich besteht eine gewisse Angst, zur Arbeit zu gehen – vor allem, weil Schutzkleidungen und Atemmasken hier mittlerweile kaum mehr ausreichen. Die Sorge, dass wir mit Corona-Fällen ohne jeden Schutz in Kontakt gekommen sind und uns angesteckt haben, hat sich mittlerweile bestätigt, denn viele Kollegen sind hier positiv getestet worden. Das Problem ist letztlich, dass viele schon lange positiv waren, ohne es zu wissen. Viele haben sich angesteckt, bevor sie wussten, dass unsere „normalen“ Lungenpatienten tatsächlich Covid-Patienten sind. Sie haben also Covid-19 mit nach Hause gebracht und ihre Verwandten und Bekannten angesteckt. Ich wurde vorgestern vorsichtshalber unter Quarantäne gestellt und meine ganze Familie gleich mit, weil sie mit mir in Kontakt stehen. Ob ich positiv bin, weiß ich erst, wenn ich das Ergebnis des Abstrichs erhalte.

kma: Wie viele Ihrer Kollegen sind bereits in Quarantäne?

Krankenpflegerin: Tatsächlich bin ich hier nicht mehr auf dem allerneuesten Stand, denn wie Sie sich vorstellen können, ändert sich die Situation täglich. Laut den letzten Daten, die ich gesehen habe, gab es 80 positive Personaltestungen. Aber das war von vor ein paar Tagen, und jeden Tag werden mehr Menschen infiziert.

kma: Wie ist die allgemeine Situation im Krankenhaus?

Krankenpflegerin: Das Krankenhaus, in dem ich arbeite, steht vor einer permanenten Umbruchsituation. Viele Abteilungen werden geschlossen, weil viele dort Corona-Patienten sind und sich diese dann automatisch in Abteilungen für Infektionskrankheiten verwandeln. Die Anzahl der Betten ist zwar ausreichend, aber es fehlt eben an Personal – außerdem sind auch die Reanimationsplätze in den Intensivstationen sehr begrenzt. Im Moment organisiert man sich, um deren Anzahl zu erhöhen. Aber dafür bräuchten wir eigentlich mehr Ausrüstung und mehr Zeit. Gerade in Abteilungen mit komplexeren Fällen, in denen wir Patienten behandeln, die zusätzlich auch andere Erkrankungen haben, ist diese Grenze jetzt erreicht.

kma: Wie viele Stunden pro Tag müssen Sie und Ihre Kollegen im Durchschnitt arbeiten?

Krankenpflegerin: Die Arbeitszeit pro Krankenschwester beträgt eigentlich 7,5 Stunden pro Tag. Das Problem ist, dass viele jetzt Doppelschichten fahren, sodass sie derzeit rund 15 Stunden täglich arbeiten.

kma: Standen Sie schon einmal vor der Situation, dass Patienten sterben mussten – weil sie nicht behandelt werden konnten oder die Kapazität des Krankenhauses nicht ausreichte?

Krankenpflegerin: Nein, bisher war ich noch nie in einer Situation, in der ich Patienten zum Sterben zurücklassen musste. Es wird hier immer alles Menschenmögliche getan, um jedem das Recht auf eine Behandlung zu garantieren. Dass es in anderen Regionen zu solchen Situationen gekommen ist, mag stimmen, aber dass wir an unserem Krankenhaus Menschen einfach dem Tod überlassen, stimmt nicht.

kma: Wie ist die psychologische Situation ihrer Kollegen?

Krankenpflegerin: Psychologisch gesehen gibt es viele Aspekte zu berücksichtigen. Einer davon ist sicherlich die Müdigkeit, nicht nur die körperliche, sondern auch die emotionale. Die Arbeit ist anstrengend, jeden Tag finden wir uns in Situationen wieder, die das Gefühl vermitteln, dass es bergab geht – sodass die Sorge, krank zu werden, die Sorge, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht effizient und effektiv genug zu sein und den Anforderungen nicht mehr gerecht werden zu können, immer größer wird. Man wird nervös und auch ein bisschen wütend, weil in manchen Fällen bestimmte Situationen eigentlich vorhergesehen werden konnten. Vielleicht sind das nur Einzelfälle, aber das Problem eines Einzelnen wird zu einem Problem für die gesamte Gemeinschaft. Wenn Sie einen Patienten versorgen, dessen Abstrich falsch gemacht oder der zu spät untersucht wurde, hat er bereits potenziell zehn Personen, einschließlich Personal und andere Patienten, infiziert. Sagen wir es so: Die Situation ist ziemlich ernst. Auf der anderen Seite gibt es einen sehr starken Geist der Solidarität zwischen den Pflegenden und der Ärzteschaft. Es gibt keine Kritik, keine Kontroversen, keinen Streit, alle arbeiten sehr konzentriert, sind sehr aufmerksam und unterstützen sich gegenseitig.

Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen