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kma im InterviewDas Digitale Versorgung Gesetz wird Tempo in den Markt bringen

Mit dem Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung Gesetz) will Bundesgesundheitsminister Spahn digitale Angebote im Gesundheitswesen vorantreiben. Wir haben mit Herrn Frank Sarangi, Fachanwalt für Medizinrecht, über das geplante Gesetz gesprochen.

Frank Sarangi, Anwalt für Medizinrecht
Jorzig Rechtsanwälte
Frank Sarangi, Fachanwalt für Medizinrecht

Herr Sarangi, wie viel Innovation steckt wirklich in dem geplanten Digitale Versorgung Gesetz?

Sehr viel. Die Begründung führt nämlich schon zu Beginn aus, dass unser aktuelles Gesundheitssystem digitalen Entwicklungen hinterherhinkt und daher dynamischer und schneller werden muss, um digitale Versorgungsmöglichkeiten und Innnovationen zeitig in die Regelversorgung zu bekommen. Im Referentenentwurf heißt es dazu, dass unser aktuelles Gesundheitssystem nur bedingt adaptiv und agil für die Fortentwicklung der Technologie sei. Bereits diese gesetzgeberische Intention verdeutlicht für mich, dass der Bundesgesundheitsminister selbst eine klare Dynamik mit dem gesetzlichen Vorhaben erreichen will.  

Als Beispiel ist hier etwa die Möglichkeit der „App auf Rezept“ zu nennen. Versicherte sollen zukünftig mit dem geplanten § 33 a SGB V einen Anspruch auf die Versorgung mit Medizinprodukten niedriger Risikoklasse, konkret der Risikoklasse I und II a der Medical Device Regulation, haben. Hierunter fallen auch bestimmte Apps aber auch weitere Medizinprodukte. Als Oberbegriff hierfür nutzt der Referentenentwurf hier die Formulierung „digitale Gesundheitsanwendungen“. Dabei handelt es sich um Medizinprodukte niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht.  

Innovativ ist auch das Ziel, Daten der elektronischen Patientenakte portabel zu machen. Aktuell gibt es dort wegen der fehlenden Interoperabilität keinen einheitlichen Standard. Mit dem neuen § 291 h SGB V will Bundesgesundheitsminister Spahn eben auch hier Dynamik in den Prozess bringen.  

Welche Bedingungen muss denn eine App erfüllen, um per Rezept verschrieben werden zu können und wer prüft, ob diese Bedingungen erfüllt werden?

Für die Aufnahme in die Regelversorgung im Sinne von § 139 a SGB V muss eine App fünf Voraussetzungen erfüllen. Sie muss zunächst überhaupt als Medizinprodukt und nicht als bloße stand alone Software qualifiziert werden. Weiter muss die App positive Versorgungseffekte nachweisen und bestimmte Grundanforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität erfüllen. Was die erste Voraussetzung angeht, wird es zukünftig per se so sein, dass Apps durch die Medical Device Regulation eher als Medizinprodukte qualifiziert werden.  

Falls die App zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keinen positiven Versorgungseffekt nachweisen kann, führt dies nicht zum Ausschluss. Vielmehr erfolgt dann eine probeweise, also zunächst bis zu zwölf Monaten zeitlich befristete Aufnahme in das Verzeichnis nach § 139 a SGB V. Die Vergütung erfolgt nach Verhandlung der Vertragspartner dann auch außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung. Der Hersteller muss dann allerdings ein unabhängiges von einer wissenschaftlichen Einrichtung erstelltes Evaluationskonzept zum Nachweis positiver Versorgungseffekte vorlegen.  

Das klingt ja gar nicht so unkompliziert. Dabei soll das Gesetz auch dafür sorgen, dass digitale Lösungen schneller in die Versorgung kommen und der Markt für E-Health-Startups wieder attraktiver wird. Ist angesichts des geplanten Prozesses wirklich damit zu rechnen, dass Tempo in den Markt kommt?

Ich persönlich bin der Überzeugung, dass Tempo in den Markt kommen wird. Es ist nicht nur die Dreimonatsfrist zwischen vollständiger Antragstellung und Aufnahme in das Verzeichnis der erstattungsfähigen Medizinprodukte sowie die entsprechende Kopplung an die EBM-Änderung, was Tempo macht. Durch den zukünftigen § 68 a SGB V ist es so, dass Gründer und Startups, die vielleicht durch Investoren mit Wagniskapital ausgestattet werden, aber damit nicht ausreichend finanziell unterfüttert sind, von Krankenkassen unterstützt werden können. Diese können zukünftig nämlich bis zu 2 % ihrer Finanzreserven als Kapitalbeteiligung einbringen.

Abgesehen davon verhandelt der Hersteller zukünftig nach dem neuen § 134 a SGB V auch selber mit dem GKV Spitzenverband über die Preise.

Gewöhnlich entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss darüber, welche Leistungen die gesetzlichen Kassen zu erstatten haben – ist es sinnvoll, dass nun das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig sein wird?

Das ist eher eine Frage der gesundheitspolitischen Kompetenzverteilung. Aber ja, ich halte die Regelung für sachgerecht. Denn auch heute ist das BfArM ja schon für etwa sicherheitsrelevante Mitteilungen bei digitalen Medizinprodukten, für Produktwarnungen etc. zuständig. Gerade im Bereich digitaler Medizinprodukte gibt es noch keine Art „post-market-surveillence“ was die Kostenentwicklung angeht. Und die geplante Kompetenzverlagerung oder Kompetenzaufteilung führt ja nicht dazu, dass den gesetzlichen Kostenträgern nun digitale Medizinprodukte vor die Nase gesetzt werden, die sie dann bezahlen müssen.

Die gesetzlichen Kostenträger verhandeln zukünftig durch den GKV Spitzenverband mit den Herstellern. § 134 SGB V sieht hierzu die künftigen Details vor. Die Höhe der Vergütung ist in Zukunft zeitlich begrenzt ausgestaltet und variabel, den Kostenträgern wird sogar zugestanden, erfolgsabhängig zu vergüten. Es ist also sachgerecht, diejenigen verhandeln zu lassen, die betroffen sind und zugleich die Behörde, die im Tagesgeschäft näher dran ist, mit der Aufnahmeprüfung vertraut zu machen. Beides verkürzt die Wege meines Erachtens beträchtlich.  

Patienten erhalten mit dem neuen Gesetz auch einen Anspruch auf Befüllung ihrer elektronischen Patientenakte im Krankenhaus. Das heißt, auch die Krankenhäuser müssen bis 2021 zwingend an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen werden. Was kommt da auf die Kliniken zu?

Was genau auf die Kliniken zukommt, hängt davon ab, ob sie heute schon als kritische Infrastruktur gelten. Wenn das der Fall ist, dann dürften vermutlich die IT-spezifischen und datenschutzspezifischen Rahmenbedingungen bei den Kliniken schon gut erfüllt sein. Das heißt, man muss dann „nur noch“ Technik bzw. Hardware zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur beziehen.

Ist man hingegen ein kleineres Haus und fällt eben nicht unter die Regelungen des BSI-Gesetzes und ist keine kritische Infrastruktur, dann kommt evtl. mehr organisatorischer Aufwand auf einen zu, sofern man nicht eben schon jetzt ein hohes Maß an IT-Sicherheit vorhält. Ansonsten geht es bei der Anbindung an die Telematikinfrastruktur darum, dass man eben Kartenterminals, die Konnektoren etc., also die Hardware implementiert und dann die Krankenhaussoftware angepasst.  

Wichtig ist, dass die Krankenhäuser tatsächlich auch die Frist bis zum 01.01.2021 einhalten. Es sind Änderungen im Krankenhausentgeltgesetz vorgesehen. Verstreicht die obige Frist, wird pauschal 1 % der jeweiligen Krankenhausvergütung abgezogen. Da aber im vertragsärztlichen Bereich die ursprünglich vorgesehenen Anbindungsfristen auch verlängert wurden, will ich nicht ausschließen, dass das zum 01.02.2021 auch passiert. Jedenfalls dann wenn man merkt, dass die Anbindung aus Gründen scheitert, die Kliniken nicht beeinflussen können. 

Dank DSGVO wage ich aber die vorsichtige Prognose, dass auch kleinere Häuser ohnehin schon einen hohen Datenschutzstandard vorhalten. Das heißt, mit der Anbindung an die Telematikinfrastruktur ist zwar Hardware anzuschaffen, die Anpassung von organisatorischen Prozessen dürfte aus meinem Verständnis aber überschaubar sein, weil man ohnehin seit Inkrafttreten der DSGVO datenschutzspezifisch strikt durchorganisiert sein muss.  

Wenn man das Gesetz im Ganzen betrachtet: Welche Punkte halten Sie als Anwalt aus rechtlicher Perspektive für kritisch?  

Allzu viel Kritik kann ich dem Referentenentwurf überhaupt gar nicht entgegenhalten, vielmehr Lob. Wenn man aber nach kritischen Punkten suchen will, dann ist das einmal die gesetzte Frist zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur für Kliniken. Dann ist das sicherlich auch der neue § 291 h SGB V, der also die elektronische Patientenakte ab dem 01.01.2022 portabel machen will, ohne dass es heute durchweg sektorenübergreifende Interoperabilität gibt. Das ist aus Sicht der Kliniken aber erst mal weniger kritisch, weil die Gematik den gesetzgeberischen Auftrag bekommen hat, bis zum 01.01.2022 eine Lösung zu finden, um Daten der elektronischen Patientenakte portabel zu machen. 

Man wird in der Praxis aber sicherlich sehen müssen, wie Kliniken und Krankenkassen bei einer gemeinsamen Kapitalbeteiligung zusammenarbeiten können, wenn man digitale Medizinprodukte entwickeln möchte. Ggf. gründet man hier einfach eine eigene Gesellschaft des Privatrechts. 

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