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Bundestag will MitspracheDebatte über schärfere bundesweite Corona-Maßnahmen

Bund und Länder haben gerade einen schärferen Kurs zur Bewältigung der Pandemie beschlossen. Da kommt aus Bayern bereits die Forderung nach strikteren bundesweiten Maßnahmen. Dabei will der Bundestag künftig mehr mitreden.

Jens Spahn
Achim Melde/Deutscher Bundestag
Jens Spahn (CDU/CSU), Bundesminister für Gesundheit bei der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages im März 2020.

Angesichts rasant steigender Corona-Infektionszahlen wird nur wenige Tage nach den jüngsten Bund-Länder-Beschlüssen zum Eindämmen der Pandemie der Ruf nach noch schärferen Maßnahmen laut. CSU-Chef Markus Söder forderte am Montag eine bundesweit einheitliche Maskenpflicht für Regionen mit vielen Corona-Fällen - in Schulen, auf öffentlichen Plätzen und auch am Arbeitsplatz. «Wir brauchen eine allgemeine Maskenpflicht national», sagte er. Der bayerische Ministerpräsident sprach sich im Grundsatz auch für mehr Rechte des Bundes beim Infektionsschutz aus.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies am Montag auf die «wichtigen Schritte» des vergangenen Mittwochs hin. «Mehr ist noch zu tun, das ist klar.» Die Kanzlerin machte deutlich, dass sie nicht an der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern rütteln will. Sie glaube, dass sich der Föderalismus in der Pandemie bewährt habe, weil sehr viel spezifischer vor Ort reagiert werden könne.

Stärkere Beteiligung von Bundestag und Landtagen 

Immer mehr Politiker fordern, dass die Parlamente - Bundestag und Landtage - stärker in die Entscheidungen eingebunden werden müssen. «Eine epidemiologische Not darf nicht zu einem Notstand der Demokratie werden», sagte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping nach Beratungen der Parteispitze. Grünen-Chef Robert Habeck forderte, den Kampf gegen die Pandemie verstärkt auf Bundesebene im Bundestag und Bundesrat zu verhandeln. Kommunikation solle «nicht mehr im Hinterzimmer, nicht mehr in Videoansprachen» erfolgen, «sondern an den Orten, die in einer Demokratie dafür vorgesehen sind».

Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth will eine stärkere Beteiligung des Bundestags bei Entscheidungen zu Corona-Eindämmungsmaßnahmen. In einer Zeit, in der zwischen dem Schutz von Gesundheit und dem Schutz von Freiheit und Bürgerrechten abgewogen werden muss, müsse es ein Ringen um Lösungen geben, forderte die Grünen-Politikerin am Dienstag im Deutschlandfunk. «Das ist Aufgabe des Parlaments, wir können das tun, wir sollten das wieder zurückholen.»

Schieflage der Gewaltenteilung

Roth sieht das Prinzip der Gewaltenteilung - also die Aufteilung der staatlichen Gewalt in legislative (gesetzgebende), exekutive (vollziehende) und judikative (Recht sprechende) Gewalt - in einer Schieflage. «Das ist 'ne wirklich gefährlich falsche Entwicklung, dass es weggeht von der Legislative hin zu klandestinen Exekutivveranstaltungen, dann auch noch mit wahlkämpfenden Ministerpräsidenten und unersättlichen Ministern», sagte Roth.

«Die Koalitionsfraktionen haben viel zu lange sozusagen delegiert an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und das rächt sich.» Durch das Ringen im Bundestag um die richtigen Antworten auf die schwierigen Fragen entstehe erst eine Akzeptanz in der Bevölkerung für Grundrechtseingriffe.

Infektionsgeschehen unter Kontrolle halten

Hintergrund der Debatte über eine weitere Verschärfung der Maßnahmen ist die Sorge, dass das Infektionsgeschehen außer Kontrolle geraten könnte. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts vom Montagmorgen meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland zuletzt 4325 neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden. Der Wert ist vergleichsweise niedrig, auch weil am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter Daten übermitteln. Gemessen an den 2467 gemeldeten Infektionen vom Montag vergangener Woche ist der aktuelle Wert aber deutlich erhöht. Die Zahl der Neuinfektionen hatte am Samstag mit 7830 zum dritten Mal in Folge einen Höchstwert erreicht.

Betroffen sind inzwischen nicht nur Großstädte oder Ballungsräume. So wurden der bundesweite höchste Wert von Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tag mit 252 im bayerischen Landkreis Berchtesgaden registriert. Dahinter lag die rund 82 000 Einwohner zählende Stadt Delmenhorst in Niedersachsen mit 223,1.

Pandemiekommunikation als Gratwanderung

Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte, dass die Kanzlerin am Samstag ihren wöchentlichen Podcast angesichts der sich zuspitzenden Infektionslage für einen eindringlichen Appell an die Bürger genutzt hat. Es sei für sie eine zusätzliche Möglichkeit gewesen, ihre Gedanken zu dem, was in dieser konkreten Phase der Pandemie notwendig sei, darzulegen, sagte er.

Merkel hatte die Menschen in Deutschland gebeten: «Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwendig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.»

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, warnte jedoch davor, die Bevölkerung zu verunsichern. Er wolle keine Entwarnung oder übertriebene Gelassenheit verbreiten, sagte er am Montag im Deutschlandfunk. «Aber ich finde, man kann den Menschen nicht in einer Tour Angst machen.» So könne eine Art von Abstumpfung entstehen. Teile der Bevölkerung könnten anfangen, die Warnungen nicht mehr ernst zu nehmen.

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