
Ein flächendeckender Streik hat den Rettungsdienst in weiten Teilen Großbritanniens lahmgelegt. Etwa 25 000 Notärzte, Krankenwagenfahrer und Notrufbeschäftigte legten am Mittwoch in England und Wales die Arbeit nieder. Sie fordern höhere Lohnsteigerungen im Einklang mit der Inflation, die zuletzt bei gut 10 Prozent lag, sowie bessere Arbeitsbedingungen.
Die konservative Regierung will hingegen ihr Angebot von 4,75 Prozent mehr Lohn, das sich an der Empfehlung einer Tarifaufsichtsbehörde orientiert, nicht erhöhen. Sie macht geltend, dass inflationsgerechte Steigerungen nicht finanzierbar seien und die Verbraucherpreise nur noch weiter antrieben.
Gesundheitsminister Steve Barclay räumte in der BBC ein, dass der chronisch unterfinanzierte Gesundheitsdienst NHS unter erheblichem Druck stehe. Die Unzufriedenheit richte sich vor allem gegen lange Wartezeiten bei der Übergabe von Patienten von Rettungswagen an Notaufnahmen, sagte Barclay. Er betonte, die Regierung habe Investitionen zugesagt.
Der NHS rief dazu auf, bei Lebensgefahr trotz des Streiks den Notruf zu wählen. Die Gewerkschaften hatten angekündigt, die Grundversorgung sicherzustellen. Hausärzte und Apotheken hatten wie gewohnt geöffnet.
Führen Verzögerungen zu Todesfällen?
Anfang Januar wurde vermeldet, die langen Wartezeiten führten einem Ärzteverband zufolge zu vermeidbaren Todesfällen. Das bekräftigte der Vizepräsident des Verbands der Notfallmediziner in Großbritannien, Royal College of Emergency Medicine (RCEM), Ian Higgonson, am 2. Januar in einem Gespräch mit der BBC.
Zuvor hatte die Äußerung des Verbandspräsidenten in Großbritannien Schlagzeilen gemacht, wonach dort aufgrund der Verzögerungen in der Notfallmedizin bis zu 500 Menschen pro Woche sterben. Higginson warnte davor, die Schätzung als Übertreibung abzutun. Seit Jahrzehnten zeige sich, dass lange Wartezeiten in Notaufnahmen „mit schlechten Ergebnissen für Patienten zusammenhängen“, so Higginson. Das RCEM fordert unter anderem, dass die Kapazitäten der Krankenhäuser erhöht werden.
Die Krise des britischen Gesundheitssystems NHS, der hauptsächlich durch Steuergelder finanziert wird, ist ein Dauerthema in Großbritannien. Im Winter wird sie meist noch verschärft durch Erkältungskrankheiten und Streiks. In diesem Jahr gibt es überdurchschnittlich viele Influenza-Fälle, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Auch die Zahl der Corona-Patienten in Kliniken steigt derzeit wieder stark an.
Oft bilden sich vor den Notaufnahmen lange Schlangen von Rettungswagen, weil die Patienten nicht nahtlos aufgenommen und versorgt werden können. Nach RCEM-Angaben sind die Wartezeiten in diesem Winter so lang wie noch nie. Alleine im November mussten laut NHS knapp 38 000 Menschen mehr als 12 Stunden in der Notaufnahme ausharren, bevor sie auf eine Krankenhausstation verlegt wurden - dreieinhalb mal so viele wie noch im Vorjahr.
Grund für die Schwierigkeiten ist neben Unterfinanzierung auch der Personalmangel, der unter anderem durch den Brexit noch verschärft wurde. Nach Angaben der Organisation NHS Poviders gibt es im britischen Gesundheitswesen 133 000 offene Stellen.
In Großbritannien kommt es seit Monaten in zahlreichen Branchen immer wieder zu Streiks. Kommende Woche sind neue Ausstände beim Klinikpersonal geplant. Auch bei Bahn und Post legen Beschäftigte immer wieder die Arbeit nieder. Regional gibt es zudem Streiks bei Busfahrern oder Lehrern. Die Regierung will nun das Streikrecht per Gesetz einschränken, um eine Grundversorgung in kritischen Bereichen wie Gesundheitsdienst, Feuerwehr oder Bahnverkehr sicherzustellen. Opposition und Gewerkschaft reagierten empört.




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