
Zehn bis 15 Neugeborene kommen jeden Tag im St. Joseph Krankenhaus zur Welt – es ist die größte Einzelklinik für Geburtshilfe in Deutschland. Prof. Michael Abou-Dakn ist Chefarzt dieser Klinik. Während er an diesem Tag auf den Minister wartet, sagt Abou-Dakn, er sei dankbar, dass die Politik das Thema überhaupt aufgegriffen habe. Und ergänzt: „Geduld, Zuwarten und Personalkosten werden schlecht im DRG-System abgebildet“. Genau das ist jedoch nötig in der bindungsorientierten Medizin für Neugeborene, Kinder und Jugendliche.
Kinder übernachten in der Rettungsstelle
Die Kinderheilkunde sei ein Saisongeschäft, im Sommer laufe es etwas milder, sagt Dr. Heiko Brandes, Oberarzt in der Kinder- und Jugendmedizin und Leiter der Kinderrettungsstelle. Jetzt ist bald Winter und der Tag beginnt für Brandes gar nicht mild: Wenn er morgens in die Klinik komme, lägen in der Rettungsstelle jeden Tag ein bis zwei Kinder, die man nicht in Berlin und Berliner Umland unterbringen konnte. Dr. Heiko Graffstädt, Chefarzt der Kinderchirurgie, bestätigt: „Zwei bis drei Fehlversuche gibt es, bevor man ein Bett gefunden hat.“ Das kostet Zeit, die niemand hat. Zwar sind momentan alle Arztstellen besetzt, in der Pflege sind jedoch Stellen offen. Außerdem kämpft die Klinik infolge Corona nach wie vor mit einem hohen Krankenstand: „Von den 24 Betten der Kinderintensivstation sind heute vier und von den 44 Betten der Kinderstation ebenfalls vier gesperrt“, sagt Brandes.
Zwei bis drei Fehlversuche gibt es, bevor man ein Bett gefunden hat.
Auf die Frage, welche Forderungen er an die Politik hat, reagiert Brandes fast überrascht und ein wenig zurückhaltend. Ganz Kinderarzt, freundlich, behutsam. Dann formuliert er klar: Die Finanzierung der Kinderkliniken muss gesichert werden; weg vom DRG-System und weg vom Druck der „Fälle, Fälle, Fälle“. Weg davon, Pflegekräfte, die über Überlastung klagen, zu beanspruchen, möglichst noch „den einen Fall zu machen“. In der Melange führe das zu Überlastung, Frust und Burnout. „Vom Falldruck wegkommen, damit wir so arbeiten, dass wir aufeinander und auch auf uns selbst achten können“, wünscht sich Brandes. Sie seien ein junges und sehr engagiertes Team. Aber man frage sich, was man sich in diesem Beruf zumutet.
Vom Falldruck wegkommen, damit wir so arbeiten, dass wir aufeinander und auch auf uns selbst achten können.
Lauterbach: Weniger Ökonomie – mehr Medizin
Als der Gesundheitsminister eintrifft und durch den Kreißsaal geführt wird, freuen sich die frischgebackenen Eltern regelrecht über seinen Besuch. Er habe sich vorgenommen, mehr für Kinder zu tun, sagt Lauterbach bei seinem Rundgang. In einem Zimmer stellen Eltern und Minister sogar Verbindendes fest: Der Vater der jungen Mutter studierte gemeinsam mit Lauterbach Medizin in Aachen – es folgen Selfies und auch der Minister zückt sein Handy.
Lauterbach würdigt was er sieht: „Eine der führenden Kliniken für Geburtshilfe… erstklassige Kinderklinik, wirklich ein Segen für den Stadtteil und große Teile Berlins“.
Er spricht auch aus, dass die Kinderkliniken überlastet seien, es an Personal fehle, Geburtshilfe und Kinderheilkunde derzeit durch sehr starke ökonomische Anreize geprägt seien – was er ändern wolle. Die Geburtshilfe solle besser ausgestattet werden, insbesondere dort, wo wenig Geburten zustande kommen, damit diese Geburten trotzdem sicher durchgeführt werden. Dort gäbe es Zuschläge, was mit den Ländern zusammen erfolge. An den Gesetzen werde aktuell gearbeitet.
Chefarzt Prof. Abou-Dakn spricht den Minister auf die zentrale Rolle der Vorhaltepauschalen an: „Und zwar nicht nur in den kleineren geburtshilflichen Einheiten, sondern gerade in Leistungszentren, wie wir das sind. Weil wir permanent – auch wenn gerade kein Notfall da ist – entsprechende Vorhalte haben. Und wenn Sie von Fehlanreizen sprechen, dann möchte ich als Geburtshelfer betonen, dass wir die Qualität des Perinatalzentrums in der Vermeidung der Frühgeburtlichkeit sehen. Da brauchen wir unbedingt Wege, dass diese sich auch finanziell darstellen.“
Kinderklinken will Lauterbach vom ökonomischen Druck entlasten, indem die Budgets auch dann gesichert sein sollen, wenn die Kinderkliniken weniger Fälle behandeln. Damit die Kliniken mehr Spielraum haben zu entscheiden, wie behandelt und wer behandelt wird, ohne dass sofort das Budget sinkt. „Weniger Ökonomie – mehr Medizin“, sagt der Minister.
Nichts Neues zu Geld und Zeit
Genaueres zur Verteilung der Gelder – Lauterbach hatte der Geburtshilfe kürzlich 240 Millionen Euro versprochen – sagt er nicht. Nur, dass das Geld gerade den Kliniken zugutekommen würde, die einen großen Anteil an dem Gesamtleistungsgeschehen haben. „Wir wollen die Kliniken belohnen, die uns so vorbildlich und beeindruckend durch die Pandemie gebracht haben“, so Lauterbach.
Wann der große Wurf in der Krankenhausreform komme, gibt der Minister nicht preis: Er könne es nicht selbst kontrollieren, weil die Krankenhauskommission, wo er nur mitarbeite, zum Schluss entscheide, wann es vorgestellt wird.
Infektionskrankheiten vermeiden
Auf die Frage was jetzt getan wird, um diese Wintersaison für die Kliniken abzumildern, sagt Lauterbach, es sei sehr wichtig, die Infektionszahlen bei Erwachsenen und bei Kindern so niedrig wie möglich zu halten: „Ich bin daher fest davon überzeugt, dass jetzt kein Zeitpunkt da ist, Lockerungen zu beschließen. Wir müssen bei der Isolationspflicht bleiben. Wir müssen immer wieder darauf drängen, dass auch die Masken getragen werden. Denn alle vermiedenen Infektionskrankheiten vermeiden auch die Überlastung der Krankenhäuser. Wir wissen, dass derzeit der Anteil der Kinder, die mit Infektionen in die Klinik kommen, noch nie so hoch gewesen ist. Das haben wir auch im Expertenrat besprochen.“
Kurzfristig wolle er zudem entlasten, indem die tagesstationären Fallpauschalen weiterentwickelt werden: „… dass die Kinder auch nach Hause dürfen, wenn sie stationär behandelt werden, von Tag zu Tag. Dass sie nicht mehr in der Klinik übernachten müssen, so dass Nachtdienste eingespart werden. Für Ärztinnen, aber auch fürs Pflegepersonal.“
Es bleibt abzuwarten, ob das ausreicht. Und ob Kinder und Viren dem folgen. RS-Viren und Rotaviren nehmen gerade Fahrt auf.






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