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481 Medikamente knappLieferengpässe bringen Klinikapotheken an ihre Grenzen

Nicht nur Fiebersaft für kranke Kinder bleibt in Deutschland knapp. Klinikapotheken klagen über zunehmende Lieferengpässe bei vielen Medikamenten. Bayern will jetzt die Einfuhr nicht zugelassener Antibiotika-Säfte erlauben.

Apotheke
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Der Engpass bei der Versorgung mit wichtigen Medikamenten macht auch Kliniken zunehmend zu schaffen. Das Problem verschärfe sich immer weiter, sagt etwa Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). „Mittlerweile betreffen die Lieferengpässe fast alle Bereiche der Arzneimittel, und es ist nicht immer nachvollziehbar, warum sie nicht geliefert werden können“, sagt Einwag.

Für die Kliniken sei die Suche nach Ersatzpräparaten ein großer Aufwand, es brauche zusätzliches Personal. Der BWKG werde zunehmend von „Erschöpfungsanzeichen“ aus Klinikapotheken berichtet. Wenn nötig, würden Arzneimittel in den Kliniken auch selbst hergestellt. Derzeit betreffe das vor allem Antibiotika-Säfte, Beruhigungsmittel und Medikamente für eine lokale Betäubung. „Jede dieser Maßnahmen verursacht zusätzlichen Aufwand, der momentan jedoch nicht angemessen finanziert wird“, kritisierte Einwag.

Die Liste der betroffenen Medikamente wird von Woche zu Woche länger.

Auch aus Sicht von Frank Eickmann, stellvertretender Geschäftsführer des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, ist die Situation dramatisch:  „Die Liste der betroffenen Medikamente wird von Woche zu Woche länger“, kritisiert Eickmann. Und das Gesundheitsministerium erkennt ebenfalls eine weiter verschärfte Situation: „Insbesondere im Hinblick auf Antibiotika für die Behandlung erkrankter Kinder wird seitens der Apotheken eine noch immer sehr angespannte Lage beschrieben“, erklärt ein Sprecher von Minister Manne Lucha (Grüne).

Engpässe bei 481 Medikamenten

Ende 2022 seien laut einer Datenbank des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte noch unter 400 Medikamente nicht lieferbar gewesen. Ende April verzeichnete die Datenbank mittlerweile schon 481 Lieferengpässe. Zuletzt hatte es vor allem bei der Versorgung mit fiebersenkenden Medikamenten für Kinder massive Probleme gegeben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte deshalb im Dezember neue Preisregeln angekündigt, die Lieferungen nach Deutschland für die Hersteller attraktiver machen sollen. Aus Sicht der Apotheker bessert sich die Lage zumindest beim Fiebersaft für Kinder etwas – allerdings laut den Apotheken nur wegen der abflachenden Infektwelle. Am Bestand habe sich nichts geändert.

Für die Apotheken verursache der Versorgungsmangel genau wie in den Kliniken „gigantisch viel Arbeit“, sagt Eickmann. Die Apotheken müssten ihre Bestände ständig überwachen und nach möglichen Ersatzpräparaten schauen. „Wenn man eine etwas größere Apotheke betreibt, braucht man eine Vollzeitkraft, die sich um das Thema Lieferengpässe kümmert“, erklärt er. Dafür müssten die Apotheken besser entlohnt werden.

Offizieller Versorgungsmangel

Der Versorgungsmangel bei Antibiotikasäften für Kinder in Deutschland ist seit kurzem auch offiziell. Das Bundesgesundheitsministerium hat im Bundesanzeiger, der amtlichen Verkündungsplattform der Bundesrepublik, bekanntgemacht, dass derzeit ein solcher Versorgungsmangel bestehe. Das heißt, bestimmte Wirkstoffe sind zurzeit nicht lieferbar, erläuterte ein Sprecher.

Mit der Bekanntmachung wurden gleichzeitig normalerweise geltende strenge Regeln für die betroffenen Arzneimittel befristet gelockert. So könnten Behörden es nun etwa auch möglich machen, ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzulande ausgegeben zu lassen, erläuterte der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Florian Lanz.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat schon angekündigt, vorübergehend die Einfuhr in Deutschland nicht zugelassener Antibiotika-Säfte für Kinder zu ermöglichen. Die bayerischen Bezirksregierungen sollen in einer neuen Allgemeinverfügung befristet den Import antibiotischer Säfte erlauben, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind. „So können die Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln“, sagte Holetschek..

Krankenkassen geben Pharmaindustrie Mitschuld

Die Ursachen für Lieferengpässe bei Arzneimitteln seien vielfältig, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium. Verwiesen wird etwa auf „Engpässe bei Grundstoffen“ oder auch „Produktionsprobleme“. Der GKV-Spitzenverband gibt der Pharmabranche eine Mitschuld: „Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert“, sagte Lanz. Die Branche habe in der Vergangenheit Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz reicht das Medikamentenproblem weit über Kinderarzneimittel hinaus. „Überall leiden chronisch kranke Menschen an der schleppenden Versorgung mit Basis-Medikamenten. Blutfettsenker, Blutdruckmittel, selbst Krebsmedikamente sind Mangelware“, sagt Vorstand Eugen Brysch. Die bisherigen nationalen und europäischen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Patientenversorgung sicherzustellen.

Auf Basis der durch den offiziellen Versorgungsmangel gelockerten Regelungen erlaubt Rheinland-Pfalz nun die Einfuhr nicht zugelassener Antibiotika-Säfte aus dem Ausland. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium am 3. Mai mit.

Gleichzeitig spricht sich Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach für eine schnelle Umsetzung des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes aus. Anfang April beschlossen, muss der Entwurf nun noch vom Bundestag und Bundesrat bestätigt werden. Das Gesetz befähigt Hersteller, die Preise für Kinder-Medikamente anzupassen, sodass sich die Lieferung nach Deutschland mehr lohnt. Außerdem soll es vereinfachte Arzneimittel-Austauschregeln unter Apotheken für wirkstoffgleiche Arzneimittel ermöglichen.

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller hält das geplante Gesetz gegen Lieferengpässe bei patentfreien Medikamenten nur in Teilbereichen für hilfreich. Abseits der Kinderarzneimitteln könne es die Situation in Deutschland nicht verbessern.

 

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