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Breite AblehnungScheindebatte um die Notaufnahme-Gebühr

KBV-Chef Andreas Gassen hat eine alte Diskussion neu entfacht: Sollen Patienten, die ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung eine Notaufnahme besuchen, Strafe zahlen? Die Reaktionen sind – auch diesmal – eindeutig.

Notaufnahme
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Symbolfoto

Von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kassierte Andreas Gassen eine klare Absage. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat erneut eine Notaufnahme-Gebühr ins Spiel gebracht und damit wohl nicht nur den Minister verwundert. Es werde intensiv über die Neustrukturierung der Notfallversorgung diskutiert – über eine Gebühr jedoch nicht, weswegen der Vorschlag keine Aussicht auf Umsetzung habe, sagte Lauterbach.

Gassen spricht sich dafür aus, dass Patienten eine Gebühr entrichten sollten, wenn sie direkt in die Notaufnahme gehen, ohne vorher die Leitstelle anzurufen und ohne dass es nötig ist: „Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein echter medizinischer Notfall“, sagte Gassen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Unsozial ist in meinen Augen, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden.

Oft werde argumentiert, Gebühren für die Notaufnahme wären unsozial. „Unsozial ist in meinen Augen jedoch, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden“, argumentiert Gassen. „Wer weiterhin direkt in die Notaufnahme geht, ohne vorher die Leitstelle anzurufen, muss gegebenenfalls eine Notfallgebühr entrichten, denn das kostet die Solidargemeinschaft unterm Strich mehr Geld und bindet unnötig medizinische Ressourcen.“

DKG: „Grundbedingungen sind nicht erfüllt“

Dr. Gerald Gaß sieht Gassens Vorstoß kritisch. „Wenn wir über Sanktionierungen sprechen, müssen zuerst einmal die Bedingungen erfüllt sein, die gewährleisten, dass alle Patienten in einer Notfallsituation ideal beraten und gesteuert werden“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Eine medizinische Ersteinschätzung durch die Integrierten Leitstellen der Telefonnummern 112 und 116117, kurzfristige Terminvermittlung in umliegenden Arztpraxen und auch unmittelbare Hausbesuche durch den KV-Notdienst seien wichtige Voraussetzungen für eine gute ambulante Notfallversorgung jenseits der Krankenhausnotfallambulanzen.

Wir sollten es vermeiden, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Erst wenn diese Voraussetzungen durch die zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen geschaffen seien, könne man über eine Art Strafgebühr für Patienten nachdenken, die diese Beratung und Steuerung ignorierten und den direkten Weg in die Notfallambulanzen suchten. „Wer ohne vorherige Beratung und trotz angebotener alternativer Behandlungsoptionen dennoch eine Notaufnahme aufsucht, ohne dass ein Notfall vorliegt, kann dann tatsächlich sanktioniert werden“, sagt Gaß.

Bisher gebe es jedoch weder eine flächendeckende Ersteinschätzung durch die Leitstellen, noch würden den Patienten regelhaft kurzfristig Behandlungsangebote vermittelt. Jetzt durch finanzielle Sanktionierung Patienten steuern zu wollen, „wäre kontraproduktiv und kann sogar zur Versorgungsverschlechterung führen“. Für die Krankenhäuser würde zudem ein großer Aufwand entstehen, die Gebühr zu erheben, argumentiert der DKG-Chef: „Entweder müsste dies direkt über die Krankenkassen abgewickelt werden, oder das Geld müsste bei den Kliniken verbleiben, um den Verwaltungsaufwand abzudecken.“ All das seien Gründe gewesen, die Praxisgebühr im niedergelassenen Bereich wieder abzuschaffen. „Wir sollten es vermeiden, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen“, mahnt Gaß.

Patientenschützer: „Kein massenhafter Missbrauch“

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert den Vorstoß. Der Vorschlag sei unberechtigt, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Denn von massenhaftem Missbrauch der Notaufnahmen kann keine Rede sein.“ Schließlich würde sich fast jeder Zweite bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden.

Patienten könnten die Schwere ihrer Symptome oft nicht deuten. Auch für Mediziner sei es oftmals schwierig, eine fachfremde Diagnose zu stellen. „Deshalb müssen zunächst die Verbände der Kassenärzte ihre Hausaufgaben machen“, verlangt Brysch. Das gelte neben dem Ausbau und der Spezialisierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes auch für ausreichende Öffnungszeiten der niedergelassenen Arztpraxen sowie das Angebot von Hausbesuchen.

Es muss eine einheitliche Notfallnummer mit einer kompetenten Ersteinschätzung und einem klar festgelegten Verfahren für die weitere Behandlung geben.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, bezeichnet Gassens Vorschlag als überraschend. Nach ihrer Erfahrung verweise der ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen erkrankte Menschen schnell an die Notaufnahmen, „da er offenbar personell nicht optimal aufgestellt ist“. Auch Bentele lehnt eine Gebühr ab. „Was wir wirklich brauchen, ist eine Reform der Notfallversorgung, die zu einem einheitlichen und vor allem funktionierenden Verfahren führt. Es muss eine einheitliche Notfallnummer mit einer kompetenten Ersteinschätzung und einem klar festgelegten Verfahren für die weitere Behandlung geben“, fordert sie. Tatsächlich verweisen manche Kliniken selbst Patienten an ihre Notaufnahme, wenn sie ihnen in der zuständigen Fachabteilung in angemessenem Zeitrahmen keinen Termin anbieten können.

Janosch Dahmen: „Irreführend und gefährlich“

Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag, äußerte ebenfalls Kritik an dem Vorstoß. Notaufnahmen seien hoffnungslos überlastet, aber Patienten dafür den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, grenze an Schäbigkeit, schrieb der Politiker auf Twitter. Er forderte einen „180-Grad-Schwenk weg vom Profitdenken in der Gesundheitspolitik“. Krankenhäuser müssten sich nicht in erster Linie rechnen, sondern Menschen gesund machen.

Als „irreführend und gefährlich“ weist der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen den Vorstoß für eine Notaufnahme-Gebühr zurück: „Menschen mit einem akuten medizinischen Problem müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen unabhängig vom Geldbeutel in der Notaufnahme jederzeit geholfen wird.“

Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden.

Schon heute fänden vielerorts Menschen mit einfachen medizinischen Problemen wochenlang keinen Termin in einer Arztpraxis, sagt Dahmen. „Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden.“ Der Ausbau der Versorgung von Notdienstpraxen in den Notaufnahmen müsse jetzt Vorrang haben. Für Menschen in Not dürfe es keine Rolle spielen, welche Nummer man wähle oder wo man sich im Gesundheitswesen hinbegebe. „Man muss Hilfe zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort bekommen. Gebühren sind da patientengefährdend und führen in eine Sackgasse.“

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