
Vor dem Hintergrund mannigfaltiger Krisen hat der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege (SVR) die Krisenfestigkeit des deutschen Gesundheitssystems genauer untersucht. Die Ergebnisse sind in dem Gutachten – „Resilienz im Gesundheitswesen. Wege zur Bewältigung künftiger Krisen“ – festgehalten, das am 19. Januar an Bundesminister Prof. Karl Lauterbach überreicht wurde.
Ratsvorsitzender Prof. Dr. Ferdinand Gerlach sagte anlässlich der Übergabe des Gutachtens an die Bundesregierung, das deutsche Gesundheitssystem sei ein behäbiges Schönwettersystem, das unter unzulänglicher Digitalisierung und einem formaljuristisch leerlaufenden Datenschutzverständnis leide. Zugleich nannte er das System zwischen Bund, Ländern und Kommunen unzureichend koordiniert – nicht nur im Krisenfall. So sei das Ergebnis häufig schlechter, als angesichts des hohen Mitteleinsatzes zu erwarten wäre. Dabei gibt es laut Sachverständigenrat gute und konkrete Konzepte wie Pandemie- und Hitzepläne. Doch würden sie oft in Schubladen verstauben, statt konsequent umgesetzt und eingeübt zu werden.
Erkenntnisse sind da – sie müssen auch umgesetzt werden
„Aus den aktuellen Krisen wurden bislang nicht die notwendigen Schlüsse gezogen. Was den überfälligen Strukturwandel insbesondere in der Krankenhausversorgung und die Krisenvorbereitung angeht, haben wir weniger ein Erkenntnis- als ein Daten- und Umsetzungsdefizit.“ Das dürfe laut Gerlach nicht so bleiben. „Die bisherige Selbstwahrnehmung, dass in Deutschland alles gut organisiert ist und wir angesichts eines ausdifferenzierten Rettungs- und Gesundheitssystems bestens auch auf unvorhergesehene Entwicklungen vorbereitet sind, war und ist trügerisch“, warnt er.
In der SARS-CoV-2-Pandemie war Deutschland weitgehend im Blindflug unterwegs.
Auf das Potenzial bei der Digitalisierung weist Ratsmitglied Prof. Dr. Petra Thürmann hin – die verantwortliche Datennutzung im Gesundheitswesen müsse dringend vereinfacht werden. „Die entsprechenden Möglichkeiten der EU-Datenschutzgrundverordnung sollten endlich auch in Deutschland umgesetzt werden“, sagt Thürmann. „Seitenlange Einwilligungserklärungen bieten keine Datensicherheit. In der SARS-CoV-2-Pandemie war Deutschland weitgehend im Blindflug unterwegs. Bei den Verläufen und Folgen von Infektionen, Behandlungen und Impfungen mussten wir uns häufig auf wesentlich bessere Daten z.B. aus Dänemark oder Israel verlassen.“
Da Krisen in ihrer Art nicht vorhersagbar sind – gleichzeitig oder gehäuft auftreten können und oft viele Lebensbereiche gleichzeitig betreffen, empfiehlt der Rat einen All-Gefahren-Ansatz („All-Hazards Approach“). Und weil Gesundheit von vielen anderen Lebens- und damit Politikbereichen – etwa Umwelt, Arbeit, Wohnungs- und Städtebau, Verkehr, Wirtschaft und Bildung – beeinflusst wird, fordert er darüber hinaus, Gesundheit in allen Politikbereichen zu stärken („Health in All Policies“).
Um aufzuzeigen, wie das Gesundheitssystem und die Menschen, die in diesem System arbeiten, besser auf künftige Krisen vorbereitet werden können, beleuchtet der Sachverständigenrat einzelne Versorgungsbereiche: den Öffentlichen Gesundheitsdienst, die Akutversorgung und die Langzeitpflege. Untersucht werden zudem konkrete Strategien zur Stärkung der Lieferketten, der zielgruppengerechten Kommunikation und der wissenschaftlichen Politikberatung sowie zur Verbesserung des akuten Krisenmanagements.
Das gut 600 Seiten umfassende Gutachten ist abrufbar unter www.svr-gesundheit.de.
Der Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege ist ein unabhängiges Gremium wissenschaftlicher Politikberatung auf Grundlage von § 142 SGB V. Seine Mitglieder in der Berufungsperiode 1.2.2019 bis 31.1.2023 sind:
- Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach
- Prof. Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner
- Prof. Dr. rer. oec. Beate Jochimsen
- Prof. Dr. med. Christof von Kalle
- Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer
- Prof. Dr. rer. oec. Jonas Schreyögg
- Prof. Dr. med. Petra A. Thürmann.





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