
Nach längerer Pause tritt der US-Versandhändler und Tech-Konzern Amazon wieder auf dem Gesundheitsmarkt in Erscheinung. Unter anderem bietet Amazon für den größten Vermittler häuslicher Krankenpflege in den USA, Signify Health. Von besonderem Wert für Amazon ist dabei die von Signify entwickelte Plattform, mit deren Hilfe die digitale Erfassung von Patientendaten zur Organisation von Pflegeleistungen im häuslichen Bereich vereinfacht werden soll. Laut Wall Street Journal liegen die Gebote bei rund acht Milliarden US-Dollar – bei einem aktuellen Marktwert von knapp unter fünf Milliarden Dollar.
Zwischen Zukauf und Schließung
Sollte Amazon bei Signify erfolgreich sein, wäre das endlich einmal wieder ein bedeutsamer Schritt in Richtung der vielfach angekündigten Ambitionen, im Gesundheitsbereich eine wichtige Rolle zu spielen. Dennoch erscheint das Vorgehen des Versandriesen zur Verwirklichung dieses Ziels Marktbeobachtern neuerdings wenig stringent.
So kündigte Amazon im Juli dieses Jahres zwar den Erwerb des Gesundheitskonzerns 1Life Healthcare für 3,9 Milliarden US-Dollar an. In dessen Konzern-Portfolio gehört die Kliniksparte One Medical mit 180 Polikliniken und Hausarztpraxen im ganzen Land. Gleichzeitig wurden aber Pläne bekannt, das selbst aufgebaute Telemedizin-Angebot Amazon Care Ende des Jahres zu schließen. „Unser Service hat nicht den erwarteten Anklang gefunden“, begründete Amazon-Health-Manager Neil Lindsey den Schritt in einer Mail an die Beschäftigten. „Man hätte erwarten können, dass Amazon das Angebot aufrechterhält, um Synergien mit den Versorgungsleistungen von One Medical zu nutzen“, wundert sich Deutsche-Bank Analyst George Hill.
Der Versandkonzern hatte Amazon Care vorwiegend aufgebaut, um seine eigenen Mitarbeitenden zu versorgen. Weil Krankenversicherungen in den USA für viele Angestellte zu teuer und oft mit hohen Selbstbehalten verbunden sind, versuchen viele Großunternehmen, ihren Belegschaften eine eigene Versorgung zu organisieren. Der Amazon-Service wurde ursprünglich nur im Staat Washington angeboten, aber bald auf weitere Bundesstaaten ausgedehnt. Er umfasste unter anderem virtuelle Sprechstunden und Verschreibungen.
Wertvolle Zeit zurückgeben
Offenbar hatte Amazon versucht, weitere große Arbeitgeber zur Co-Finanzierung zu gewinnen, war damit aber nur mäßig erfolgreich. Nach einem Bericht der New York Times kommt das Management zu dem Ergebnis, der Service sei nicht umfassend genug sei, um die Großkonzerne zu überzeugen, die man als Zielgruppe definiert habe.
In einem Statement zur Akquisition von 1Life bekräftigt Amazon das Ziel, Medizin zugänglicher und günstiger zu machen. Angestrebt werde eine stärkere Verbindung von Vor-Ort-Betreuung mit digitalen Versorgungsangeboten. Erleichtert werden sollen organisatorische Prozesse wie Terminvereinbarungen oder Verschreibungen: „Wir denken, dass die Gesundheitsversorgung ganz oben auf der Liste der Erfahrungen steht, die völlig neu gedacht werden müssen“, formulierte Neil Lindsay. „Einen Termin buchen, wochen- oder sogar monatelang warten, sich von der Arbeit freistellen lassen, zu einer Klinik fahren, einen Parkplatz finden, im Wartezimmer warten, dann in den Untersuchungsraum gehen, um ein paar Minuten mit dem Arzt zu verbringen, und dann noch einmal in die Apotheke gehen – aus dieser umständlichen Prozesskette ergeben sich viele Möglichkeiten, Menschen wertvolle Zeit zurückzugeben“.
„Patienten wollen mehr Einfluss auf ihre Behandlungen nehmen, auch auf deren Zeitmanagement“ unterstrich unlängst Jeanne Zucker, Director of Growth bei Amazon Care, auf LinkedIn: Noch sei der Zugang zu Versorgungsangeboten oft mühsam, die Kommunikation einseitig und der Klinikalltag geprägt von Sparzwängen und Überlastung.
„Wir betrachten Amazons Ausstieg bei Amazon Care als Eingeständnis der schwierigen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen“, interpretiert dagegen die Deutsche Bank in ihrer jüngsten Analyse. „Wenn das Management selbst zugibt, dass die aktuelle Health-Strategie nicht nachhaltig ist, dann bedeutet das, dass ihre eigenen Prognosen und Kalkulationen sie davon überzeugt haben, dass sie mit diesem Thema trotz schneller Expansion wirtschaftlich nicht auf einen grünen Zweig kommen“, formuliert DB-Analyst Hill. Er verbindet den skeptischen Ausblick mit der Frage, wie lange Amazon wohl an One Medical festhalten werde. „Wir glauben nicht, dass Amazon vor 2026 nennenswerte Einnahmen erwirtschaften wird, glauben die Deutsche Bank-Analysten.


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