Täglich entsteht in Kliniken ein Riesensatz radiologischer Bilddaten, der ungenutzt bleibt. „Wir nutzen derzeit nur fünf bis zehn Prozent unserer zur Verfügung stehender Daten“, präzisiert Stefan Schönberg von der Universität Mannheim in der Wissenschaftssendung „Quarks“. Intelligente Maschinen sollen helfen. Sie können in naher Zukunft Muster auch in kleinster Auflösung richtig deuten, so die Hoffnung der Mediziner. Werden Maschinen durch automatische Befunderkennung in Zukunft fast alleine die radiologische Diagnose liefern? Eine Vision, die unter Radiologen heftig umstritten ist. „Automatische Befundunterstützung: ja. Automatische Befundung: nein. Das menschliche Auge ist immer erforderlich“, sagt Radiologe Thomas Kittner aus Dresden und gibt damit die Meinung der Mehrheit unter den Radiologen wieder. In einer Umfrage hält ein gutes Drittel der Radiologen automatische Befunderkennung für derzeit irrelevant. Elmar Kotter, Leitender Oberarzt an der Uniklinik Freiburg, sieht das etwas anders. Gegenüber kma sagt er: „Obwohl es aktuell sicher gewisse Übertreibungen in den Prognosen gibt – wenn man bedenkt, welche Aktivitäten Google, IBM und Microsoft in den letzten Monaten und Jahren entfaltet haben, so ist offensichtlich, dass diese Unternehmen Health-Anwendungen als großen Zukunftsmarkt ansehen.“ Die IT treibt und verändert die Radiologie. „Ein starkes Wachstum der Rechenkapazitäten gepaart mit methodischen Durchbrüchen, speziell dem sogenannten Deep Learning, lassen erwarten, dass die Technologie zur automatischen Befunderkennung nur eine Frage der Zeit ist“, sagt Kotter. „Meiner Einschätzung nach reden wir hier von Jahren und nicht von Jahrzehnten. Diese Entwicklung sehe ich positiv: Der Radiologe wird von Routineaufgaben entlastet und kann die gewonnene Zeit zukünftig sinnvoll einsetzen für die richtige Interpretation der Befunde und deren Einordnung in den klinischen Kontext.“ Für den Radiologen sei Radionomics keine Bedrohung, unterstreicht auch Schönberg bei Quarks: „Der Radiologe wird in seiner Bedeutung eine Ebene höher kommen und neben der Diagnose auch zum Entscheider im klinischen Gesamtprozess werden.“
Neue CTs stehen oben auf der Liste
Alle Radiologen kennen diese Diskussion. In ihrem Alltag spielt sie jedoch, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Die Anschaffung neuer Geräte – vor allem solcher, die Therapie machen können – steht oben auf der Wunschliste von Radiologie-Chefs. Im Städtischen Klinikum Dresden freut sich Radiologie-Chef Thomas Kittner etwa über die Lieferung eines PET-CT. Diese Hybrid-Maschine verbessert, verglichen mit herkömmlicher radiologischer Diagnostik, die Untersuchung insbesondere von Krebserkrankungen. Dies ist Voraussetzung für eine adäquatere Therapie von Tumorerkrankungen.
Das Asklepios Klinikum Langen bei Frankfurt hat seine Radiologie an einen Dienstleister ausgelagert. Thomas Hoffmann ist geschäftsführender Gesellschafter und Ärztlicher Leiter dieser Praxis, die an zwei Asklepios-Standorten in Langen und Seligenstadt für die Radiologie verantwortlich ist. Er will demnächst ein zweites CT in Langen aufstellen, um die anfallenden Untersuchungen für seine Praxis, die sich ebenfalls in der Klinik befindet, und die von Asklepios besser bewältigen zu können. „Die Notwendigkeit von akuten, zeitaufwendigen Interventionen nach einer Inizialdiagnostik von Abszessen oder die Notfalluntersuchung von infektiösen Patienten, zum Beispiel MRSA (desinfektionspflichtig mit Einwirk- und damit CT-Standzeit von ein bis zwei Stunden) ist für uns im akuten Klinikalltag nicht vorherseh- und kalkulierbar. Das macht die Terminierung der CT-Patienten unserer Überweisungspraxis extrem schwierig. Von einem zweiten Gerät erhoffen wir uns diesbezüglich Entlastung und Ausfallsicherung – letztere für die Versorgung eines Akutkrankenhauses in Zukunft sicherlich unerlässlich.“ Derzeit werden in Langen die baulichen Voraussetzungen für die neue Maschine geschaffen. Das neue CT soll auch die Option zur CT-Herzbildgebung beinhalten, sofern diese diagnostische Alternative von der Klinik, vor allem der Kardiologie gewünscht wird. „Die Darstellung der Herzkranzgefäße im Mehrschicht-CT erweitert die Möglichkeiten der Routine-Diagnostik im Rahmen des Symptomkomplexes „akuter Thoraxschmerz“ und kann bei speziellen weniger akuten Kardio-Fragestellungen Antworten gebe, ohne dass kathetert werden muss – etwa bei der Frage, ob ein Bypass noch offen ist“, erklärt Hoffmann.
Auch an der Charité, Europas größter Uniklinik, dreht sich vieles um neue Geräte. An den Standorten Berlin-Mitte und Steglitz entstehen derzeit neue Hybrid-OP-Säle mit CT oder MRT. Chirurgen können den Patienten während der OP in die Röhre schieben und beispielsweise validieren, ob ein Tumor komplett entfernt ist oder ob man nachbessern muss. „Man kann millimetergenau kontrollieren und spart sich mehrere Zwischenschritte“, erläutert Maximilian de Bucourt, Ärztlicher Leiter der
Angiografie im Charité-Klinikum Benjamin Franklin. Ein weiterer Trend ist die Darstellung von Prozessen auf molekularer Ebene – die sogenannte funktionelle Bildgebung: Verschiedene Tumorzellen können aufgrund eines erhöhten Stoffwechsels beispielsweise überdurchschnittlich viel Energie in Form von Glukose verbrauchen, und durch Markierung der Glukose kann es gelingen, eine Akkumulation im Gewebe zu visualisieren. Für die bestmögliche Kombination der Informationen aus der morphologischen und funktionellen Bildgebung sind Hybrid-Geräte nötig. In Berlin-Mitte wird deshalb gerade ein PET-MRT installiert. Die funktionelle Bildgebung steht noch am Anfang, sagt de Bucourt. „Insbesondere in Teilbereichen kann die funktionelle Bildgebung nicht nur in der Diagnostik sondern auch in der Therapie zeitnah eine besondere Rolle spielen, wie beispielsweise bei Erkrankungen der Prostata.“
Strukturierte Befundung soll Radiologen helfen
Welche Trends sind schon jetzt in der technischen Radiologie sichtbar? Vorreiter sind die Radiologen bei der Nutzung von Sprachcomputern. „Bei uns ist die digitale Spracherkennung seit 2007 im Einsatz. Heute haben wir spätestens eine Stunde nach der Untersuchung den Befund im Netz und somit für alle behandelnden Ärzte im Haus verfügbar. Schnelligkeit ist etwas sehr Grundlegendes für die Radiologie“, erklärt Thomas Kittner, Chefradiologe des Klinikums Dresden. Auch bei Asklepios in Langen geht kein Befund mehr über das Schreibzimmer. „Alle Befunde gehen über die Online-Spracherkennung und dann schnellstmöglich an die Auftraggeber im Krankenhaus und die niedergelassenen Fachärzte“, sagt Thomas Hoffmann aus Langen. „Viele Befunde sind nach einer Viertelstunde draußen, spätestens innerhalb eines Tages.“
Ein weiterer Trend ist die strukturierte Befundung. Sie soll Ärzte bei der Arbeit unterstützen, Qualität gewährleisten und radiologische Befunde vergleichbar machen. Eine sinnvolle aber auch herausfordernde Aufgabe, meint de Bucourt von der Charité. „In der Radiologie ist mit DICOM ja bereits ein wichtiger Standard etabliert. Bei strukturierter Befundung muss zusätzlich vor allem die rasante technische Entwicklung und die Veränderung der Untersuchungsmethode berücksichtigt werden. Die Art und Weise, wie wir heute Bilddaten und Befunde erstellen, kann sich in fünf Jahren in Teilen grundlegend geändert haben.“
Strukturierte Befunde sollen die Befundmitteilung vereinheitlichen und übersichtlicher machen. Thomas Hoffmann aus Langen unterstreicht: „Manchmal fragt man sich, wenn man einen Befund zur Hand nimmt: Hat der was über die Leber geschrieben? Ja sapperlot, wo ist denn das auf diesen zwei Seiten?“ Insofern würden „strukturierte“ Befunde dem Leser schneller weiterhelfen. In Teilen ist die strukturierte Befundung heute schon möglich. Auch ganz kleine Schritte können hilfreich sein: „Wir verwenden etwa selbst erstellte Tabellen für die Befundung nach Recist oder eine standardisierte Grafik für die Befundung des MRT-Stagings von Rektumkarzinomen. Wünschenswert wäre aber ein übergreifendes einheitliches System. Die technischen Voraussetzungen dafür sollen jetzt geschaffen werden. Sobald etwas Ausgereiftes verfügbar ist, würden wir auch größer investieren“, so Hoffmann. In Dresden nutzen die Radiologen strukturierte Standardbefunde im Rahmen von internationalen Studien zum tiefsitzenden Darmkrebs. „Bald gibt es auch Standardbefunde für Prostata- und Leberkrebs“, sagt Thomas Kittner. „Das ist sehr sinnvoll, vor allem auch als Gerüst für die Kollegen in Weiterbildung.“
Die Computertechnik beeinflusst auch das Berufsbild des Radiologen fundamental: weg vom Diagnostiker, hin zum Therapeuten. „Ich sehe mich als klinischer Radiologe, wir haben als Querschnittsfach viel Kontakt zu anderen Fachdisziplinen. Meiner Erfahrung nach wird man als Partner akzeptiert, wenn man sich aktiv in die Behandlung von Patienten durch radiologische minimalinvasive Therapieangebote einbringt. Die Zeit, als der Radiologe im stillen Kämmerlein saß und auf ein Bild starrte, ist vorbei. Das war vorgestern“, sagt Kittner.

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