
Es war fast zu befürchten: Hatte der DGIV-Vorstand in seinem letztem kma-Beitrag noch auf die Besorgnis verwiesen, dass die Arbeitsgruppe als kreißender Berg womöglich nur Mäuse gebären könnte, vermögen danach erste aus der Arbeitsgruppe verlautbarte Ergebnisse diese Besorgnis dann auch nicht zu entkräften.Tatsächlich stellt der mit der Leitungsebene des BMG bei Drucklegung dieses Beitrags wohl noch nicht abgestimmte Arbeitsentwurf eines Eckpunkte-Papiers der AG (Stand 3. Mai 2019) eine Enttäuschung dar.
Insbesondere hat sich die Arbeitsgruppe anscheinend gar nicht erst mit allen sektorenübergreifenden Versorgungsformen befasst. Schwerpunkte wie das Belegarztwesen, die Zusammenarbeit von Krankenhäusern mit Kooperations-(„Honorar“-)ärzten auf der Grundlage von Paragraf 2 KHEntgG, die ambulante spezialfachärztliche Versorgung und nicht zuletzt die gesamte integrierende Selektivversorgung werden schlicht nicht erwähnt.
Stattdessen wird die alte Leier weitergehende Nutzung von Krankenhauskapazitäten für Sicherstellungsaufgaben im ambulanten Sektor neu gespielt, obwohl es doch niemanden entgangen sein sollte, dass bereits mit dem GKV-VSG den Krankenhäusern ermöglicht worden war, Versorgungsaufträge zur ambulanten Versorgung bei festgestellter Unterversorgung zu übernehmen und danach praktisch nichts passiert ist.
Integrierte Versorgung fehlt im Arbeitsentwurf
Erste Kritik kam dann auch sogleich aus der Versorgungsforschung. Wie Prof. Eberhard Wille auf dem ZI-Kongress „Versorgungsforschung 2019“ in Berlin zum Ausdruck brachte, vermisste er im Konzept der Arbeitsgruppe nicht nur die integrierte Versorgung, sondern zeigte sich auch verwundert über die Auffassung der Arbeitsgruppe, dass die Möglichkeiten der Krankenhäuser im Hinblick auf die ambulante Versorgung erheblich erweitert werden müssen. Es sei fraglich, ob mehr Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung in unterversorgten Gebieten überhaupt helfen kann.
Dort hätten die Krankenhäuser heute schon Probleme, die stationäre Versorgung auf einem bestimmten Qualitätsniveau sicherzustellen, was es auch schwieriger mache, das ambulante Umfeld mit zu versorgen. Auch ein weiterer Schwerpunkt des Arbeitspapiers, die Bildung eines gemeinsamen fachärztlichen Versorgungsbereiches sowohl für ambulante als auch stationäre Einrichtungen auf der Grundlage einheitlicher Rahmenbedingungen und entlang einheitlicher Behandlungsleitlinien, stellt noch kein Aushängeschild für die integrierte sektorenübergreifende Versorgung dar.
Es macht ohnehin wenig Sinn, die Sektorengrenzen nur in eine Richtung, nämlich durch die zusätzliche Übernahme ambulanter Versorgungsaufträge durch Krankenhäuser, überwinden zu wollen. Die stationäre Versorgung durch vertragsärztliche Leistungserbringer nur dem schwindenden Belegarztwesen überlassen zu wollen und den nicht versorgungsrelevanten Paragraf 122 SGB V weiterhin völlig zu ignorieren, wäre jedenfalls fatal und ein echter Rückschlag.Überhaupt tut sich die Arbeitsgruppe schwer, Wirkungsprinzipien der Integrierten Versorgung anzuwenden.
Deshalb hat man es bisher auch nicht vermocht, wirklich innovative Versorgungslösungen unter Verwirklichung dieses Versorgungsprinzips auf den Tisch zu legen. Vieles bleibt in Ansätzen stecken, ohne die erwarteten notwendigen Lösungen zu generieren.Dass die Zusammenarbeit von Krankenhäusern mit „nicht fest angestellten Ärzten“ bei den gut gemeinten Ansätzen des Paragrafen 2 Abs. 1 und 3 KHEntgG nicht stehen bleiben darf, ist doch seit langem bekannt. Mit den BSG-Entscheidungen vom 4. Juni 2019 werden diese Kooperationen außerhalb „fester Anstellungen“ weiter eingeschränkt.
Dennoch wäre es widersinnig, gemeinsame Versorgungsangebote von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten unter „unmöglich“ von der Agenda zu nehmen. Das gilt umso mehr, als das Belegarztwesen auch nicht weiterentwickelt wird. Überlegungen – u.a. zur „Hybridversorgung“ – liegen bereits seit einiger Zeit vor. An diesen Themen muss gearbeitet werden. Unbedingt.Integrierende gemeinsame Versorgungsangebote der Selektivversorgung finden anscheinend in der Arbeitsgruppe keinen Wiederhall.
Das hat nicht nur Prof. Wille verblüfft. Aber immerhin: Das in der letzten Zeit eine Renaissance erlebende Versorgungsprinzip „ambulant vor stationär“ wurde auch in der Arbeit der Arbeitsgruppe verankert (s. Kasten).
Gemeinsamer fachärztlicher Versorgungsbereich
Da liegt der Gedanke nicht fern, einen „gemeinsamen fachärztlichen Versorgungsbereich“ in den Sprachgebrauch einzuführen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Die mit dem Vorhaben verbundenen Zielsetzungen sind richtig und notwendig. Ob der gewählte Weg dorthin der richtige ist, ist allerdings diskutabel. Der Referentenentwurf spricht von der Beauftragung eines „gemeinsamen Gutachtens“ durch die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung. Besser wäre es wohl gewesen zu formulieren, „… geben gemeinsam ein Gutachten in Auftrag …“. Hier könnte nämlich der Hase im Pfeffer liegen.
Das Gutachten könnte zu einer Bewährungsprobe für die Selbstverwaltung werden. Das geht schon mit der Konsentierung über die zu beauftragenden Gutachter los. Jedenfalls ist hier ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Experten für die stationären und Experten für die ambulante / praxisklinische Versorgung erforderlich. Die Fachgesellschaften werden in der Regel althergebracht von Berufsträgern aus dem stationären Sektor getragen. Werden die Partner der Selbstverwaltung in der Lage sein, über den eigenen Tellerrand zu schauen?
Was weiß die KBV über die Möglichkeiten zur Erbringung ambulanter stationsersetzender Leistungen außerhalb von EBM und AOP-Katalog und wie engagiert sie sich dafür? Die DKG hat zu diesem Vorschlag bereits in einer Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, dass sie das Ausmaß dieser Untersuchung in Frage stellt und dafür vorschlägt, sich nur auf Neuerungen, insb. stationsersetzende Behandlungen und Schweregraddifferenzierungen zu beschränken.
Wie bringt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe für diesen Vorschlag „Butter bei die Fische“? Wie löst sie die Aufgabenstellungen des Koalitionsvertrages hinsichtlich der Qualitätsanforderungen, neuer Versorgungsstrukturen, der Dokumentation und Vergütung? Die Antwort ist gleichermaßen einfach wie frappierend.
Das Papier formuliert nämlich: „KBV, GKV-SV und DKG werden verpflichtet, für den durch Rechtsverordnung festzulegenden gemeinsamen fachärztlichen Versorgungsbereich einheitliche Vorgaben zur Qualität, Struktur, Dokumentation, Mindestmengen, Vergütung und zur informationstechnischen Ausstattung zu vereinbaren.“
Grundsatzfragen sollen weiterdelegiert werden
Zur Erinnerung: Für all die jetzt auf der Agenda stehenden Inhalte hatte sich der Sachverständigenrat Gesundheit bereits in seinem Sondergutachten 2012 ausgesprochen. Nachdem sich die Bundesregierung in der vorherigen Legislaturperiode auf dem Gebiet der sektorenübergreifenden Versorgung außerstande sah, die notwendigen anspruchsvollen Entwicklungen auf diesem Gebiet zu definieren, sprach sie sich alsbald für die Bildung des oben genannten Arbeitskreises aus. Das wurde dann auch im Koalitionsvertrag verankert und mit den Ländern organisatorisch langwierig konsentiert.
Jetzt sollen wichtige Grundsatzfragen der sektorenübergreifenden fachärztlichen Versorgung auf die Selbstverwaltung weiterdelegiert werden. Vorgeschlagene Zielstellung für das Gutachten über den Stand der medizinischen Erkenntnisse ambulanter und stationsersetzender Leistungen laut MDK-Reformgesetz-Referentenentwurf: bis zum 31. März 2021. Dass der kreißende Berg vor einer schweren Geburt steht, ist jetzt schon klar. Wieviel Zeit wollen sich die Geburtshelfer noch nehmen?



