
Seit vielen Jahren liegt der Fokus vieler Diskussionen auf der Frage, wie wir es schaffen, auch in Deutschland die Zahl der Organspenderinnen und Organspender so zu steigern, dass eine ausreichende Zahl dringend benötigter Spender-Organe zur Verfügung steht. Laut Statistischem Bundesamt standen Ende 2023 über 8500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Im Jahr 2022 gab es bundesweit 860 Organspenderinnen und Organspender, die 3372 Organe spendeten. Auf eine Millionen Einwohner kommen damit nur rund zehn Organspender, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Aber nicht nur die Diskrepanz zwischen Organspendenden und wartenden Empfängern gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Auch die Versorgung Transplantierter ist heute in wesentlichen Teilen noch unvollkommen geregelt und bedarf ebenso dringend zusätzlicher Anstrengungen.
Auf dem oftmals langen Weg eines Patienten von der Diagnose eines chronischen Organversagens, über die Aufnahme auf die Warteliste bis hin zur Organtransplantation einschließlich der Einstellung der lebenslangen immunsuppressiven Therapie und die Nachsorge (Patient Journey) durchlaufen Patienten zahlreiche Stationen sowohl im niedergelassenen als auch im stationären medizinischen Bereich und in der Reha.
Integrierte Versorgung – Verbesserungspotenzial existiert
Im Rahmen dieser „Patient Journey“ gibt es aus Perspektive der integrierten Versorgung umfassendes Verbesserungspotential. Es muss das Ziel sein, dieses Potential zu identifizieren und zügig gezielte Maßnahmen und Vorschlägen zur Verbesserung zu erarbeiten. Hierdurch kann ein positiver Impact in der Versorgung von Tx-Patienten erreicht werden. In diesem Zusammenhang sind insbesondere folgende Fragestellungen wichtig:
- Wie kann die Kommunikation zwischen der Niederlassung und den Transplantationszentren beispielsweise unter Berücksichtigung der Digitalisierung gestärkt werden?
- Wie kann eine kontinuierliche Aufklärung der Betroffenen (sowohl der Patienten als auch der Angehörigen) zu einem besseren therapeutischen Erfolg und Wohlbefinden beitragen und das Gesundheitssystem entlasten?
- Wie erlangen wir Lieferkettensicherheit für chronisch kranke Patienten?
- Wie kann die Transition von transplantieren Kindern in den Versorgungsrahmen erwachsener Transplantierter erfolgreicher gestaltet werden?
- Welcher Betreuungs- und Versorgungsrahmen muss Lebendspendern zugutekommen?
- Welche Art von nicht-therapeutischen Maßnahmen sollten in die Regelversorgung integriert werden?
- Wie können unterschiedliche SGBs berücksichtigt werden?
- Welchen Einfluss könnte die Krankenhausreform auf die Versorgung transplantierter Menschen haben?
Patientenbegleitung und Patient Education
Bisher gibt es in Deutschland keine einheitlichen Standards in der Beratung und Betreuung der Patienten. Daher ist es wichtig, dass gemeinsam an einem besseren und einheitlichen Betreuungs- und Informationsstandard gearbeitet wird. Um dies auf die Bedürfnisse der Patienten zu fokussieren, muss der Bereich der Pflege beleuchtet werden. Hier arbeiten Pflegeexperten (Pflegefachkräfte) in interdisziplinären Teams rund um den Ablauf der Organtransplantation. Insbesondere bei der Nieren- und Leberlebendspende ist auch die Betreuung des Organspenders eine pflegerische Aufgabe.
Pflegeexperten begleiten die Patienten und deren Angehörige in unterschiedlichen Abschnitten:
- auf der Warteliste
- zur Planung einer Organtransplantation
- kurz vor der Organtransplantation
- nach der Organtransplantation auf der peripheren Station
- im ambulanten Bereich (Nachsorge)
Während der pflegefachlichen Betreuung werden Patienten und Angehörige zu unterschiedlichen Themen Transplantation geschult. Vor der Transplantation umfasst diese Schulung Themen wie:
- Adhärenz & Compliance
- Ernährung & Bewegung
- Labor verstehen
- Körperliche Anzeichen im Rahmen der Erkrankung verstehen
- Sozialrechtliche Fragen
Nach der Transplantation werden weitere Aspekte ergänzt, dazu zählen Fragen rund um die medikamentöse Therapie, die medizinische Vorsorge im Anschluss (z.B. Dermatologie, Zahnarzt, Laborkontrollen), Abstoßungszeichen, Hygiene, Sexualität und Reisen sowie Vermittlung an Selbsthilfegruppen.

Transition: Herausforderungen für betroffene Kinder und ihre Familien
Die Transition – der Übergang von der pädiatrischen in die Erwachsenenmedizin – ist für alle chronischen Erkrankungen relevant. Besonders in der Transplantationsmedizin ist sie essenziell, um Transplantatverluste bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu vermeiden. Es mangelt an zentralen, indikationsübergreifenden Informationsangeboten und strukturierten Programmen. Die Finanzierung von Transitionsmaßnahmen ist oft problematisch, und es fehlen standardisierte Qualifikationen für Fachkräfte, die diesen Übergang begleiten. Insbesondere hinderlich sind heute:
- uneinheitliche Umsetzung: Trotz anerkannter S3-Leitlinie wird Transition in Kliniken unterschiedlich gehandhabt. Die Angebote reichen von strukturierten Programmen bis hin zu gar keiner Unterstützung.
- personelle Zuständigkeit: Transition wird von Ärzten, Pflegekräften oder pädagogischem Personal übernommen, die Umsetzung hängt jedoch oft vom Engagement von Einzelpersonen ab.
- Eltern und Jugendliche: Familien unterschätzen häufig die Veränderungen nach dem Wechsel in die Erwachsenenmedizin. Einerseits sind Jugendliche oft nicht ausreichend vorbereitet, ihre medizinische Betreuung eigenständig zu organisieren. Andererseits können Eltern häufig nur schwer loslassen.
Um dieses zu überwinden, bedarf es insbesondere zweier Lösungsansätze: Aufbau einer indikationsübergreifenden Plattform mit allen verfügbaren Angeboten und Inhalten zur Transition, ggf. auch Leitfaden oder „U-Heft“: Entwicklung eines standardisierten Begleithefts für Familien und Kliniken. Zusätzlich muss die Zusammenarbeit der Fachgesellschaften und Kliniken ausgebaut werden. Langfristig kommen hinzu: Etablierung von Versorgungsforschung zu Transition und die Schaffung von Mindeststandards. Ein zentraler Ansatz für Transition könnte die Versorgung von Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen erheblich verbessern und den Übergang in die Erwachsenenmedizin erleichtern.
Einheitliche Forschung und Datengrundlage
Ein großes Handlungsfeld ist die Etablierung einer Zentren-übergreifenden, intersektoralen Forschung und einheitlichen Datengrundlage für Deutschland, um die Lücken in der nationalen Datenlandschaft, insbesondere in der Versorgungsforschung, zu füllen. Aktuell blickt die Wissenschaft auf eine noch nur unzureichende Datengrundlage, beispielsweise aus dem Transplantationsregister, aus der sich noch kaum brauchbare Ableitungen zur Verbesserung der Patientenversorgung ziehen lassen.
Ziel muss eine nationale Datenbank sein, in der relevante Daten aus allen Transplantationszentren, aber auch von allen an der Nachsorge beteiligten Rehazentren und niedergelassenen Ärzten zusammenfließen und so einen umfassenden, einheitlichen Datensatz für die Klärung wichtiger Fragestellungen bilden.
Das Ziel ist es aktuell, eine finanzielle Förderung für den Aufbau dieses Netzwerkes zu erhalten und einen konzeptionellen Ansatz für eine gemeinsame Plattform mit Eurotransplant zu schaffen. Hierdurch soll eine bestehende gemeinsame Initiative aus Berlin, Erlangen und Essen auf die nationale Ebene erweitert werden. In dem geplanten Ansatz sollen zudem Fragebögen entwickelt und in die Kliniksysteme integriert werden, um so automatisch Daten einzuspeisen. Die Plattform soll vor allem auch telemedizinische Konzepte mit abbilden, um diesen innovativen Ansatz der Patientenversorgung weiter national zu begleiten und eine Integration in die Regelversorgung schnellstmöglich zu ermöglichen.
Nächste Schritte
Aus Sicht einer vernetzten, sektoralen, Disziplinen- und Professionen-übergreifenden Transplantationsmedizin besteht dringender Handlungsbedarf. Sollte die Zahl der Organspenden auch in Deutschland endlich steigen, verschlimmern die aufgeworfenen Fragestellungen und Baustellen die bereits bestehenden Engpässe. Der in der DGIV hierzu gegründete Arbeitskreis Transplantationsversorgung wird die nächste Legislaturperiode nutzen und aus der Arbeit entstandene Maßnahmenvorschläge an Politik und Entscheider adressieren.



