
Es ist eine ungewöhnliche Entscheidung: Deutschlands größtes Universitätsklinikum – die Berliner Charité – hat den Health-IT-Konzern Dedalus aus dem laufenden Ausschreibungsverfahren für ein neues Krankenhausinformationssystem (KIS) ausgeschlossen. Grund sollen nach kma-Informationen Formfehler gewesen sein.
Die zwingenden Verfahrensregeln gelten für alle Bieter gleichermaßen und werden von der Charité rechtskonform angewendet.
Dedalus bestätigte gegenüber kma den Rauswurf, der bereits Anfang September erfolgt sein soll. „Dedalus bedauert, infolge einer verfahrensrechtlichen Entscheidung der Charité, nicht mehr am KIS-Vergabeverfahren teilnehmen zu können“, teilte das Unternehmen kma in einer Stellungnahme mit. Damit stehe eine Vergabeentscheidung an, die nicht nur Berlin, sondern den ganzen Gesundheitsstandort Deutschland beträfe, so der italienische Konzern. Die Charité wollte sich zu dem Vorgang mit Verweis auf das laufende Vergabeverfahren zu Details nicht äußern. Sprecher Markus Heggen verwies gegenüber kma darauf, dass das Verfahren in Übereinstimmung mit den vergaberechtlichen Vorschriften durchgeführt werde. „Die zwingenden Verfahrensregeln gelten für alle Bieter gleichermaßen und werden von der Charité rechtskonform angewendet.“
Juristischer Streit um Form der Ausschreibung
Der Disput zwischen Dedalus und der Charité hat eine lange Vorgeschichte. Im November 2024 hatte die Berliner Vergabekammer einen ersten Einspruch des KIS-Anbieters gegen die Form der Ausschreibung zurückgewiesen. Dedalus akzeptierte das nicht und legte Mitte Dezember 2024 gegen die Entscheidung der Vergabekammer Beschwerde beim Berliner Kammergericht ein. Doch auch hier scheiterte der deutsche KIS-Marktführer, das Gericht wies die Beschwerde am 4. Juni „vollumfänglich zurück“, so Paula Riester, Sprecherin der Berliner Zivilgerichte.
Die Richter des Kammergerichts sahen die Kriterien der Ausschreibung formaljuristisch für erfüllt an und wollten den Kritikpunkten von Dedalus nicht folgen. Das Unternehmen hatte zuvor moniert, dass die Charité in der Ausschreibung alle Funktionalitäten aus dem Beschaffungsprozess ausgeschlossen habe, die ein administratives KIS ausmachen würden, wie z. B. das Abrechnungssystem, die Qualitätssicherung und die Kodierung. Da der US-Hersteller Epic zum Klagezeitpunkt ein Abrechnungsmodul für Deutschland zum Klagezeitpunkt nicht im Portfolio hatte, vermutete Dedalus ein Ausschreibungsdesign zugunsten von Epic. Dieser Argumentation folgte das Kammergericht im Juni nicht.
Entscheidung soll bis Jahresende fallen
Für die Charité ist seitdem formaljuristisch der Weg zum Abschluss der laufenden Ausschreibung frei. Ursprünglich sollte die Vergabeentscheidung schon bis Ende Juni 2025 erfolgen, die juristischen Scharmützel verzögerten jedoch den Prozess um Monate. Nun soll bis zum Jahresende eine Entscheidung erfolgen.
Kurioserweise gehörte Dedalus nach kma-Informationen trotz der Klagen auch nach dem 4. Juni weiterhin zum engeren Kandidatenkreis der Charité, das Unternehmen führte offenbar weiter Gespräche mit dem Klinikträger im Rahmen der Ausschreibung. Mit dem jetzigen Ausscheiden von Dedalus dürfte der Kandidatenkreis an Unternehmen, die ein neues KIS für Europas größtes Universitätsklinikum sowohl technologisch wie personell umsetzen können, jedoch sehr übersichtlich sein.
US-System Epic zählt zu den Kandidaten
Zum engeren Kandidatenkreis dürfte vermutlich weiterhin Epic zählen. Vizepräsidentin Mercedes McCoy hatte kma schon 2024 bestätigt, an der Berliner Ausschreibung teilnehmen zu wollen. Aufgrund der Eigenschaften des Epic-Systems, das mit seinem strikten Datensystem und weiteren Funktionalitäten besonders für forschende Universitätskliniken geeignet ist, haben es zuletzt einige europäische Unikliniken eingeführt. Dazu zählen u. a. Häuser in der Schweiz, Dänemark und Norwegen. Der US-Branchenriese versucht seit einiger Zeit, auch in Europa Fuß zu fassen.
Dedalus warnt nun in der Stellungnahme vor „realen Risiken“ bei einer Vergabe an Epic, etwa in Fragen der hohen Umsetzungsanforderungen bei der Einführung und der „digitalen Souveränität.“ Jüngste Beispiele aus der Schweiz wie der Datenabfluss an Drittstaaten hätten verdeutlicht, welche Gefahren dann entstehen würden.
KIS-Entscheidung vor tiefroten Zahlen
Ganz aus der Luft gegriffen sind die Befürchtungen des unterlegenen Bewerbers nicht, wie die erratische Wirtschaftspolitik des US-Präsidenten Donald Trump zeigt. Nicht wenige Experten sorgen sich, dass die Devise „America First“ auch zu heimlichen Hintertürchen für Datenabflüsse in US-Software führen könnte. Solche Befürchtungen werden von kritischen Beobachtern der Branche geteilt. Bei der Berliner Datenschutzbeauftragten Meike Kamp ist am 1. Oktober eine anonyme Beschwerde eingegangen (liegt kma vor), die ebenfalls datenschutzrechtliche Probleme und Bedenken im Zusammenhang mit einer Vergabe an Epic in der Charité-Ausschreibung formuliert.
Ein weiteres heikles Thema ist zudem die Frage der Finanzierung des neuen KIS, denn der schwarz-rote Berliner Senat muss ein milliardenschweres Finanzloch in seinem Etat stopfen. Epic gilt als das teuerste KIS-System auf dem Markt, auch wenn Anhänger des Systems darauf verweisen, dass auf längere Sicht sich die Kosten für die unterschiedlichen KIS-Anbieter angleichen würden. Etablierte KIS-Anbieter auch jenseits von Dedalus bezweifeln diese Angaben. Auf jeden Fall würde eine Entscheidung zugunsten Epic eine teure Angelegenheit für die Charité werden. Angesichts der knappen Kassen und der ebenfalls tiefroten Bilanz der Charité bleibt abzuwarten, wie die Berliner Politik reagiert. Schließlich gehen Branchenexperten von deutlich höheren Summen als den bislang offiziell veranschlagten 90 Millionen Euro aus.







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