
„Früher war die Krankenhaus-IT des Fachklinikums Mainschleife komplett in die zentralen IT-Dienste der Helios Kliniken integriert“, erzählt Florian Wanner, Geschäftsführer der Kite Consult GmbH, einem Beratungsunternehmen für digitale Transformation in München. Nach dem Aufkauf durch einen Investor musste das Fachklinikum (FKM) in Bayern binnen eines Jahres jedoch von der Helios-IT unabhängig werden und alle Software-Dienste selbst bereitstellen – einschließlich des Klinikinformationssystems (KIS).
Eine echte Herausforderung – die man in Volkach jedoch mit Bravour gemeistert hat. Heute betreibt das FKM sein neues webbasiertes KIS und sämtliche IT-Dienste vollständig in der Cloud von Amazon Web Services (AWS). Damit ist die Fachklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und minimalinvasive Allgemeinchirurgie nicht nur deutschlandweit, sondern global gesehen das erste Krankenhaus, das sich für diesen Schritt entschieden hat.
In zwölf Monaten von der Auswahl bis zur Migration
Kite Consult ist Partner von AWS und hat als externer Dienstleister das Carve-out-Projekt für das Fachklinikum betreut und umgesetzt: „Das war ein straffer Zeitplan“, blickt Wanner auf das ambitionierte Vorhaben zurück: „In den zwölf Monaten ab Anfang 2022 mussten wir nicht nur die KIS-Installation und den Transfer in die Cloud bewerkstelligen, sondern zudem auch die richtige Software auswählen und beschaffen.“
Doch gerade die Beschaffung erwies sich als problematisch: Durch den Ukraine-Krieg kam es zu einer Lieferkettenproblematik. Bestimmte Hardware war gar nicht verfügbar. Schließlich fiel die Entscheidung zum Outsourcing: Als Ersatz für das alte SAP-basierte KIS IS-H sollte nun eines mit Fokus auf Cloud-Fähigkeit und Effizienz her – nicht zuletzt, weil das FKM mit dem Austritt aus der Helios Kliniken Gruppe nicht nur seine IT-Services, sondern auch sämtliche IT-Fachkräfte verlor.
„Mit Clinixx von AMC Holding, einem KIS-Anbieter aus Hamburg, haben wir schließlich die richtige, webbasierte Software gefunden, die sich für Cloud-Anwendungen eignet“, berichtet Wanner über den Projektbeginn. Ausschlaggebend dabei: Die AMC Holding GmbH zeigte sich offen dafür, ihr KIS in Richtung Cloudfähigkeit weiterzuentwickeln. Als mittelständischer Hersteller ermöglichte man der Klinik eine Anpassung auf Augenhöhe und kurzen Wegen: „Das gelingt den großen Herstellern auf Grund ihrer Struktur und dem Haftungsbedarf oftmals nicht“, weiß Wanner. Das cloudfähige KIS ist seitdem am FKM im Einsatz. Die Technologie kann Kite Consult als IT-Partner des FKM nun auch für andere Kunden bereitstellen.

Drei Projektziele: Agilität, Kosteneffizienz und Sicherheit
Auch wenn das neue Cloud-KIS am FKM aus Zeitnot heraus entstand, standen bei seiner Einführung drei wichtige Ziele im Fokus: Agilität, Kosteneffizienz und Sicherheit. „Agilität war die drängendste Notwendigkeit“, resümiert Florian Wanner und erklärt: „Heute zählt mehr denn je, mit welcher Schnelligkeit wir Veränderungen umsetzen können.“ Dieses Kernziel habe das Klinikum inzwischen nachhaltig erreicht.
Heute zählt mehr denn je, mit welcher Schnelligkeit wir Veränderungen umsetzen können.
Kosteneffizient sei die Cloud-Technologie deshalb, weil man durch sie Einmalinvestitionen vermeiden konnte. In puncto Sicherheit und Verfügbarkeit – dem dritten Anliegen – habe die KIS-Migration ebenfalls Vorteile gebracht: „Die Dienste sind in der Cloud jederzeit sicher verfügbar. Zudem lassen sich in der Cloud sehr reife Sicherheitsdienste verwenden.“
Change-Management durch Herauslösung von IT-Prozessen
Der straffe Zeitplan war jedoch nur eine von mehreren, zentralen Herausforderungen bei der Implementierung. Eine weitere war der organisatorische Carve-out. Parallel zur IT-Migration wurden sämtliche IT-Prozesse aus der Helios Gruppe herausgelöst: „Wir mussten unterjährig zahlreiche Prozesse umdenken. Das war eine extrem hohe Dichte an Veränderungen für die Mitarbeitenden“, fasst Wanner zusammen.
Um das Maß an Veränderungen für die Organisation verkraftbar zu machen, wendete man beim Change-Management jedoch einige Kniffs und Tricks an: So portierte das FKM beispielsweise bereits existierende Cloud-Lösungen einfach in die AWS-Cloud. Auf diese Weise änderten sich die Abläufe zumindest für die Mitarbeitenden in diesen Bereichen nicht. Andere Felder, wie z.B. das Praxisverwaltungssystem (PVS), blieben sogar gänzlich gleich.
Die Entscheidung für AWS
Warum hat sich das FKM als erste Klinik weltweit für Amazon Web Services entschieden? „Weil Software as a service heute das Modell der Wahl ist“, begründet Wanner und verweist auf Dienste wie Doctolib. Außerdem habe man bestehende Fachanwendungen auf die Cloud-Plattform heben müssen – und das gebe es für den deutschen Markt so noch nicht. „Das haben wir im Rahmen des Integrationsprojektes zusammen mit dem Softwarehersteller gemacht.“
Software as a service ist heute das Modell der Wahl.
Möglich wurde die KIS-Migration auf AWS Cloud Computing auch deshalb, weil neue regulatorische Weichen gestellt wurden: „Es gab zwei gesetzliche Änderungen, die das möglich gemacht haben“, so Wanner. Zum einen gab es Veränderungen beim Datenschutz im bayerischen Krankenhausgesetz. Demzufolge müssen Daten ab Juni 2022 nicht mehr zwangsläufig auf dem Klinikgelände verarbeitet werden. „Diese Gesetzesänderungen haben wir direkt für das FKM genutzt“, erläutert der IT-Berater. So wurde das „KIS aus der Cloud“ erstmals in Bayern möglich.
Gesetzesänderungen ebneten den Weg
Die zweite Veränderung, die man in Volkach zum Jahresbeginn 2022 antizipierte: Der mit dem Digital-Gesetz neu eingeführte § 393 SGB V. Durch die neue Gesetzgebung öffnete sich eine weitere Tür für das FKM: „Sie besagt, dass Cloud-Provider mit einer Kombination aus C5 testierten Diensten und den umgesetzten korrespondierenden Kriterien für Kunden die Cloud ab sofort nutzen dürfen.“
„Die Innovation wurde erst möglich, weil der Gesetzgeber erkannt hat, dass das Gesundheitswesen mehr Cloud-Nutzung benötigt – jedoch unter kontrollierten, sicheren Bedingungen“, betont IT-Experte Wanner. Gemäß den Spezifikationen des Providers habe Kite Consult die Migration des KIS in die Cloud für das Krankenhaus dann umgesetzt. Keine triviale Aufgabe, wie Wanner betont – man profitierte von vorhandenen Erfahrungswerten.
Das Cloud-KIS: Vorteile aus Nutzersicht
Doch wie werden die Ziele für Datensicherheit und Datenschutz im Cloud-KIS gewährleistet? „Auch das war Teil des Projekts“, berichtet Florian Wanner: „Statt den Mitarbeitenden selbst die Umsetzung der Datenschutzanforderungen aufzuerlegen, haben wir die Maßnahmen über Leitplanken im System integriert.“ Deren Einhaltung wird nun automatisiert überwacht und geprüft. Bei Sicherheitsproblemen und Ausfälle gibt es einen automatischen Alarm.
Hat sich die Arbeit des Klinikpersonal durch das Cloud-System verändert? Kaum, meint der IT-Experte und führt aus: „Zum Erstaunen vieler sieht das KIS in der Cloud genauso aus, wie wenn man selbst installiert. Wir haben nur die technische Plattform darunter geändert, um die Anforderungen an Verfügbarkeit und Datensicherung abzudecken.“

Die Veränderung ist für den KIS-Nutzer nicht sichtbar.
Die Veränderung ist für die IT-Abteilung somit deutlich größer als für den KIS-Nutzer, für den sie unsichtbar bleibt. „Da die IT am FKM nach dem Ausscheiden aus der Helios Kliniken Gruppe nicht mehr vorhanden war, betraf es jedoch keinen“, blickt Wanner lachend zurück. Was seitens der Workforce nun auffällt, ist, dass neue Anforderungen sehr zügig, oft noch am gleichen Tag, umgesetzt werden können: das Patientenportal und Änderungen im Entlassmanagement beispielsweise.
Spüren die Patienten diesen Unterschied auch? „Nur indirekt“, zieht Wanner Bilanz: „Sie merken, dass wir neue Funktionalitäten schneller bereitstellen. Und natürlich sind die Daten sicherer als vorher.“ Doch wo sind die Daten in der Cloud überhaupt? „Die Patienten- und Versorgungsdaten befinden sich in drei Verfügbarkeitszonen der AWS in Frankfurt. Jede Zone besteht aus mindestens zwei bis eher drei Rechenzentren“, erklärt er. Dabei sind die Daten jederzeit sicher verschlüsselt gespeichert und nur das Klinikum selbst kann sie über sogenannte Customer Managed Keys entschlüsseln.
Kosten bei der Einführung
Gab es Einsparungen durch das Cloud-KIS? „Wir konnten die Kosten bisher halten, teils sogar senken“, resümiert Wanner. Das sei bemerkenswert, weil die zentralen IT-Services der Helios mit 100 000 Nutzer zuvor eine ganz andere Skalierung bedienten. Derzeit habe man nur noch 200 Nutzer und eine deutlich kleinere Umgebungsgröße. Verwaltbar werde das, weil das KIS aus der Cloud auch mit reduziertem Fachpersonal betrieben werden könne.
Wir konnten die Kosten bisher halten, teils sogar senken.
Klar, dass dies ein allgegenwärtiges Problem löst: den IT-Fachkräftemangel an deutschen Kliniken. Das Erfordernis hoher Qualifikationen vervielfacht oftmals die Kosten pro Headcount. Für dieses Geld stellen die meisten Kliniken jedoch lieber einen neuen Arzt ein: „Die modernen Systeme lassen sich deutlich effizienter betreiben. Durch das Outsourcing ziehen die Kliniken Synergieeffekte“, hebt Wanner den Vorteil des Cloud-KIS hervor. Das FKM sei längst nicht mehr das einzige Klinikum, das bei AWS laufe: Der Dienst sei inzwischen als „Managed Service“ übergreifend auch an anderen Häusern im Einsatz – so z.B. an der Max-Grundig-Klinik – die ihre vollständige Umstellung auf die Cloud im ersten Quartal 2025 vollziehe. Weitere große Krankenhäuser seien im Zulauf.
Einmalinvestition ins KIS, Cloud im Abonnement
Ohne Frage, das FKM ist mit seinem Cloud-KIS für weitere Kliniken zur Blaupause geworden. Insbesondere deshalb, weil das Betriebsmodell rechtskonform gebaut ist. Damit tun sich aktuell viele Kliniken noch schwer. Die Cloud Migration wurde über den FTB7 (KHZG) finanziert. Die Cloud-Kosten werden über Betriebskosten finanziert. Das KIS wurde über Eigenmittel im Rahmen des Carve-outs neubeschafft.
So geht es weiter
Entwicklungen, die jetzt noch folgen, sind unter anderem der Umzug des HCM-Pax-Archivs auf eine moderne Speicherplattform. „Der Hersteller Visus hat hier in der Produktentwicklung nachgelegt und seine Software cloudfähiger gemacht“, erzählt Florian Wanner. Damit könne man die Archivkosten für PACS und HSCM zukünftig um 95 Prozent senken. „Das sind Effekte, die man heben kann, wenn man eine moderne Technologie-Plattform nutzt und die entsprechenden Softwarehersteller mitziehen“, resümiert er weiter.
Die langfristige Strategie des FKM sieht vor, die Cloud-Technologie weiterhin zu nutzen und auf neue medizinische Versorgungszentren (MVZ), die jetzt noch angeschlossen werden, auszuweiten. Das Wachstum, das jetzt stattfindet, besteht somit in der kontinuierlichen Integration von weiteren, neuen Standorten.








Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen