
Es war ein Schritt, der zu erwarten war. Die Walldorfer Softwareschmiede SAP vollzieht den Wandel zum Cloud-Anbieter und hat ihre Software SAP-ERP ECC abgekündigt. Davon betroffen ist SAP IS-H (Industry Solution Healthcare). Die auf ECC-basierende Branchenlösung zur Patientenverwaltung und -abrechnung bildet zusammen mit i.s.h.med von Oracle Cerner ein vollwertiges KIS.
Eine greifbare Lösung ist zudem noch immer nicht absehbar.
SAP stellt die Wartung von SAP-ERP-ECC Ende 2027 ein. Kunden können noch eine optionale, kostenpflichtige erweiterte Wartung bis Ende 2030 erhalten. Eine eigene Patientenabrechnung bietet das Unternehmen künftig nicht mehr an, auch nicht auf der Plattform S4/Hana. SAP verweist auf Nachfolgelösungen von Partnern. „Da es aus DSAG-Sicht unrealistisch ist, dass alle Häuser zwischen 2024 und 2030 auf Partnerlösungen wechseln können, die aktuell noch nicht entwickelt sind, können erhebliche Kosten auf die Häuser zukommen“, sagt Michael Pfeil, Arbeitskreissprecher Healthcare der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG). „Eine greifbare Lösung ist zudem noch immer nicht absehbar.“
Die betroffenen Krankenhäuser haben der DSAG zufolge zwei Optionen: „Einerseits können sie die kostenintensive Extended Maintenance bis Ende 2030 nutzen“, sagt Pfeil. „Andererseits können sie den Markt evaluieren und die Einführung eines neuen KIS priorisieren. Das wäre wohl die zu präferierende Variante.“ Auf den DSAG-Infotagen am 15. und 16. Mai 2024 in St. Leon-Rot werden Anbieter Nachfolgelösungen vorstellen. „Natürlich wird es in dem Zuge auch um die Zukunft der Krankenhausinformationssysteme gehen“, so Pfeil.
300 Kliniken werden in den kommenden sechs Jahren ihr KIS wechseln müssen.
Die Abkündigung von IS-H beflügelt die Branche Aus Sicht der DSAG hat SAP einen entscheidenden Fehler gemacht und dem Wettbewerb die Bühne bereitet. „Leider auf Kosten der Kunden“, so Pfeil. Die Entscheidung von SAP befördert das Geschäft der KIS-Hersteller, die bereits in den letzten Jahren vom Krankenhauszukunftsgesetz profitiert haben. Alle Anbieter verzeichnen eine große Nachfrage nach einem Ersatz von IS-H und/oder i.s.h.med.
AMC
Der Hamburger KIS-Hersteller AMC beispielsweise geht davon aus, dass in den kommenden sechs Jahren über 300 Kliniken im deutschsprachigen Raum ihr KIS wechseln müssen. „Die Abkündigung von SAP IS-H wird sich noch deutlich positiver auf unser Geschäft auswirken als das KHZG“, erklärt Jörg Reichardt, Geschäftsführer der AMC Holding. Das Unternehmen bekommt viele Anfragen von SAP IS-H-Kunden, die entweder nur das IS-H-Modul oder IS-H zusammen mit i.s.h.med ablösen möchten. Aktuell gibt es in Deutschland 50 Installationen des KIS Clinixx von AMC.
Der Hersteller konnte durch KHZG-Projekte mehrere Kunden gewinnen und im vergangenen Geschäftsjahr seinen Umsatz um 30 Prozent steigern. Für das laufende Jahr wird noch einmal eine Steigerung erwartet. „Wir gewinnen im Durchschnitt der letzten Jahre sechs bis acht neue Kunden pro Jahr“, sagt Jörg Reichardt. „Unser Ziel in der Neukundengewinnung liegt bei zehn bis zwölf jährlich.“
Compugroup Medical
Auch Compugroup Medical (CGM) geht davon aus, dass sich die Aufgabe von i.s.h.med gut auf das Geschäft auswirken wird. „Im Zuge der Abkündigung stehen bei uns vor allem zwei Lösungen im Fokus: CGM Clinical EMR für die klinischen Prozesse und CGM Clinical RCM für Patientenmanagement und -abrechnung. Damit bieten wir für alle Anwendungsfälle die erforderliche Interoperabilität, um IS-H und i.s.h.med entweder schrittweise oder vollständig abzulösen“, sagt Hannes Reichl, Geschäftsführender Direktor Inpatient and Social Care bei Compugroup Medical. Über 900 Kliniken in Deutschland setzen ein KIS von Compugroup Medical ein. Der Hersteller ist in Deutschland mit den KIS-Linien CGM Clinical, CGM Medico und G2 sowie CGM Reha vertreten.
In der Tat konnten wir unsere Umsatzprognose zwei Mal nach oben korrigieren.
Das Unternehmen konnte seinen Umsatz 2023 im Vergleich zum Vorjahr von 277 auf 315 Millionen Euro steigern. Das organische Wachstum betrug 14 Prozent. CGM führt diese Entwicklung vor allem auf Umsätze in Zusammenhang mit dem KHZG zurück, sowie auf Projekte in Spanien und Polen. Die wiederkehrenden Umsätze machten im vergangenen Jahr 210 Millionen Euro aus, was einem Anteil von 67 Prozent entspricht. „In der Tat konnten wir unsere Umsatzprognose zwei Mal nach oben korrigieren“, sagt Hannes Reichl.
Dedalus
Dedalus profitiert ebenfalls von der aktuellen Situation. Nachdem das KHZG das Geschäft mit dem KIS Orbis in den Jahren 2022 und 2023 positiv beeinflusst hat, setzt sich dieser Trend wegen der Turbulenzen um IS-H und i.s.h.med. fort. „Wir merken das an den vielen Präsentationsanfragen und Ausschreibungen, zu denen wir gebeten werden“, sagt Michael Strüter, Geschäftsführer und Vertriebsleiter Dedalus HealthCare in der DACH-Region.
Aktuell sind in Deutschland 811 Orbis-Installationen im Routinebetrieb. Das Branchenschwergewicht zählt weltweit über 6100 Krankenhäuser und 5300 Labore zu seinen Kunden. Die nächste Generation des KIS, Orbis U, ist auf eine anwenderfreundliche Bedienung ausgelegt. „Bestandskunden wechseln Schritt-für-Schritt in einem nicht- disruptiven Prozess auf die neue ORBIS U-Plattform“, so Strüter.
Meierhofer
Meierhofer bietet ebenfalls Lösungen für IS-H und i.s.h.med an. Für IS-H gibt es mit M-KIS Patientenmanagement eine Anwendung, die bereits in Krankenhäusern in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Einsatz ist, sowie M-KIS Abrechnung, das 2024 pilotiert wird. Als Ersatz für i.s.h.med. bietet Meierhofer ein größtenteils vorkonfiguriertes KIS an, das eine schnelle Einführung ermöglicht. In Österreich arbeitet das Unternehmen gemeinsam mit T-Systems Austria an einer Lösung für die Abrechnung.
Das Krankenhausinformationssystem M-KIS von Meierhofer ist zurzeit in rund 250 Krankenhäusern aller Bettengrößen in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Einsatz. In den vergangenen fünf Jahren sind die Umsätze konstant gestiegen. Im Geschäftsjahr 2023 machte das Unternehmen einen Umsatz von 37,1 Millionen Euro. Für das neue Geschäftsjahr erwartet Meierhofer eine Umsatzsteigerung von etwa 20 Prozent. Trotz Fachkräftemangel wächst die Mannschaft: Das Unternehmen hatte 2023 360 Mitarbeiter und versucht, in diesem Jahr die 400er-Marke zu knacken.
Mesalvo
Mesalvo hat seine Software bereits an IS-H und i.s.h.med angebunden. „Wir können schon jetzt über die BAPI-Schnittstelle, die wir in unserem klinischen Arbeitsplatzsystem Meona implementiert haben, Daten aus IS-H und i.s.h.med. in Cortex, die neue Plattform von Mesalvo, synchronisieren und so zunächst IS-H und i.s.h.med. als führendes System belassen“, sagt PD Dr. Matthias Wuttke, CIO Mesalvo. „Das ist sehr charmant, weil es bedeutet, dass wir ein Migrationsszenario im Echtbetrieb haben, was ohne relevante Risiken daherkommt.“
Das ist sehr charmant, weil es bedeutet, dass wir ein Migrationsszenario im Echtbetrieb haben.
Funktionalitäten aus dem KIS ClinikcCentre und aus Meona sollen dann genutzt werden, um IS-H- und i.s.h.med-Funktionen nach und nach abzulösen. Zurzeit sind 144 Installation des KIS ClinicCentre im Einsatz. Der Gesamtumsatz der Mesalvo Gruppe lag 2022 bei circa 45,4 Millionen Euro. Die Mesalvo Gruppe entstand durch den Zusammenschluss von i-Solutions Health, Datapec, Meona und E.care im Sommer 2021. Das Unternehmen beschäftigt 461 Mitarbeiter.
Nexus
Nexus hat bereits von den Vorgängen um SAP profitiert. Das Unternehmen konnte die erste große Ausschreibung im Zusammenhang mit der IS-H-Abkündigung für sich entscheiden. „Im Klinikum Landau – Südliche Weinstraße lösen wir derzeit die IS-H- und i.s.h.med-Installation ab“, sagt Daniel Heine, Vertriebsleitung NEXUS. „Außerdem haben sich zehn weitere Kliniken für die Umstellung von IS-H auf das Nexus/ KIS entschieden“, fügt er hinzu. Das Nexus/ KIS ist derzeit in 289 deutschen Kliniken installiert. Für 2023 lagen bei Redaktionsschluss noch keine Geschäftszahlen vor.
2022 erzielte die Nexus AG einen Umsatz von 209,1 Millionen Euro, das EBITDA lag bei 44,3 Miollionen Euro. Auf die Sparte Nexus /DE entfielen 69,9 Millionen Euro des Umsatzes, die zum großen Teil auf das Nexus /KIS zurückgehen. Das Unternehmen bietet auch in Frankreich, den Niederlanden, Polen und der Schweiz Klinikinformationssysteme an. 2023 hat es eine Reihe von Akquisitionen und Beteiligungen getätigt wie zum Beispiel Maris Healthcare (Spracherkennung, klinische Dokumentation und Telemedizin) oder Vireq software solutions (digitale Vernetzung und Interoperabilität).
Oracle Cerner
Wie sehen die Pläne des i.s.h.med.-Anbieters Oracle Cerner aus? Das Unternehmen arbeitet an einem Cloud-basierten Nachfolger auf der Oracle Cloud Infrastructure (OCI). „Wir werden weiterhin mit unseren Kunden zusammenarbeiten, wenn sie ihre digitale Transformation vorantreiben und neue Cloud-basierte Lösungen einführen, um ihre Ärzte, Patienten und die gesamte Organisation zu unterstützen“, teilt des Unternehmen mit. Auf der Gesundheits-IT-Veranstaltung DMEA möchte es einen Einblick in die neue Plattform geben und zeigen, „wie die Umstellung mit minimalen Unterbrechungen gelingen kann.“
Wir haben jetzt die Chance, die Digitalisierung des Gesundheitswesens auf die nächste Stufe zu heben.
Der SAP-Rivale Oracle hat die Übernahme von Cerner 2022 abgeschlossen. Das Cerner-KIS i.s.h.med. ist weltweit in über 750 Krankenhäusern im Einsatz. „Deutschland und Österreich bleiben Schlüsselmärkte für Oracle“, versichert das Unternehmen. „Wir haben jetzt die Chance, die Digitalisierung des Gesundheitswesens auf die nächste Stufe zu heben.“
Telekom
Die Deutsche Telekom geht davon aus, dass die Abkündigung von IS-H ein stärkerer Katalysator für einen KIS-Wechsel darstellt als das Ende von i.s.h.med. „Für unsere iMedOne-Kunden steht mit unserem iMedA bereits eine IS-H-Alternative zur Verfügung“, sagt Gottfried Ludewig, Chef der globalen T-Systems-Gesundheitssparte. Das Abrechnungstool ist in iMedOne integriert und kommuniziert über eine Schnittstelle mit den Fachsystemen SAP ERP ECC oder SAP S/4HANA. iMedOne, das KIS der Telekom, nutzen rund 250 Kliniken in Deutschland. Das Geschäft entwickelt sich positiv. Als börsennotiertes Unternehmen gibt die Telekom jedoch keine Geschäftszahlen für einzelne Bereiche bekannt.
Mit Bestandskunden setzt das Unternehmen viele KHZG-Projekte um. Die Telekom erwartet, dass viele Kliniken ihre Krankenhausinformationssysteme wechseln werden – vor allem diejenigen, die bisher i.s.h.med im Einsatz hatten. Als Wachstumstreiber sieht das Unternehmen Künstliche Intelligenz (KI) und Cloud-Lösungen an, wie sie gerade mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) umgesetzt wurden.
Die Entwicklung des KIS-Marktes der vergangenen Jahre
Das sind die aktuellen Trends
Cloud-Lösungen und Software-as-a-Service-Lösungen (SaaS) zählen zu den Trends der nächsten Jahre.Die Auslagerung von Services in die Cloud entlastet die IT-Abteilungen, die händeringend nach Fachkräften suchen. Auch rechnen die Unternehmen für die Zukunft mit einer verstärkten Nachfrage nach neuen Leistungs- und Preismodellen. Die KIS-Hersteller haben bereits entsprechende Lösungen oder bereiten sie vor. AMC zum Beispiel hat bereits im vergangenen Jahr zusammen mit dem Hyperscaler Amazon Web Services (AWS) im Fachklinikum Mainschleife das erste komplette KIS aus der Cloud in Deutschland realisiert. Dabei wurde die Kombination von i.s.h.med. und I-SH abgelöst. „Wir konnten mit unserem Projekt beweisen, dass ein Betrieb von solch einer Software aus der Cloud trotz aller Bedenken datenschutzkonform möglich ist“, sagt Reichardt. Die Nachfrage sei aktuell sehr groß, erläutert der Geschäftsführer. Rund die Hälfte aller Anfragen an das Unternehmen beziehen sich derzeit auf ein Angebot für ein KIS aus der Cloud.
Cloud-Lösungen und Software-as-a-Service-Lösungen zählen zu den Trends für die kommenden Jahre.
Dedalus arbeitet bereits zusammen mit AWS daran, Orbis und weitere Dedalus-Produkte als Cloud-Lösungen anzubieten. Auch Meierhofer setzt auf die Cloud. Das Unternehmen entwickelt sämtliche neuen Lösungen wie zum Beispiel M-KIS Patientenmanagement und M-KIS Abrechnung als cloudfähige, SaaS-basierte Lösungen, die einrichtungsübergreifend funktionieren. „Damit werden wir den Anforderungen an Sicherheit und Skalierbarkeit gerecht“, sagt Matthias Meierhofer, Vorstandsvorsitzender und Gründer des Unternehmens. Auch Mesalvo sieht einen wachsenden Bedarf an skalierbarem Cloud Computing. Das Unternehmen geht davon aus, dass der Druck auf Krankenhäuser zunehmen wird, von der Cloud sowie weiteren Innovationen wie etwa Big Data und KI zu profitieren. „Wir erwarten mittelfristig einen deutlichen Anstieg der Akzeptanz von Cloud Computing in deutschen Krankenhäusern“, so William Oliver, Chief Customer Officer (CCO). Und auch die Telekom erwartet, dass die Krankenhausinformationssysteme in die Cloud ziehen. „Kubernetes-basierte Cloud-Plattformen werden dabei eine zentrale Rolle spielen“, sagt Gottfried Ludewig.
Alles zur Zukunft der Krankenhausinformationssysteme lesen Sie auch in unserer aktuellen Ausgabe. Als Special zur DMEA gibt es die Ausgabe kostenlos als E-Paper.
Auch der Einsatz von KI im KIS-Umfeld wird in den nächsten Jahren noch zunehmen. Hier eine Auswahl: CGM arbeitet an einer Software, die Ärztinnen und Ärzte bei der Erstellung von Arztbriefen mit generativen Sprachmodellen entlasten soll. „Für Kliniken entwickeln wir derzeit eine KI-basierte Anwendung, mit der Ärzte auf Basis der künftig digital verfügbaren Klinikdaten gezielte Fragen im Behandlungskontext stellen können“, erklärt Reichl. Erste Tests mit Pilotkunden sollen im Laufe des Jahres anlaufen. Dedalus hat die medizinische KI Clinalytix entwickelt, die Daten interpretieren, Verläufe erkennen und dem medizinischen Personal Hilfestellung geben soll.
Für Kliniken entwickeln wir derzeit eine KI-basierte Anwendung.
KI steckt auch in vielen Assistenzfunktionen wie der Spracherkennung oder der digitalen Assistenz im Medizincontrolling. Orbis U wird einen Chatbot erhalten, der Anwendern Zugang zu nachgefragten Bereichen ermöglicht. Nexus baut seine KI-Plattform aus und setzt Natural Language Generation (NLG) in allen klinischen und diagnostischen Lösungen ein. KI unterstützt das Unternehmen auch bei der Softwareentwicklung. Oracle hat im Bereich der generativen KI den Oracle Clinical Digital Assistant entwickelt, der bereits erste Anwender bei der Nutzung von KI mittels Sprachbefehlen bei der Dokumentation unterstützt. Es gibt noch eine Reihe weiterer Entwicklungen auf dem deutschen Gesundheitsmarkt, die sich nach Ansicht der KIS-Hersteller auf ihr Geschäft auswirken werden: Pflegenotstand, Fachkräftemangel, Krankenhausreformen, Insolvenzen, die zunehmende Ambulantisierung sowie die anstehende KIS-Umstellung. Vor allem die „ePA für alle“ sehen viele als einen Treiber für mehr Standardisierung und Interoperabilität. So schnell geht den KIS-Herstellern die Arbeit nicht aus.










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