
Was verstehen Sie unter Krankenhaustechnik 4.0?
Die Digitalisierung der Krankenhaustechnik beschränkt sich bislang überwiegend auf einzelne Anwendungen wie beispielsweise die Steuerung der Technik. Auf diese „Krankenhaustechnik 3.0“ folgt mit der Version 4.0 die Vernetzung. Wir sollten die Krankenhaustechnik 4.0 aber nicht auf die Technologie reduzieren, auf die vielen Schnittstellen, Software-Lösungen oder Geräte, die wir in Zukunft benötigen. Viel wichtiger ist es, über neue Herangehensweisen zu diskutieren und nicht nur zu reden. Die Vernetzung eröffnet uns neue Möglichkeiten, Prozesse zu verändern. Wir müssen neu denken und das Bewährte hinterfragen: Was ist gut und was muss sich bei den Schnittstellen zu anderen Systemen verändern? Ein spannendes Thema, das mich schon seit geraumer Zeit interessiert, und zu dem es auch wenig verlässliche Empfehlungen gibt.
Wie ist der aktuelle Stand?
Es gibt zum Beispiel schon Anwendungen in der Praxis für die Verwendung von vernetzter Information zur Verbrauchssteuerung. Über den Zugriff auf Daten und Technik im Bereich Energieoptimierung wie beispielsweise Gebäudedaten, die Informationen weiterer Liegenschaften und die Wettervorhersage lassen sich mit komplexer Software und geringem materiellen Aufwand erhebliche Einsparungen erzielen. Und es gibt schon seit Jahren die Vernetzung der medizintechnischen Geräte. Immer mehr Geräte werden angebunden, aber meiner Meinung nach noch zu wenige. Schon heute könnten Daten dieser Geräte ausgelesen werden, um nicht nur technisch nützliche Schlussfolgerungen vorzubereiten. Diese Daten wären hilfreich für die Investitionsplanung, für Reparaturen oder für die vorbeugende Wartung. Aber an dieser Stelle sind wir noch nicht so weit. Außerdem warten wir im Krankenhaus immer auf Bewährtes, und davon gibt es naturgemäß bei Innovationen kaum etwas.
Worauf kommt es jetzt an?
Die Geschäftsführer erwarten von uns Technikern, dass wir das Krankenhaus betriebsbereit halten, und das möglichst wirtschaftlich. Angesichts von Investitionsstau und geringem Investitionsbudget sollten wir jetzt nicht auf Insellösungen setzen, von denen wir nicht wissen, ob sie sich bewähren, oder in ein paar Jahren zurückgebaut oder mit großem Aufwand instand gehalten werden müssen. Greifen wir lieber auf Bewährtes wie die Systemgebäudeleittechnik oder CAFM-Systeme (Anm.: Computer-Aided Facility Management) zurück, um schon jetzt die tief hängenden Früchte zu ernten. Die Fragen, die wir Techniker uns stellen sollten: Wo können wir durch Vernetzung mit möglichst geringen Investitionen oder sogar mit dem Vorhandenen schnell sichtbare Erfolge erzielen? Was lässt sich auf Basis von Transparenz sparen oder wenigstens reduzieren? Mit welchen Prozessen können wir die Arbeit in der Technik vereinfachen? In welchen Bereichen können wir mobiler werden, sprich Daten aus der Technik durch Vernetzung besser zusammenführen, um produktiver zu werden? Das Smartphone hat uns daran gewöhnt, dass bestimmte Daten in Sekundenschnelle zur Verfügung stehen. Wir stehen vor einer ähnlichen Herausforderung, wenn wir die vielen Datenquellen der Krankenhaustechnik vernetzen, um sie den Technikern und am Ende auch den Nutzern auf Station oder in den Funktionsbereichen zur Verfügung zu stellen. Ich bin der Auffassung, dass wir mit den vorhandenen Mitteln eine ganze Menge erreichen können.
Welche tief hängenden Früchte können Sie mit Krankenhaustechnik 4.0 ernten?
Da gibt es zwei Felder: einmal die Verbesserung der Prozesse der technischen Abteilung selbst, also der Instandhaltung, bei der sich durch „4.0“ immense Fortschritte erzielen und Potenziale freisetzen lassen. Gibt man aufgeschlossenen Mitarbeitern die Möglichkeiten die Kompetenzen zum Verändern, lassen sich tatsächlich Sicherheit und Wirtschaftlichkeit verbessern. Aber zusätzlich gebe ich Ihnen ein Beispiel für die Verknüpfung technischer und medizinischer Daten: Mobile Ultraschallgeräte lassen sich mittels WLAN oder RFID ständig lokalisieren. Krankenhaustechnik 4.0 bedeutet nicht nur, dass wir diese Geräte rund um die Uhr tracken können.
Durch Auslesen der physikalischen Parameter erfahren wir, ob ein Gerät bis an seine Belastungsgrenze oder eher im Stand-by genutzt wird. Außerdem könnten wir erfahren, welcher Arzt wann und wo welches Gerät nutzt, und können daraus Rückschlüsse auf die Nutzungscharakteristika vieler Ultraschallgeräte ziehen. Dabei stellt sich vielleicht heraus, dass ein Ultraschallgerät hauptsächlich von einem Arzt für seine zeitlich eng begrenzte Sprechstunde genutzt wird, während ein anderer Arzt auf demselben Flur zu anderen Zeiten ein vergleichbares Ultraschallgerät bevorzugt, und dass beide nur eher einfache Untersuchungen durchführen. Für die Investitionsplanung haben wir damit schnell belastbare Informationen zur Hand. Das kann bedeuten, dass diese Station in Zukunft nicht zwei Geräte, auch kein Highend-Gerät mehr benötigt, sondern nur eine einzige Basic-Version. Somit lässt sich nicht nur der Aufwand für den klinischen Betrieb reduzieren, sondern der Kapitalbedarf insgesamt senken.
Das hört sich alles einfach an.
Es handelt sich um größere und langfristige Vorhaben. Schon für den ersten Schritt benötigen wir dazu etwas mehr Sensorik am Gerät, Schnittstellen und eine Plattform, über die wir auf diese Daten zugreifen können. Letztendlich sollen der Arzt, der Medizincontroller, der Kaufmann für seine Investitionsplanung, der Techniker für die Prüfung und eventuell die Fremdfirma für die Reparatur oder Unterstützung bei Fehlern aus der Ferne auf die Daten zugreifen können.
Wo liegen die Risiken?
Eine stärkere Vernetzung der Technik führt zu mehr Komplexität. Die gegenseitigen Abhängigkeiten werden größer, weshalb Fehler im Kleinen eine viel größere Auswirkung haben können. Und weil es in unserer, der Verantwortung der Technischen Abteilung liegt, Störungen im Betrieb sofort zu beseitigen, rennen wir nicht jeder Idee sofort hinterher. Auch erlaubt das schmale Budget der Krankenhäuser keine großen Innovationen. Innovation bedeutet, auch einmal etwas auszuprobieren mit dem Risiko, zu scheitern. Dafür benötigt die Krankenhaustechnik Risikokapital, das uns nicht zur Verfügung steht. Das bremst natürlich auch die Krankenhaustechnik 4.0. Diese Veränderungen sind so massiv, dass sie viele Widerstände aufwerfen. Ohne begleitende Personal- und Organisationsentwicklung wird sich das Potenzial und die notwendige Geschwindigkeit nicht einstellen.
Bei der zu hundert Prozent zuverlässigen Stromversorgung sind die deutschen Krankenhäuser nicht gut aufgestellt. Wir arbeiten gerade in einem Projekt mit der Entscheiderfabrik an einem Leitfaden für sichere Stromversorgung und haben festgestellt, dass die Krankenhäuser nicht genug über ihre eigene IT-Stromversorgung wissen. Mit Krankenhaus 4.0 nimmt die Abhängigkeit von funktionierenden IT-Systemen zu. Mit dieser Schnittstelle zwischen IT und Technik kommt eine riesige Aufgabe auf uns zu.
Wie wird sich Krankenhaustechnik 4.0 in den nächsten Jahren entwickeln?
Kurzfristig wird die Vernetzung in allen Häusern durch einzelne Projekte zunehmen. Ich empfehle immer, diese einzelnen Projekte zu nutzen und damit auch Wirtschaftlichkeitsvorteile zu erzielen – durch Verbesserung, Digitalisierung und andere Arbeitsabläufe, sofern es gelingt, die Mitarbeiter einzubinden.
Was passiert mit Krankenhäusern, die sich solche Projekte nicht leisten können?
Kurzfristig wird sich das für diese Häuser nicht auswirken, weil der wirtschaftliche Benefit einzelner Projekte nicht so groß ist. Ich bin aber darauf gespannt, welche Auswirkung die Krankenhaustechnik 4.0 auf die Folgen des demografischen Wandels nehmen wird. Unsere Technikanalysen haben ergeben, dass die technischen Abteilungen der deutschen Krankenhäuser ein Durchschnittsalter von Ende 40 / Anfang 50 haben.
Wenn ab 2024/2025 der Pillenknick so richtig beginnt zu greifen, verlieren die Häuser viele gute, kompetente Mitarbeiter, die in den Ruhestand gehen. Es gibt weniger Leute, die nachkommen. Wer es geschafft hat, schon vorher seine Prozesse zu verbessern, der wird auch auf den Fachkräftemangel besser vorbereitet sein. Und nicht zu unterschätzen: Ein voll vernetztes Haus ist für junge Ingenieure attraktiver als ein benachbartes Krankenhaus, das noch mit Krankenhaustechnik 3.0 arbeitet, also unter Digitalisierung das Einscannen von Dokumenten versteht.
Im Krankenhaus 4.0 entstehen auch Daten, die Rückschlüsse auf die Arbeit der Mitarbeiter zulassen.
Ich denke, dass wir beim Thema 4.0 im Arbeitsrecht immer noch auf Grenzen stoßen. Es handelt sich um Schutzrechte, die über Generationen entstanden sind, und die zum Teil auch die Digitalisierung überstehen müssen, um die Mitarbeiter wirklich zu schützen. Manche Mitbestimmungsthemen können aber sicher „4.0-fitter“ werden. Wenn wir Prozesse transparenter machen möchten mittels Mobilität, dann kommen wir um eine Datenerhebung nicht herum. Smartphones zum Beispiel sind ein großer Nutzen dieser Mobilität, die ja auch direkt mit den tief hängenden Fürchte zusammenhängt. Im Arbeitsrecht gibt es verschiedene Stellen, die einen bestimmten Anteil des Nutzens aus der Digitalisierung hemmen. Wir müssen einfach die Prozesse besser machen. Denn der Mensch steht eben doch im Mittelpunkt der Krankenhaustechnik.





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