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KommentarDie großen Ambitionen des Dr. Amazon

Unser Gastautor Admir Kulin beobachtet mit wachsamen Auge die Ausbreitung von Amazon im US-amerikanischen Gesundheitswesen. Warum? Er will nicht eine weitere Branche verlieren, weil digitales Know-How aus Europa nicht genutzt wird.

Admir Kulin
m.Doc GmbH
Admir Kulin, Gründer und Geschäftsführer der m.Doc Gmbh, Anbieter für innovative digitale Gesundheitslösungen.

Er ist Marketing-Professor an der New Yorker Universität und liegt mit seinen Vorhersagen und Einschätzungen zu den großen Tech-Firmen oftmals richtig – leider, muss man fasst sagen. Denn was Scott Galloway gerade in einem Gespräch mit Business Insider prognostiziert, sollte uns Europäer unbedingt aufhorchen und aufwachen lassen – damit wir nicht noch eine Branche an die USA oder Asien verlieren.

Galloways These: Amazon wird bis 2025 das am schnellsten wachsende Unternehmen der Welt im Gesundheitswesen sein. Bam! Das ist ein Brocken, den man erst einmal verdauen muss. Und damit nicht genug, auch Apple werde in Zukunft mitmischen, glaubt Galloway. Als Begründung liefert Galloway zwei überzeugende Argumente. Erstens sei vor allem Amazon sehr gut darin, lukrative Geschäftsfelder zu identifizieren. Und zweitens habe das Unternehmen mit Amazon Prime bereits Daten von zwei Dritteln aller amerikanischen Haushalte – auch Daten über deren Gesundheit.

Wir erinnern uns: Amazon hat 2018 für rund 770 Millionen Dollar die US-Versandapotheke PillPack gekauft, die in allen 50 Bundestaaten Lizenzen besitzt. Ende letzten Jahres wurde das Unternehmen dann umfirmiert und heißt heute „Pillpack by Amazon Pharmacy“. Und laut Galloway wurde mitten in der Corona-Pandemie das Personal von Pillpack aufgestockt, um die Corona-Testkapazitäten ausbauen zu können: „Es ist kein Zufall, dass Amazon ankündigt, sehr viel Geld in den Bau eines besseren Covid-19-Testkits zu investieren. Es würde mich nicht überraschen, wenn Amazon anfängt, bessere Tests als die Regierung anzubieten.“ Galloway betont außerdem, dass der Einstieg in das Gesundheitswesen vom Timing her nicht besser sein könnte und wie attraktiv der Markt sei.

Die USA sind erst der Anfang

Man mag nun argumentieren, dass sich die Ambitionen von Amazon im Gesundheitswesen bisher sehr stark auf den US-amerikanischen Markt konzentrieren. Wir können uns jedoch sicher sein, dass die USA erst der Anfang sind. Das unterstreicht auch Galloway, der glaubt, dass Amazon in nur fünf Jahren die Macht in einer der wichtigsten Branchen übernehmen wird.

Wir Europäer müssen uns daher dringend die Frage stellen: Wollen wir das?

Für mich lautet die Antwort ganz klar Nein! Wir können es uns meiner Meinung nach nicht erlauben, noch eine Branche an die USA oder Asien zu verlieren. Bisher sind wir in Europa in Punkto Gesundheitsversorgung sehr weit vorn. Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens starten wir gerade die Motoren. Wir haben Know-how, gute, kreative Ideen und attraktive junge Tech-Unternehmen, die sich am Markt etablieren. Diesen Vorsprung dürfen wir nicht aufgeben.

Allerdings muss gleichzeitig die Frage erlaubt sein, ob wir in Europa tatsächlich verstanden haben, wie Digitalisierung und datengetriebene Geschäftsmodelle funktionieren. Auch hier möchte ich zwar nicht, muss jedoch mit einem Nein antworten. Denn ansonsten wäre es für große Tech-Unternehmen wie Amazon deutlich schwieriger, in eine so sensible Branche vorzudringen und den eigenen Einflussbereich auszubauen.

Noch nicht aller Tage Abend

Zum Glück ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Allerdings sollten wir Europäer aufwachen, aufhören, die Snooze-Taste zu drücken und zumindest die eine gute Sache, die uns Covid-19 gebracht hat, nutzen: Nämlich die großen Chancen, die gerade entstehen. Denn wenn wir in den letzten Monaten eines gelernt haben, dann doch wohl, dass Digitalisierung auch kurzfristig umzusetzen ist, dass wir Expertise und Know-how im eigenen Land haben, die wir anzapfen und nutzen können und dass überall dort, wo die Digitalisierung weit vorangeschritten ist, die Krise nicht ganz so hart zu spüren war, wie anderswo.

Dass das Gesundheitswesen künftig digitaler und datengetriebener sein wird, steht außer Frage. Daran können wir nichts ändern, ob wir es nun gutheißen oder nicht. Wir haben jedoch in der Hand, welche Unternehmen unser Gesundheitswesen von morgen bestimmen. Und da sollten wir als Europäer Patriotismus für die heimischen Champions entwickeln.

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