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KommentarInterview mit einem Wartezimmer

Voll bis überfüllt – das ist der Zustand, der die Situation in deutschen Wartezimmern am besten beschreibt. Dann kam Corona. Grund genug für Admir Kulin einmal nachzufragen, was sich für ein typisches Wartezimmer einer Hausarztpraxis seitdem verändert hat.

Admir Kulin
m.Doc GmbH
Admir Kulin, Gründer und Geschäftsführer der m.Doc Gmbh, Anbieter für innovative digitale Gesundheitslösungen.

Liebes Wartezimmer, niemand hat sich eine globale Pandemie herbeigewünscht. Dennoch war es für Sie genauso wie für Ihre Kollegen deutschlandweit sicher eine Gelegenheit, endlich mal durchzuatmen. Wie haben Sie den Lockdown wahrgenommen?
Durchatmen ist ein gutes Stichwort. Ich bin Wartezimmer bei einem Hausarzt. Hier ist teilweise schon morgens buchstäblich die Hölle los. Und dann ist die Stimmung eigentlich nicht zu ertragen. Diese Mischung aus Krankheit, Abgekämpftheit, Angeschlagenheit, Frustration und teilweise sogar Unmut darüber, dass man hier einfach so lange warten muss, obwohl man eigentlich zu schwach ist und sich nur im Bett verkriechen möchte. Allerdings kam mit Corona dann das andere Extrem: Von einem Tag auf den anderen herrschte gähnende Leere. Nicht einmal die Vorsorgepatienten wagten sich noch zu meinem Chef, der Internist ist. Das ist unter gesundheitlichen Aspekten für die Patienten natürlich genauso verheerend wie wirtschaftlich für meinen Chef. Wünsche ich mir ein etwas weniger belastendes Pensum? Ja! Aber ganz so extrem wie durch den Corona-Lockdown darf es dann auch nicht werden.

Ihr Job ist es, die Wartezeit zu überbrücken, bis sich Ihr Chef Zeit für den jeweiligen Patienten nehmen kann. Warum glauben Sie, dauert das teilweise so lang?
Sie können noch so gut organisieren, ein unvorhergesehener Notfall reicht, um auch die beste Planung über den Haufen zu werfen. Stünde allein die reine Effizienz im Vordergrund, hätte mein Chef ohnehin nur wenige Minute pro Patient. Die reichen aber eben nicht immer aus, um den Patienten bestmöglich versorgt zu wissen. Das führt natürlich zu den oben beschriebenen Verzögerungen, die wiederum zum Unmut führen, den ich, aber vor allem meine Kollegen am Empfang in vollem Maße abbekommen.

War der Lockdown Anlass, einmal mit Ihrem Chef über Ihr Arbeitsaufkommen zu sprechen?
Das war er in der Tat, denn bisher hatten wir schlicht nicht die Gelegenheit, gemeinsam über das Problem zu sprechen. Wir waren beide buchstäblich „voll“ mit Arbeit. Ich habe meinem Chef erklärt, dass wir langfristig eine Lösung für die lange Wartezeit der Patienten finden müssen, die ich einfach nicht mehr abfedern kann. Dafür hat er Verständnis gezeigt und mir erklärt, dass wir allerdings auch kurzfristig eine Lösung finden müssen, wie wir unsere älteren Patienten während der akuten Corona-Phase betreuen und auch die wirtschaftlichen Folgen abmildern können. So kam es, dass wir mein „Upgrade“ getestet haben – oder vielmehr eine digitale Version von mir. Und ich muss sagen, ich bin angetan von der Erleichterung.

Sie sind angetan und sorgen sich nicht um Ihren Job?
Warum sollte ich mich um meinen Job sorgen? Natürlich werden auch weiterhin Patienten physisch in die Praxis kommen. Und bei aller Effizienz, die digitale Lösungen für eine Praxis wie die unsere bringen, ganz ohne Wartezeit wird es künftig nicht gehen. Allerdings wird die durch digitale Tools deutlich geringer ausfallen. Und genau von diesem Ergebnis bin ich angetan. Ich bin nicht mehr überfüllt, die Wartezeit, die Patienten hier verbringen müssen, ist kurz und überschaubar, die Stimmung deutlich besser und davon profitieren ich, die gesamte Praxis, letztendlich aber vor allem die Patienten. Und wir dürfen nicht vergessen: Ihretwegen machen wir den Job doch alle am Ende des Tages.

Wie genau unterstützt Ihr „Upgrade“ den Praxisalltag?
Upgrade habe ich natürlich nicht ganz ernst gemeint. Wir haben beide unsere Berechtigung, unsere Stärken und ergänzen uns prima. Über mein digitales Pendant können Patienten beispielsweise online Termine buchen und sich mit Fragebögen und Checklisten auf den Termin vorbereiten. Wir erhalten somit vorab eine deutlich detailliertere Anamnese als sie hier vor Ort in der Praxis möglich wäre. Auf dieser Basis können wir dann entscheiden, ob unser Chef den Patienten persönlich sehen muss, weil vielleicht weitere Untersuchungen nötig sind, oder aber ob auch die Online-Sprechstunde das Mittel der Wahl sein kann. Selbst Nachsorge oder Medikamentenpläne können im Nachgang digital erfolgen.

Und wirtschaftlich betrachtet macht es für die Praxis keinen Unterschied?
Nein, auch die digitalen Leistungen meiner virtuellen Kollegen können ganz normal abgerechnet werden.

Hat es die globale Pandemie gebraucht, um diesen Schritt zu gehen?
Ich denke ehrlicherweise schon. Sie wissen ja, wie das ist: Dinge laufen zwar nicht optimal, aber sie laufen. Und unter der täglichen Arbeitsbelastung hat man schlicht nicht immer Zeit, sich mit neuen Dingen zu beschäftigen. Die Coronakrise hat der Digitalisierung in Deutschland jedoch einen Schub verschafft, der in der kurzen Zeit vermutlich sonst nicht möglich gewesen wäre. Ich sehe hier viele Vorteile, auch für unsere Gesundheitsversorgung. Vor allem aber freue ich mich, dass mein Arbeitspensum jetzt wieder zu schaffen ist und ich es wieder mit Patienten zu tun habe, die zwar in der Regel krank sind, jedoch mit einer deutlich positiveren Stimmung auf ihren Termin bei meinem Chef warten.

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