
20 Millionen Euro Fördermittel fließen aus dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) in die neue Innovationspartnerschaft zwischen der Johannesstift Diakonie, einem komplexen Sozialträger im Nordosten Deutschlands, und dem Software-Anbieter Nexus. Anlass genug für kma, mit den Beteiligten zu sprechen und herauszufinden, welche Ziele sie verfolgen, welche Herausforderungen zu bewältigen sind und welcher Nutzen diesem Aufwand gegenübersteht.
„Das gemeinsame Ziel der Zusammenarbeit ist eine umfassende Digitalisierung der zehn Krankenhäuser, die zur Johannesstift Diakonie gehören“, erklärt Prof. Dr. Lutz Fritsche, Vorstand Medizin der Johannesstift Diakonie und Professor für Management im Gesundheitswesen an der Evangelischen Hochschule Berlin. Schon seit längerem arbeitet man vor Ort mit digitalen Medikationskurven und schreibt Arztbriefe per Spracherkennung. Doch es gebe nach wie vor zu viele Medienbrüche, so der Vorstand.
Alle Medienbrüche, die noch vorhanden sind, beseitigen.
Die neue Partnerschaft, die jetzt im Rahmen des KZHG umgesetzt wird, soll daher, „alle Medienbrüche, die noch vorhanden sind, beseitigen.“ Bis heute würden Daten in einzelnen Fachbereichen noch per USB-Stick oder CD ins KIS übertragen, bemängelt Prof. Fritsche, der als einer von drei Vorständen für die Bereiche Krankenhäuser, ambulante Medizin und IT zuständig ist.
Das soll sich jetzt ändern: „Übertragen wir z.B. Bilder aus dem Echo-Kardiografie-Gerät ins KIS, ist dies nicht nur fehleranfällig, sondern auch aufwändig und nicht zuletzt aus datenschutzrechtlichen Gründen bedenklich“, findet man bei der Johannesstift Diakonie und: „Es geht in der Innovationspartnerschaft mit Nexus deshalb primär darum, sämtliche Daten und Papierunterlagen zu digitalisieren und online bereitzustellen.“
Ein Sozialträger im Profil: Die Johannesstift Diakonie
Mit 10 500 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 800 Millionen Euro im Jahr ist die Johannesstift Diakonie ein sozial-medizinisches Großunternehmen mit langer evangelischer Tradition und weitaus mehr als der gleichnamige Krankenhausverbund: Als Komplexträger widmet sie sich Menschen aller Altersgruppen, die auf Unterstützung angewiesen sind – ob in Form von geburtshilflicher Unterstützung, Kindergärten, Schulen, Behindertenangeboten, Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen für Ältere und Hospizen.
Auch eine eigene IT gehört zum Portfolio. Als Gesundheitsdienstleister verfügt das Johannesstift zudem über zehn Krankenhäuser im Nordosten Deutschlands, die sich auf Berlin, Hannover, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern verteilen. Dazu zählen u.a. das Evangelische Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg und das Martin Luther Krankenhaus in Berlin.
Vom KIS- zum Allround-Anbieter
Mit der neuverkündeten Innovationspartnerschaft hebt der Sozialträger die Zusammenarbeit mit Nexus jetzt auf eine neue Stufe. Denn die Partnerschaft hat bereits Tradition: Seit einem Jahrzehnt ist Nexus für die Johannesstift Diakonie als KIS-Anbieter engagiert. „2011 haben wir uns entschieden, die KIS unserer Krankenhäuser mit Nexus zu konsolidieren“, blickt der Krankenhausvorstand zurück.
Seitdem habe man das zentrale KIS ständig weiterentwickelt: „Im Rahmen des KZHG wollten wir viele Themen unserer Agenda noch einmal neu denken und haben uns mit zahlreichen Partnern an einen Tisch gesetzt. Das Ergebnis der Ausschreibung war die Begründung der Innovationspartnerschaft mit Nexus, in der wir nun nicht mehr über einzelne Lizenzen sprechen müssen, sondern uns den vollen Zugang zu allen Softwareprodukten gesichert haben.“
Das Innovative ist, dass wir unser vollständiges Produktportfolio öffnen und in einer einheitlichen Oberfläche bereitstellen.
Diese Dimension ist auch für den Software-Partner Nexus ein bislang einzigartiger Ansatz und zugleich eine Chance, „einen Showroom für Best Practice Healthcare IT-Lösungen für den deutschen Markt aufzubauen“, betont Daniel Heine, Vertriebsleiter bei Nexus: „Das Innovative dieser Partnerschaft ist tatsächlich, dass wir in dem Vertrag das vollständige Produktportfolio für die Johannesstift Diakonie öffnen, von der Augenheilkunde bis zur Zytologie, und dieser die gesamte Bandbreite unserer Produkte in einer einheitlichen Oberfläche bereitstellen.“
Hierfür bindet Nexus auch bestehende Lösungen ein. Das Unternehmen, das schon immer auf Interoperabilität und Plattformarchitektur gesetzt hat, orientiert sich dafür an den internationalen Standards IHE und FHIR. Mit dieser Strategie will der Softwarepartner auch eine der größten Herausforderungen bewältigen, welche die Kooperation mit sich bringt: „die zunehmende Öffnung nach außen“.
„Bisher betrieben unsere Kunden ihre Systeme meist geschlossen innerhalb der Kliniken oder im Klinikverbund“, kommentiert der Nexus-Vertriebsleiter und merkt an: „Jetzt steht die Öffnung in Richtung externe Leistungserbringer und Patienten deutlich verstärkt im Fokus.“
Einbindung von KI, Big Data & Extended Reality
Auch Systeme mit künstlicher Intelligenz (KI) sollen verstärkt eingebunden werden: „Im KI-Bereich arbeiten wir mit Tiplu zusammen“, erzählt Heine von Nexus: „Wir haben bereits im Zuge unseres Wachstums und mit Blick auf das KHZG personelle Ressourcen aufgebaut und sehen uns hier gut gerüstet.“
Damit arbeitet das Johannesstift konsequent weiter an seiner Zukunftsfähigkeit: „Der aktuelle Digitalisierungsgrad umfasst eine Menge Informationen über Patienten, die mittels KI und maschinellem Lernen seit über einem Jahr genutzt werden.“
Konkret würden bereits die frühzeitige Erkennung von Risikosituationen bei Patienten vorbereitet, etwa bei drohender Sepsis-Gefahr, die für Ärzte vorzeitig oft nur schwer vorhersehbar sei, erklärt Vorstand Dr. Fritsche: „So können wir Maßnahmen ergreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Der Job der KI im Krankenhaus ist es, das Gesamtbild einer sich entwickelnden Patientensituation im Auge zu behalten und die Ärzte und Behandler auf kritische Informationen und neue Laborwerte hinzuweisen.“
Welchen Nutzen versprechen sich die Beteiligten?
Arbeitserleichterungen für die Klinikmitarbeitenden, Patienteneinbindung in digitale Prozesse und eine gemeinsame Datenbasis nebst maximaler Interoperabilität sind die drei Eckziele, welche die Innovationspartnerschaft zwischen der Johannesstift Diakonie und Nexus für die kommenden Jahre anvisiert.
Dafür hat sich der Konzern u.a. eine private Cloud eingerichtet, die in den eigenen Rechenzentren beheimatet ist. „In der neuen Partnerschaft mit Nexus wollen wir diese jetzt auch für externe Partner öffnen und setzen mit der sogenannten VNA, einem herstellerunabhängigen Archiv, eine weitere Schicht auf die Cloud auf.“ Die Daten seien hierdurch auch von außen zugreifbar. Dafür sei es wichtig, sie den richtigen Patienten über einen Master Patient Index zuzuordnen.
Die Johannesstift Diakonie orientiert sich dabei am Vorgehen großer Häuser: „Wir lassen gerade für unsere Krankenhäuser den Master Patient Index entwickeln – parallel zu einem ähnlichen Projekt, das es bereits bei Charité und Vivantes gibt. So bleiben wir kompatibel.“
Neuentwicklungen nach Bedarf der Ärzteschaft
Außerdem will der Sozialträger mit Nexus an seiner Seite auch neue Lösungen entwickeln, die bis dato noch nicht vorhanden sind. Auch dafür ist das innovative Kooperationsmodell, das keine einzelnen Software-Lizenzen mehr erfordert, sondern alle digitalen Services umfasst, von Nutzen.
Als Teilprojekt wird z.B. eine Plattform für Patienten und ambulant Versorgte anvisiert. „Gerade die Menschen aus unseren Pflegeeinrichtungen kommen häufig in unsere Krankenhäuser“, führt Prof. Fritsche aus: „Hierfür möchten wir den Schatz an medizinischen Informationen über Patienten an den Orten verfügbar machen, wo sie als nächstes benötigt werden.“
Investiert wird außerdem in die Weiterentwicklung der Nexus-Lösung „Advanced Reporting“, berichtet der Software-Partner, einer Lösung für die strukturierte Befundung. „Durch die Einbindung digitaler Daten aus den Medizingeräten, gepaart mit Ergebnissen künstlicher Erkennungsalgorithmen (KI), werden passende Textstrukturen automatisiert in den Befundbericht eingefügt“, erläutert Nexus das Vorhaben. Das Fazit: Gerade im Bereich der künstlichen Intelligenz sei noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten.

Finanzierung über das KHZG und Ziele bis 2026
Der vereinbarte, zeitliche Ablauf der Innovationspartnerschaft geht bewusst über den KZHG-Förderzeitraum bis 2024 hinaus und sieht eine kontinuierliche Zusammenarbeit bis 2026 vor: Durch die Bündelung der Investitionen in Höhe von insgesamt 20 Mio. Euro für die zehn Krankenhausstandorte werde das Digitalisierungsprojekt als Gesamtvorhaben auch für die Industrie interessanter, schlussfolgert Dr. Fritsche: „Das ist sicher auch für andere Klinikmanager eine interessante Erkenntnis, weil so mehr Kraft in die Projekte fließen kann, als wenn jedes Krankenhaus seine Vorhaben allein bewerkstelligen würde.“
Als Projektziele bis Ende 2024 haben sich die Partner vorgenommen, alle medizinischen Geräte ohne Medienbrüche und Informationsverluste an das KIS anzubinden und alle Kommunikationsprozesse mit Patienten und medizinischen Partnern digital anzubieten. „Auch wenn wir dann möglicherweise noch nicht jede Sprechstunde und jeden Fragebogen auf digital umgestellt haben, wollen wir bis dahin zumindest zeigen können, wie wir mit unseren Patienten digital über App und Internet kommunizieren.“ Als dritte Zielsetzung wurde der operative Einsatz von KI in Risikosituationen festgelegt.
Vorreiter für ein neues Geschäftsmodell: „Wie bei Netflix“
Eine ambitionierte Zielsetzung, die ein Spannungsfeld zwischen den straffen gesetzlichen Fristen, den Wünschen des Krankenhausverbunds und dem großen Projektumfang öffnet. „Hier gilt es vor allem, die Mitarbeitenden von Anfang an mitzunehmen“, betont Daniel Heine. Auch der Vorstand bei der Johannesstift Diakonie hofft, dass die Umsetzung des „ehrgeizigen Bündels an Projekten“ gelingt, wenn alle Beteiligten mitziehen.
Angesichts des neuen Geschäftsmodells in der Partnerschaft ist der Vorstand jedoch zuversichtlich: „In anderen Industrien ist es längst üblich, Flatrate-Tarife zu zahlen, um Dienste in Anspruch nehmen zu können. Bei Netflix ist es für uns beispielsweise ganz selbstverständlich, dass wir nicht für jede Folge einzeln bezahlen. Nur im deutschen Krankenhaussektor wird dies bis dato noch nicht praktiziert.“
Mit der Überwindung der Einzellizenzen soll sich die Digitalisierung der Kliniken auf administrativer Ebene somit radikal beschleunigen: „Wir müssen jetzt keine hundert administrativen Einzelentscheidungen mehr treffen und Budgetverhandlungen über jedes einzelne Projekt führen. Stattdessen steht uns der Softwarepartner immer sofort zu 100 Prozent zur Verfügung“, resümiert Dr. Frische: „Das ist angesichts der Komplexität auch notwendig.“







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