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KommentarAuf der Suche nach Aliens

Digitale Transformation im Gesundheitswesen, ja – nur mit welchen Fachkräften? Dr. Pascal Grüttner, Leiter IT der Hospitalvereinigung der Cellitinnen, über deutsche Kliniken, in denen rund 3000 IT-Vollzeitkräfte fehlen.

Dr. Pascal Grüttner
MSD Photography Köln
Dr. Pascal Grüttner, Leiter IT der Hospitalvereinigung der Cellitinnen und Stv. Vorsitzender Digital Health e.V.

Wann haben Sie zuletzt eine Handwerkerdienstleitung benötigt? Warum etabliert sich an Schulen ein neues Hauptfach namens „Entfall“? Wieso demonstrieren Pflegekräfte für bessere Arbeitsbedingungen? Was ist der Grund für eine große Anzahl offener IT-Tickets in Gesundheitseinrichtungen?

Obwohl es in deutschen Talkshows an Expertinnen und Experten nicht mangelt, fehlen offensichtlich in diversen Branchen Menschen, die die anfallende Arbeit erledigen. Im Gesundheitswesen zeigt sich dieser Mangel seit Jahren, ohne dass eine nachhaltige Lösung in Sicht wäre. Ich möchte an dieser Stelle das Augenmerk auf eine spezielle Einheit im Krankenhaus richten: die IT-Abteilungen.

Bereits 2018 hat der Bundesverband der Krankenhaus-IT-Leiterinnen und -Leiter in einer Erhebung festgestellt, dass bei einer Finanzierungslücke von 11,6 Milliarden Euro innerhalb von fünf Jahren 2688 IT-Fachkräfte (Vollzeitstellen) fehlen würden, um die notwendige digitale Transformation im Gesundheitswesen zu bewältigen. Bei diesen Zahlen ging es lediglich um eine Mindestausstattung mit Informationstechnologie – also eine solide Infrastruktur und nicht etwa künstliche Intelligenz, Robotik oder App-basierte Gesundheits-IT auf Seiten der Patientinnen und Patienten.

KHZG brachte Geld und Stellenausschreibungen

Das KHZG brachte Geld und einen Fahrplan. Es war viel Geld, aber verglichen mit den Zahlen der vorgenannten Erhebung dennoch nicht genug. Und das KHZG generierte auch eine Vielzahl an IT-Stellenausschreibungen in der deutschen Krankenhauslandschaft. Der Digitalisierungsgrad der Kliniken soll steigen. Man erhofft sich eine personelle Entlastung durch digitale Prozesse und wenn diese gut strukturiert sind, dann denke ich, dass diese zu erzielen ist. Allerdings werden zur Umsetzung Menschen benötigt – und zwar auch und insbesondere in den IT-Abteilungen.

Die bisherigen Personalschlüssel sind oft lediglich so dimensioniert, dass damit der IT-Betrieb gerade aufrechterhalten werden kann. Für neue Projekte, Informationssicherheit oder die vielen innovativen Ideen der Kolleginnen und Kollegen auf Station fehlt es an Spezialisten. Das ist nicht nur im Gesundheitswesen so, wie die Bitkom-Studie von 2022 zeigt: deutschen Unternehmen aller Branchen fehlen 137 000 IT-Fachkräfte. Das Gesundheitswesen konkurriert in diesem Markt mit Firmen aus dem Automobilsektor, den Finanzdienstleistern, den IT-Unternehmen selbst und vielen anderen attraktiven Arbeitgebern.

IT-Abteilungen im Krankenhaus tun sich schwer, den Bewerbern zu vermitteln, welche hochkarätigen Jobs in der Health-IT zu besetzen sind. Ich kann es den potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten nicht verübeln, wenn ich an die Statistiken einer digital abgehängten deutschen Gesundheitslandschaft denke. Die Spreizung zwischen wenig und fortgeschritten digitalisierten Krankenhäusern, das hat auch die erste Analyse des Digitalradars gezeigt, ist groß.

In der IT bestimmt schon lange nicht mehr der Arbeitgeber die Konditionen.

In den Krankenhäusern muss ein Umdenken stattfinden. IT ist schon lange kein reiner Unterstützungsprozess mehr. Wer Health-IT nicht strategisch betrachtet, verschließt sich den Potentialen. Auch wenn das verstanden wurde, braucht es zusätzlich die Erkenntnis, dass strategische Arbeit nicht einfach vom bestehenden Personal mit erledigt werden kann. Das IT-Personal im Krankenhaus muss kontinuierlich und deutlich aufgestockt werden. Das erfordert ein höheres Personalbudget, bei dem auch zu berücksichtigen ist, dass Krankenhäuser mit dem o.g. Markt konkurrieren. In der IT bestimmt schon lange nicht mehr der Arbeitgeber die Konditionen. Das beginnt beim Arbeiten von zu Hause aus und endet noch nicht beim Gehalt.

Einen Haufen Aliens

Die Anforderungen in der heutigen Arbeitswelt sind hoch. Neben Fachkompetenz, Organisationstalent oder Belastbarkeit werden ausgeprägte kommunikative und kooperative Fähigkeiten gefordert. Den großen und bunten Blumenstrauß an Erwartungen erfüllen nicht alle Menschen gleich. Auch in der IT gibt es Talente, die technisch gute Ergebnisse liefern, im zwischenmenschlichen Kontakt aber nicht unbedingt ihren Schwerpunkt haben. Gewisse Eigenheiten zu akzeptieren oder auch einmal die berühmten Fünfe gerade sein zu lassen, das wünsche ich mir untereinander und auch von unseren Anwendern, ohne dass dies ein Freibrief dafür sein soll, dass IT-Kollegen sich nach Belieben benehmen dürfen. Ich liebe das Comicbild, in dem die IT-Mitarbeiter die Anwender als Steinzeitmenschen sehen und diese wiederum die IT-Crew als einen Haufen Aliens. Ich freue mich, wenn alle Beteiligten diese manchmal hartnäckige Sprachbarriere mit mehr Humor nehmen.

Marktgerechte Rahmenbedingungen verbessern die Chance, mehr IT-Mitarbeiter für die Krankenhäuser zu finden. Auf dass sich auch die oben beschriebenen IT-Abteilungen, die über das Aufrechterhalten eines Grundbetriebs hinaus kaum Kapazitäten für eine Weiterentwicklung haben, entfalten können. Ich habe viele IT-Leiterinnen und -Leiter getroffen, denen es weder an den richtigen Ideen noch dem notwendigen Fachwissen mangelt.

Fachlich zu motivieren ist in der Health-IT ein Leichtes.

Wir können auch den Bewerbern ein anderes Bild zeichnen. Das eines Gesundheitswesens mit einem enormen Entwicklungspotential. In einer Enterprise-IT-Umgebung, die für sich genommen schon das Herz eines IT-Technikers höherschlagen lässt, werden Lösungen möglich, von denen wir derzeit nur träumen. Entscheidungsunterstützung hat es immerhin als Thema ins KHZG geschafft und auch die Spracherkennung in der Pflege ist prozessual spannend. Darüber hinaus binden wir künftig die Patienten viel enger in die immer mobiler werdenden IT-Prozesse der Einrichtungen mit ein. Das alles kommt „nur“ aus dem KHZG. Ich möchte der weiteren Fantasie hier keine Grenzen setzen: fachlich zu motivieren ist in der Health-IT ein Leichtes.

Es sei nicht verschwiegen, dass der Fachkräftemangel nicht durchweg als ein Zuwenig an Personal gesehen wird. Prof. Jochen A. Werner betont regelmäßig und aktuell auch in Buchform, dass es bei uns in Deutschland im europäischen Vergleich eine gute Anzahl an Pflegekräften gibt. Allein die Anzahl der Krankenhausbetten sei demgegenüber viel zu hoch. Solange die Schließung von Krankenhäusern politisch keine Option ist, wird dem System eine wichtige Chance zur Selbstheilung genommen. Und auch, wenn die Anzahl von IT-Fachkräften im Krankenhaus weniger an der Bettenzahl festgemacht werden sollte, so könnten auch die IT-Abteilungen von Schließungen profitieren, wenn die dann freiwerdenden Personen die übrigen Instanzen verstärken.

IT in Kliniken ist vielseitig

Argumente, die für uns – die IT im Gesundheitswesen – sprechen sind auch, das wurde durch die Pandemie belegt, ein sicherer Arbeitsplatz und bei tarifgebundener Arbeit eine gute Work-Life-Balance. IT im Krankenhaus ist, so meine Erfahrung, vielseitig. Wir beschäftigen bei uns Quereinsteigerinnen aus der Pflege, der Logopädie oder der Physiotherapie, um neben Alter, Herkunft und anderen prägenden Vorbedingungen nur ein paar Beispiele zu nennen. Die Grundhaltung ist in einem Sozialbetrieb auch menschenzentriert. So entsteht ein Gegengewicht zur hohen Arbeitsdichte und der besonderen Verantwortung aufgrund der Patientenversorgung, die heutzutage eben auch mittels IT erfolgt.

Ein letztes Pfund werfe ich an dieser Stelle in die Waagschale: die Sinnstiftung. Ich beobachte gerade bei jungen Menschen zunehmend, dass diese sich bei uns bewerben, weil sie in ihrer Arbeit einen tieferen Sinn sehen wollen. Ein zumindest mittelbarer Beitrag zum Wohl der Patienten darf hier ebenso konstatiert werden, wie eine mögliche Verbesserung der Arbeitssituation der Kolleginnen und Kollegen auf Station. Das ist ein wirklicher Marktvorteil.

Bundeskanzler Scholz hat vor wenigen Wochen verkündet, dass der Zugang indischer IT-Fachkräfte zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert werden soll. Immerhin versucht die Politik, sich an der Abhilfe zu beteiligen. Aber es würde eines zweiten Kommentars bedürfen, um Fragen zu diskutieren, warum in deutschen Schulen seit Jahrzehnten eine kaum vorhandene oder taugliche Informatikgrundbildung stattfindet oder warum wir es bislang nicht geschafft haben, die eigene Jugend nachhaltig genug für die IT zu begeistern. Weniger Unterrichtsentfall wäre ein Anfang. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz.

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