
Haben Sie schon einmal Kinder beim Spielen mit Sandkastenformen beobachtet? Aus meiner Erfahrung gibt es drei verschiedene Typen (und die von der Tagesform abhängigen Mischtypen):
Typ 1: Alles meins. Er oder sie möchte die Förmchen nicht teilen und sitzt entsprechend allein im Sandkasten. Ist zwar doof, aber besser als etwas abgeben.
Typ 2: Der oder die Kooperative. Die Kooperativen stellen schnell fest, dass Form A in Kombination mit Form B ganz tolle Kunstwerke hervorbringt und das gemeinsame Bauen der Sandburgen zudem auch viel mehr Spaß macht.
Typ 3: Der oder die Kreative. Hat meist nicht schnell genug bei der Vergabe der Formen zugegriffen und muss nun schauen, was die Umwelt zum Bauen einer Sandburg so hergibt. Weckt meist die Neugier der Kooperativen und ist deshalb schnell Mittelpunkt eines sich ausdehnenden Netzwerks.
Offensichtlich legt man diesen Kindergartentypus im Erwachsenenalter nicht ab. Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, warum der Gesundheitssektor in dieser entscheidenden Veränderungsphase die drei beschriebenen Typen so dermaßen deutlich hervorbringt – wobei Typ 1 für meinen Geschmack noch zu häufig vorkommt.
Lauterbach verkündet Digitalstrategie
Nun hat der Bundesgesundheitsminister vergangene Woche seine Idee einer Digitalisierungsstrategie vorgestellt. Deutschlands Gesundheitswesen hänge in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück – immerhin wird diese Tatsache erkannt. Das könne man nicht länger verantworten und mache einen Neustart. Aus meiner Sicht ein sehr hochtrabender Begriff, wenn man bedenkt, dass Dreh- und Angelpunkte der Digitalisierungsstrategie die elektronische Patientenakte und das elektronische Rezept sind. Wir erinnern uns: Grundstein für Erstere wurde 2015 mit dem E-Health-Gesetz gelegt. Dass die ePA Mitte Juni 2024 nun endlich verbindlich kommen soll, halten Interessensvertretungen wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung für „überhastet“. Die agile IT-Welt kommt bei einem „Entwicklungszyklus“ von neun Jahren vermutlich aus dem Lachen nicht mehr raus.
Mir ist zwar klar, dass eine Interessensvertretung den Auftrag hat, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Mir ist ferner auch klar, dass die Interessenslagen im Gesundheitswesen sehr unterschiedlich motiviert sind. Zudem steht außer Frage, dass die ePA höchsten Standards entsprechen muss, was technisch jedoch ohne Weiteres möglich ist. Daher Hand aufs Herz: Wer hat beim Kommentar der KBV zur ePA nicht auch unwillkürlich an Typ 1 im Sandkasten denken müssen?
Dabei geht es mir hier nicht darum, eine einzelne Interessensvertretung in ein negatives Licht zu rücken.
Viele andere haben sich ähnlich geäußert. Auch die Bundesärztekammer hat ähnliche Bedenken – eben jene Interessensvertretungen, deren Mitglieder sich mit einer verpflichtenden ePA mit Veränderungen auseinandersetzen müssten.
German Angst
Auch der Einwand der Deutschen Stiftung Patientenschutz hat mich in dem Zusammenhang etwas verwundert. Dort hatte man als Reaktion auf Digitalisierungsstrategie und Gesundheitsdatennutzungsgesetzt angemahnt, dass dem Bürger nicht die Kontrolle über seine medizinischen Informationen entzogen werden dürfe. Ein Schelm, wer bei der Formulierung denkt, der Bürgerin schon. Zudem habe ich mich gefragt, welche Bürgerinnen und Bürger in einem analogen System überhaupt Kontrolle über ihre medizinischen Informationen haben. Oder hat schon einmal jemand dem Arzt oder der Ärztin über die Schulter geschaut, als er oder sie per Hand eine dieser faltbaren Patientenakten beschrieben hat? Und wenn ja, wer konnte die Schrift entziffern?
Für mich mutet es so an, als würde auch hier die berühmte „German Angst“ mal wieder die Oberhand gewinnen – oder eben Typ 1 aus der Sandkiste im Kindergarten.
Typ 2 und 3 bitte melden
Halten wir also fest: Es ist vor allem Typ 1, der sich in Punkto Digitalisierungsstrategie und Gesundheitsdatennutzungsgesetz dieser Tage zu Wort meldet. Wo sind dann die Kooperativen und Kreativen im Land? Keine Sorge, es gibt sie. Nur wie schon in der Sandkiste im Kindergarten sind beide Typen mit dem Gestalten und Modellieren der Zukunft beschäftigt.
Dennoch habe ich Sorge, dass Typ 2 und 3 hierzulande ihren Einsatz verpassen könnten. Denn mit einem hat Karl Lauterbach natürlich Recht: Das deutsche Gesundheitswesen hängt digital Jahrzehnte zurück. Und genau deshalb erleben wir immer häufiger, dass außereuropäische Anbieter den Gesundheitsmarkt in good old Europe für sich entdecken. Prominentes Beispiel: Der US-Anbieter Epic. Er wurde nicht nur vom Bundesgesundheitsminister höchstpersönlich als vorbildlich gelobt, sondern wird auch als Nachfolger vom Krankenhausinformationssystem i.s.h.med in der Berliner Charité gehandelt.
Das Beispiel möchte ich allen „Ängstlichen“ als kleine Erinnerung und Gedankenspiel mit auf den Weg geben. Ich habe es mehrfach betont: Die Veränderung wird kommen. Die Frage ist nur, ob wir sie aktiv gestalten oder einfach nur hinnehmen. Oder mit anderen Worten: Entweder wird es in der europäischen Gesundheitsversorgung „epische Umwälzungen“ geben oder aber wir werden unser eigenes „Epos“ schreiben. Noch haben wir die Wahl. Wofür ich mich entscheiden würde, dürfte hinreichend bekannt sein.







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