
Eine regelmäßige Kolumne hat manchmal etwas von einem Tagebuch – und zwar im positiven Sinne. Denn so konnte ich meine Gedanken zur DMEA im vergangenen Jahr noch einmal nachlesen. Und tatsächlich waren die komplett anders als jetzt hier und heute, wenige Tage vor dem ersten Messetag in Berlin.
Im vergangenen Jahr war ich kurz vor der DMEA in Orlando auf der HIMSS, hatte reichlich amerikanischen Positivismus im Gepäck, der KHZG-Countdown war gerade angelaufen und natürlich habe ich mich – wie vermutlich die gesamte Branche – auf die persönlichen Treffen und Gespräche gefreut, die mit der in Präsenz stattfindenden DMEA 2022 endlich wieder möglich waren.
Gleich und doch anders
Objektiv hat sich an der Gemengelage gar nicht so viel verändert und doch ist vieles anders. Wir sind noch immer mitten im KHZG-Countdown. Allerdings ist die anfängliche Aufbruchstimmung einem Realismus gewichen, der vermutlich auf die insgesamt schwierige wirtschaftliche Situation insbesondere für zahlreiche Kliniken zurückzuführen ist. Und damit sind die Kliniken, ist das Gesundheitswesen nicht allein. Die Folgen des Ukrainekriegs – hohe Preise, gestiegenes Zinsniveau, geopolitische Unsicherheiten – haben sich zu einem neuen Normal entwickelt, was den Wirtschaftsstandort Deutschland unter Druck setzt. So prognostiziert das Institut der deutschen Wirtschaft, IW, für 2023 beispielsweise nur ein sehr schmales Wirtschaftswachstum von 0,25 Prozent. Was die Experten vor allem kritisieren: den gewaltigen Investitionsstau, den Unternehmen schon in den Coronajahren aufgebaut hätten. Und wenn Investitionen zu lange ausbleiben, drohen strukturelle Schäden für die gesamte Volkswirtschaft.
Doch das ist nur ein Aspekt, der die Schere zwischen Vorreitern und – nennen wir sie wohlwollend – Nachzüglern größer werden lässt. Ebenfalls vom Institut der deutschen Wirtschaft kommt die Meldung, dass der Erfindergeist in Deutschland lahme. Das machen die Experten an den Patentanmeldungen fest, die aus Deutschland um knapp fünf Prozent sanken. Ausgerechnet die eigentlich ur-deutsche Stärke, die Expertise im Maschinen- und Fahrzeugbau, könnte langfristig zur Schwäche werden, weil Patente und Innovationen von anderen Bereichen, allen voran der digitalen Elektrotechnik, vorangetrieben werden. Interessant ist der Rückgang bei den Patentanmeldungen vor allem auch deshalb, weil die Forschungsausgaben 2022 auf einem Allzeithoch waren, unterstreicht das IW.
DMEA mit anderen Augen sehen
Der Bogen zwischen diesen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und der diesjährigen DMEA ist leicht gespannt. Zwei Aspekte sind dabei wichtig: Erstens muss sich die deutsche Wirtschaft stärker auf digitale Innovationen konzentrieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und zweitens sorgen ausbleibende Investitionen dafür, dass andere Länder in Sachen Digitalisierung noch weiter davonpreschen.
Und nun lade ich Sie ein, eben diese beiden Aspekte beim Besuch der diesjährigen DMEA im Hinterkopf zu haben, um die Aussteller, ihre Lösungen und Ansätze, mit denen sie die Gesundheitsversorgung von morgen nachhaltig verändern wollen, vielleicht noch einmal aus einer ganz neuen Warte zu betrachten.
Denn was der vom IW angesprochene Shift weg vom Maschinenbau hin zu digitalen Innovationen deutlich macht: Wir müssen den Status Quo deutlich kritischer hinterfragen als andere Länder. Umso offener sollten wir Augen und Ohren auf einer Messe halten, auf der sich die Digital Health Branche, darunter viele Pioniere, präsentiert. Denn auch die wirtschaftlichen Herausforderungen vieler Kliniken unterstreichen einmal mehr, dass wir schlicht und ergreifend nicht so weitermachen können wie bisher.
KHZG-Endspurt nutzen
Mein Appell lautet also: Nutzen Sie die DMEA, hinterfragen Sie, gehen Sie ins Gespräch, probieren Sie aus. Der KHZG-Countdown läuft und wir sollten diese letzte Phase als Endspurt eines Langstreckenläufers nutzen, die letzten Reserven mobilisieren und das Tempo deutlich erhöhen. Die Ziellinie ist in Sicht, viele wichtige Projektgrundlagen bereits geschaffen.
An dieser Stelle greifen ich dann sehr gerne auf den Appell aus dem Kommentar zur DMEA im letzten Jahr zurück: Mit Blick auf die Transformation des Gesundheitswesens haben wir eine Gesamtverantwortung. Wir können unheimlich viel lernen, wenn wir über den Tellerrand schauen. Wir müssen in Deutschland nicht bei null anfangen, sondern können Erkenntnisse und Fortschritte, die bereits gemacht wurden, direkt nutzen.
Dafür müssen wir allerdings anfangen, uns von bestehenden Strukturen und Denkweisen zu verabschieden. Ich weiß, das ist nie einfach, aber definitiv notwendig. Und andere Branchen schaffen es auch. Bestes Beispiel ist die Automobilindustrie, deren Kernkompetenz seit Jahrzehnten der Verbrennermotor ist. Dass die Zukunft anderswo liegt, hat man dort bereits erkannt und sich – ganz sicher nicht ohne Schmerz – dahingehend neu ausgerichtet. Die dafür notwendige Digitalkompetenz aufzubauen, ist auch dort nicht einfach und eindeutig ein sich entwickelnder Prozess. Das Gesundheitswesen hat jedoch einen großen Vorteil – den die DMEA in diesem Jahr eindrucksvoll unterstreicht: Die List derjenigen Köpfe, die kluge Ideen in ein Geschäftsmodell überführen, wird jedes Jahr länger. Deutschland hat viele gute digitale Lösungen hervorgebracht, die das Gesundheitswesen nachhaltig verändern werden, dessen bin ich mir sicher. Auch deshalb freue ich mich auf die DMEA, die den Innovationen „made in Germany“ wie jedes Jahr die passende Bühne bietet.







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