
Aktuell entstehen in vielen Bereichen des Gesundheitswesens Plattformkonzepte. Beispielsweise im Krankenhausumfeld werden Plattformen als technologisches B2B-Angebot für die Vernetzung zwischen verschiedenen Tools und Akteuren gerade populär. Beschleunigt wurde dieser Trend durch das KHZG, denn häufig geht der Fördertatbestand 2 zum Aufbau eines Patientenportals mit der Frage einher, welche Plattform dafür die beste Grundlage ist.
Andere Ansätze gibt es beispielsweise in der Telemedizin oder dem Apothekenmarkt. Hier sprechen die Anbieter in einem B2C-Modell auch die Bürgerinnen und Bürger direkt an, um sich dort als erster Ansprechpartner für Gesundheitsversorgung zu positionieren. Während mancher Anbieter versucht sich möglichst ganzheitlich aufzustellen, versuchen andere Akteure das jeweils stärkste Angebot in ihrer Nische wie z.B. dem Entlassmanagement, in einer Indikation oder bezogen auf ihre Zielgruppe aufzubauen.
Einer einheitlichen Definition des Plattformbegriffs folgen diese Beispiele nicht zwangsläufig. Aus der wirtschaftlichen Perspektive haben sie häufig gemein, dass sie eine Infrastruktur bieten, die es ermöglicht Angebot und Nachfrage zusammen zu bringen. Auf der technischen Ebene bedeutet dies, dass eine Plattform die technologische Basis dafür liefert, dass verschiedene Akteure oder Anwendungen miteinander kommunizieren können, ohne direkt miteinander zu agieren.
Kurzum: Plattformen findet man im Gesundheitswesen derzeit in allen Facetten.
The winner takes it all – droht mit Plattformen die Gefahr der Monopolbildung?
Ein Plattform-Modell aufzubauen, bedeutet für die Hersteller nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch das Geschäftsmodell ist gegenüber dem klassischen Produktgeschäft riskant. Plattformen spielen ihre Stärken in der Skalierung aus, was insbesondere in einem fragmentierten Markt wie z.B. Apotheken besonders zum Tragen kommt.
Während einige Anbieter in diesem Wettbewerb ihre Services vorwiegend aus eigener Kraft entwickeln, setzen andere auf Partnerschaften mit weiteren Unternehmen. Letztere bieten somit einen Marktplatz auf ihrer Plattform und schaffen damit die Grundlage für ein sich entwickelndes Ökosystem an Mehrwertdiensten und einem Wettbewerb der Angebote auf der Plattform. Die größte Herausforderung dieser Anbieter ist es die „Henne-Ei-Phase“ zu überwinden, in der sie die ersten Kunden von ihrem Portfolio überzeugen müssen und gleichzeitig potenziellen Partnern eine attraktive Reichweite auf der Kundenseite bieten müssen.
Hat man den Start erfolgreich geschafft, gilt es möglichst schnell Markteinteile zu gewinnen. Gerade im Bereich der Nischenanbieter wie den Entlassmanagement-Plattformen wie beispielsweise Recare oder Pflegeplatzmanager gab es in den letzten Jahren ein beachtliches Wachstum der wenigen Anbieter. Bei den breiter aufgestellten Plattformen wie zum Beispiel der teamplay digital health platform connect von Siemens Healthineers oder smart clinic von m.doc wird die Marktdynamik nicht unwesentlich über Ausschreibungen im Rahmen des KHZG bestimmt. Live zuschauen kann man hingegen beim Wettlauf der Apotheken-Plattformen, wo die Unternehmen ihre unterschiedlichen Stärken ausspielen: während gesund.de zunächst eine große Reichweite bei den vor-Ort-Apotheken aufgebaut hat, konnte die Konkurrenz von docmorris auf die Erfahrung und den Kundenstamm der Versandapotheke aufbauen. Welcher Anbieter das Rennen macht, wird die Zukunft zeigen.
Wer bekommt die Pole Position?
Allen Ansätzen ist jedoch gemein, dass sich eine Plattform für wenige Anbieter mit geringer Reichweite nicht rechnen wird. Sowohl die technische Entwicklung und Betrieb, das Partnermanagement sowie der Vertrieb sind aufwendiger als bei einem Stand-alone-Produkt. Erst über die Skalierung werden Plattform-Modelle für den jeweiligen Betreiber attraktiv. Da der Gesundheitsmarkt in Deutschland zwar groß aber dennoch begrenzt ist, ergibt sich dadurch ein Wettrennen um die Pole Position.
Dabei wird der jeweils Erstplatzierte belohnt und wächst entsprechend noch schneller, denn sein Produktportfolio oder die Reichweite steigern die Attraktivität für die weiteren Kunden. Tritt dann ein „Gewohnheitseffekt“ ein, kann es dazu kommen, dass der Markt von nur einem oder wenigen großen Anbietern dominiert ist. Beispiele wie Amazon oder die Streamingdienste verdeutlichen den Mechanismus im Consumer Markt.
Chance oder Risiko – wie Plattformen den Markt verändern
Was diese Modelle für das Gesundheitswesen bedeuten, muss dennoch sorgfältig reflektiert werden. Denn wer an dieser Stelle anfängt Plattform-Modelle zu verteufeln, verpasst ihr positives Potenzial, denn Plattformen bieten viele Vorteile für ihre Kunden:
- Sichtbarkeit Spezialanbieter statt breiter Masse: Plattformen ermöglichen kleinen Spezialanbietern beispielsweise mit einer IT-Lösung für den Klinikmarkt eine Sichtbarkeit, die sie allein durch eigene Marketing- und Vertriebsaktivitäten nicht erreichen könnten. Dadurch steht wiederum den Klinikkunden ein Portfolio von spezialisierten Anbietern zur Verfügung.
- Prozesseffizienz durch Standardisierung: Mit einer Plattform zu arbeiten ermöglicht es den jeweiligen Kunden ihre Prozesse zu standardisieren. Sowohl Privatpersonen als auch medizinisches Fachpersonal freuen sich über einen „Single-Sign-On“-Ansatz statt einer Vielzahl von verschiedenen Zugängen. Darauf setzen auch indikationsspezifische Plattformen oder Unternehmen, die sich auf Frauen- oder Männergesundheit spezialisiert haben. Ihr Ziel ist es der „One-Stop-Shop“ für ihre Zielgruppe zu werden. Auch die IT-Abteilungen der jeweiligen Akteure atmen auf, wenn Plattformen die Integrationsaufwände deutlich reduzieren können und bei den Prozessen zu einer besseren Standardisierung führen.
- Zeit- und ortsunabhängige Reichweite: Im Bereich Telemedizin und Versandapotheke ermöglichen Plattformen es einzelnen Ärztinnen und Ärzten oder Apotheken räumlich und zeitlich unbegrenzte Leistungserbringung anzubieten. Damit öffnen sie einzelnen Leistungserbringern einen deutlich größeren Markt, der ihnen sonst verschlossen bleiben würde.
- Verbesserung der Produktqualität: durch die Möglichkeit der leichteren Integration und der Wahlfreiheit von Lösungen durch Leistungserbringer, wird der Wettbewerb unter den Lösungen gestärkt und die Produktqualität und Attraktivität hierdurch verbessert. Wovon Patienten und Leistungserbringer gleichermaßen profitieren.
- Unabhängigkeit von Legacy-Software: Viele Unternehmen und Einrichtungen im Gesundheitswesen scheuen den Aufwand von Grund auf die IT-Infrastruktur neu aufzusetzen. Vor allem bei Kernprozessen wird veraltete Software weiter genutzt, obwohl Usability, Nutzungsumfang und Interoperabilität zu wünschen übriglassen. Durch die Nutzung von Plattformen haben Kunden die Chance mit einer moderaten Investition unabhängiger von Bestandssystemen zu werden und den Sprung in eine moderne Softwareumgebung zu schaffen.
Plattformen schaffen damit nicht nur Effizienz in einzelnen Wertschöpfungsketten und Vereinfachen das Leben für ihre Partner und Kunden. Sie haben auch das Potenzial im ganzen Gesundheitswesen einen Mehrwert zu schaffen, in dem durch einen klugen Datenaustausch und Vernetzung verschiedener Akteure eine bessere Integration von Gesundheitsleistungen ermöglicht werden kann. So können Plattformen auch einen Beitrag zu einer besseren Versorgungsqualität leisten.
Je größer desto attraktiver?
Das Risiko von Plattformen liegt daher vor allem in der Attraktivität ihrer Größe. Je größer die Reichweite und das Angebot einer Plattform umso attraktiver scheint sie für ihre Kunden. Die negativen Effekte bekommen diese dann erst später zu spüren. Ein Beispiel kommt aus dem Taxi Markt. Hier haben FreeNow (ehem. myTaxi) und Uber sich zu den Platzhirschen für die Vermittlung von Fahrten herauskristallisiert und es wächst eine junge Generation heran, die nicht mehr weiß, dass man früher ein Taxi bei einer Taxizentrale telefonisch bestellt hat. Gebucht wird bei dieser Zielgruppe über die jeweilige App. Dabei nehmen die beiden Anbieter stattliche Umsatzbeteiligungen von den Fahrern. Möchte ein Fahrer dagegen aufbegehren muss er sich gut überlegen, ob er sich das leisten kann. In Berlin etwa wird es schwierig internationale Touristen als Kunden zu bekommen, wenn man nicht bei Uber aktiv ist. Die beiden Plattformen haben sich entsprechend so nachhaltig in die Wertschöpfungskette geschoben mit einem so großen Marktanteil, dass sie in der Lage sind sehr hohe Umsatzbeteiligungen einzufordern.
Dieses Beispiel zeigt, dass eine monopolartige Position von Plattformen zu einer großen Abhängigkeit der jeweiligen Kunden bzw. Partnern führen kann und durch diese Positionierung auch die Preisfindung – auf Seiten der Lieferanten und der Endkunden - sehr stark durch die wenigen Plattformanbieter bestimmt wird.
Welche Spielregeln brauchen wir?
Schaffen wir im Gesundheitswesen einen gelungenen Spagat, um die Vorteile von Plattformen zu nutzen, ohne den Preis der Monopolgefahr zu zahlen? Wir haben die Chance dazu, denn der Gesundheitsmarkt ist deutlich stärker reguliert als Consumer-orientierte Geschäftsbereiche und basiert auf dem gesamtgesellschaftlichen Ziel der Daseinsfürsorge und des Sicherstellungsauftrags für die Versorgung. Wir haben also die Möglichkeit Spielregeln zu formulieren, die Plattformanbietern einen Rahmen geben. Dabei wird es sicherlich für die Vielzahl der verschiedenen Plattformen unterschiedliche Perspektiven geben. Doch manche Prinzipien lassen sich allgemein formulieren. Ein Schlüsselaspekt wird dabei die Interoperabilität sein.
Durch die Nutzung gemeinsamer und international etablierter Standards haben die Kunden die Möglichkeit Plattformen zu wechseln, wodurch die Unabhängigkeit von einzelnen Plattformen gewahrt wird. Gleichzeitig stärkt Interoperabilität auch die Chance die Effizienzpotenziale von Plattformen zu nutzen. Sei es das eRezept als gemeinsame Sprache im Apothekenmarkt oder die Nutzung standardisierter Datenformate für den sektorübergreifenden Datenaustausch. Ein wichtiger Aspekt beim Thema Datenaustausch ist ein zeitgemäßes Einwilligungsmanagement bei den Nutzern: Nur wenn der Aufwand zur Einholung einer Einwilligung zur einrichtungsübergreifenden Datenverarbeitung durch eine Plattform verhältnismäßig ist, werden z.B. Leistungserbringer hiervon Gebrauch machen und die Plattform kann ihr Potenzial in der Vernetzung voll ausschöpfen. So ist eine gemeinsame Akteneinsicht für beispielsweise Konsile oder sektorübergreifende Zusammenarbeit durch Plattformen technisch darstellbar und von Patienten und medizinischem Fachpersonal gewünscht – aber oft scheitern solche Vorhaben am umständlichen Umsetzung von Datenschutzvorgaben.
Wenn eine wertschöpfende Co-Existenz von Plattformen möglich sein soll, muss eine Kommunikation zwischen den Systemen möglich sein. Ob dies ausreicht, um ein wertschöpfendes Ökosystem von Plattformen im Gesundheitswesen wachsen zu lassen, wird sich zeigen – aber es ist in jedem Fall ein guter Anfang.







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