
Kommentare machen mir besonders viel Freude, wenn ich Analogien zu meinem „ersten Leben“ als Sportler finde. Und meine Gedanken, die ich heute mit Ihnen teilen möchte, bieten sich hierfür förmlich an. Stellen Sie sich vor, Sie sind der Manager eines Formel-1-Teams. Dann ist es Ihr erklärtes Ziel, dass die Zielflagge im Rennen möglichst oft als erstes für den Fahrer Ihres Boliden geschwungen wird und Sie somit am Ende der Sassion „Weltmeister“ werden. Dafür brauchen Sie zunächst ein gutes Fahrzeug, sowie ein ebenso gutes Team aus Ingenieuren und Mechanikern, das dafür sorgt, dass das Fahrzeug einsatzbereit ist, einen herausragenden Fahrer, belastbares Material – insbesondere mit Blick auf die Reifen – und zu guter Letzt die richtige Strategie.
Während alles andere mit den nötigen finanziellen Ressourcen mehr oder weniger einfach zu beschaffen ist, hängt die richtige Strategie sehr stark von Ihren eigenen Erfahrungen, aber eben auch von der Strategie der anderen Teams ab. Und eventuell müssen Sie Ihre Strategie während des Rennens sogar anpassen, weil sich die Bedinungen ändern, ein anderes Team bessere Vorhersagen getroffen hat oder etwas unvorhergesehenes die eigenen Pläne durchkreuzt.
Warum diese Analogie zum Rennsport zum aktuellen Geschehen im deutschen Gesundheitswesen passt? Weil ich immer wieder lese, wir seien in Deutschland nun endlich auf der „Überholspur“ oder würden nun endlich mit der „digitalen Aufholjagd“ beginnen. Übertragen auf Autorennen würde das bedeuten, dass wir zwar deutlich hinter anderen Teams gestartet sind, uns nun aber langsam nach vorne durchkämpfen und doch noch eine Chance auf die vorderen Plätze haben. Ich frage mich, ob dem wirklich so ist.
Wie viel „Basis“ braucht die Digitalisierung?
Ganz aktuell hab ich die Wortwahl „Aufholjagd“ in einem Interview mit Markus Leyck Dieken, Alleingeschäftsführer der Gematik, gelesen, das er dem Münchener Merkur gegeben hat. Er betont dort, dass sich die geringe Digitalisierung im Gesundheitswesen in dieser Legislatur geändert habe, womit wir uns für ihn – allen voran durch die elektronische Patientenakte, kurz ePA – bereits in einer digitalen Aufholjagd befinden.
Sie merken an meiner Wortwahl, dass ich dem nicht ganz zustimmen mag. Und für die Erklärung schwenke ich noch einmal zurück zur Formel 1: Nur weil Sie einen Boliden haben, der einem Rennwagen ähnlich sieht, heißt das noch nicht, dass Sie direkt mit Full Speed an allen anderen Mitstreitern vorbeiziehen können – insbesondere dann nicht, wenn Sie Ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt haben, sprich Ihnen das Team aus erfahrenen Experten fehlt, die Reifen noch nicht eingefahren sind und der Tank gerade erst gefüllt wird. Genauso empfinde ich den Status Quo der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen: Ja, wir kommen der Sache näher, wir erledingen mit ePA, KHZG, den DIGAs, DIPAs eine Menge der Hausaufgaben und bauen Expentum auf. In meinen Augen ist das aber „erst“ der Boxenstopp mit Reifenwechsel und Volltanken, aber noch keinesfalls die Überholspur. Da wollen wir erst hin!
Kommunikation für Teamleistung entscheidend
Der Grund, warum ich diese Aufholjagd noch nicht sehe ist auch in den einheitlichen Standards begründet, die wir gerade erst beginnen zu schaffen. Im Formel-1-Team wären das die Intercom, die „Sprechanlage“, mit der sich das gesamte Team selbst während des Rennens austauschen kann. Somit kann der Fahrer den Mechanikern beispielsweise signalisieren, dass er früher oder später in die Box kommt, weil die Reifen doch schon abgefahren sind, respektive länger halten. Und als Teamchef können Sie damit alle über Strategieänderungen informieren oder Ihrem Fahrer sagen, was sich außerhalb seines Sichtfeldes tut.
In einem digitalen Gesundheitswesen sorgen einheitliche, zukunftsfähige Standards und Schnittstellen wie FHIR für diese reibungslose Kommunikation oder Interoperabilität. Denn ohne den permanenten Austausch, den Fluss von Informationen sind das Formel-1-Team wie auch das Gesundheitswesen gleichermaßen „aufgeschmissen.“
Hinzu kommt noch, dass uns im Gesundheitswesen vielerorts die Experten fehlen. Eben jene Ingenieure und Mechaniker, die im Rennsport dafür sorgen, dass die wichtigste Komponente, das Fahrzeug, reibunslos funktioniert. Digitale Gesundheitsexperten sind derzeit rar und um die Digitialisierungsexperten – vom Programmierer, über Berater, bis hin zum Data Analyst und Scientist – buhlt derzeit so ziemlich jede Branche. Denn Digitalisierung ist bei weitem keine gesundheitsspezifische Herausforderung. Und ohne ein solides, erfahrens, belastbares Team wird eine echte Aufholjagd bestenfalls schwierig.
Wie sieht das Zielbild eines digitalen Gesundheitswesens aus?
Die wohl größte Herausforderung und damit mein gewichtigstes Argument, dass wir noch bei der Basisarbeit sind, ist die Strategie. Denn auch das weiß ich aus meiner aktiven Sportlerkarriere: Wenn man losrennt oder -fährt, sollte man wissen, wo man ankommen will. Dieses Zielbild ist entscheidend für die Motivation, aber auch für den Weg, den man einschlägt. Und genau deshalb fordern die acht Verbände der eHealth-Allianz aktuell auch ein eHealth-Zielbild für Deutschland, quasi den digitalen Kompass für ein digitales Gesundheitssystem.
Das heißt nicht, dass wir alle aktuellen Vorhaben hier und jetzt stoppen, uns zurückziehen und in den nächsten ein, zwei Jahren ein solches Zielbild entwickeln sollen. Im Gegenteil: Jeder, der mich kennt, weiß, dass „einfach machen“ mein Motto und großer Antrieb ist. Doch wenn wir mit ePA, KHZG, DIGA, DIPA, ISiK, Telematik-Infrastruktur und so weiter unsere Basisarbeit erst einmal erldigt und echte Digitalisierungsgrundlagen geschaffen haben, müssen wir wissen, in welche Richtung die anderen Teams unterwegs sind, um unsere Aufholjagd dann wirklich starten zu können. Mit anderen Worten: Neben der konkreten Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben müssen wir uns paralell und zeitnah auf ein gemeinsames Zielbild einigen, mit dem vor Augen wird die Aufholjagd dann wirklich final starten können. Aus meiner Sicht ist die Telematik-Infrastruktur 2.0 eine erste wichtige strategische Ausrichtung, die nicht nur zeigt, wo wir hinwollen, sondern bereits eine grobe Skizze unseres gemeinsamen Zielbildes darstellen könnte.
Denn soviel ist klar: Die anderen Teams sind unterwegs und uns in vielen Bereichen mindestens die berühmte Nasenlänge oder Zehntelsekunde voraus. Ich glaube nicht, dass die Überholspur und die digitale Aufholjagd, über die medial schon so viel gesprochen werden, ein reiner Wunsch ist oder bleibt. Ich denke nur, es ist sinnvoll und zielführender den Status Quo als das einzuschätzen, was er ist: Der Reifenwechsel mit dem die Aufholjagd erst möglich wird. Dafür brauchen wir Macher, Visionäre, Strategen, aber eben auch Ingenieure und Mechaniker, die die Maschinerie am Laufen halten. Im Land der Dichter, Denker mit gleichzeitig hochentwickelter Ingenieurskultur sollten die doch aber zu finden sein…






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