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PilotprojektSo will die Uniklinik Bonn digitaler Vorreiter werden

Vor einem Jahr startete die Uniklinik Bonn den „Innovative Secure Medical Campus (ISMC)“. Das Projekt verbindet erstmals den digitalen Um- und Ausbau einer Universitätsklinik mit einem Cyber-Security-Konzept. Eine erste Bilanz fällt positiv aus.

Uniklinik Bonn Shuttle Innovative Secure Medical Campus (ISMC)
Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und der UKB-Vorstandsvorsitzende Prof. Wolfgang Holzgreve vor einem der neuen fahrerlosen Shuttle.

Kennen Sie Paul? Nein? Sollten Sie aber, findet Prof. Ulrike Attenberger. Die Radiologin der Uniklinik Bonn (UKB) schwärmt gern von ihrem „etwas anderen“ Kollegen, der seit einiger Zeit am UKB im Einsatz ist. Paul ist ein Pflegeroboter und achtet mit Akribie und Akkuratesse darauf, dass demente Patienten auf Station auch wirklich genügend trinken. Die vermeintlich kleine Aufgabe entfaltet große Wirkung, Paul schaufelt dadurch Pflegekräften Zeit frei für andere Patienten, weswegen „die Kolleginnen Paul einfach lieben“, erzählt die Direktorin der Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie des UKB.

Nun sind Pflegeroboter in deutschen Kliniken längst keine Neuheit mehr, auch andere Kliniken setzen sie schon ein. Die Geschichte, die wir hier erzählen, geht aber nicht um Paul, sondern um das, für was er exemplarisch beim Thema Digitalisierung der Medizin steht. Denn der Bonner Pflegeroboter ist nur ein ganz kleiner Baustein in einem großen Projekt des UKB, das in dieser speziellen Form in Deutschland bislang einzigartig ist.

Digital und sicher 

Vor einem Jahr startete die Uniklinik den „Innovative Secure Medical Campus (ISMC)“, gefördert von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und mit Partnern aus Industrie und Forschung, darunter Telekom, Siemens und das Fraunhofer Institut. Das dreijährige Projekt verbindet erstmals einen durchgehenden digitalen Um- und Ausbau einer Uniklinik mit einem ausgefeilten Cyber-Security-Konzept. Nach einem Jahr ziehen die Beteiligten nun eine erste Bilanz – und die Entwicklung ist vielversprechend.

Ulrike Attenberger ist Leiterin des Projekts. Auf die Frage, was denn tatsächlich anders sei am Bonner Projekt als etwa das Smart Hospital Projekt an der nahen Uniklinik Essen oder anderen wichtigen Digitalprojekten, hat die Radiologin sofort die passende Antwort parat. „Was den ISMC hier in Bonn einzigartartig macht, sind drei Schlüsselfaktoren: Erstens eine komplett digitalisierte Patient Journey. Zweitens der Einsatz und die Testung von künstlicher Intelligenz und Robotik in der medizinischen Anwendung und drittens das Mitdenken von Cyber Security by Design von Anfang an“, sagt sie. Meint: Die Bonner entwickeln komplette digitale Prozesse und beziehen gleichzeitig Sicherheitsaspekte in der Entwicklungsphase umfassend mit ein.

UK Bonn Innovative Secure Medical Campus (ISMC)
A.Winkler/Universitätsklinikum Bonn
Prof. Ulrike Attenberger ist ISMC-Projektleiterin an der Uniklinik Bonn.

Zum Schutz gegen Hacker kooperieret das UKB eng mit der Deutsche Telekom Security GmbH. Diese sichert die insgesamt 38 Kliniken und 31 Institute des UKB ab und überwacht über ihr Cyber Security Centrum rund um die Uhr die Cybersicherheit des Universitätsklinikums. Dass der große Aufwand seine Berechtigung hat, lässt sich an einer simplen Zahl ablesen. Rund 4000 Cyberattacken registrieren aktuell die IT-Experten des Hauses nach eigenen Angaben - pro Tag. 

Zu dem Sicherheitspaket gehören laut Telekom Abwehrmaßnahmen, wie sie sonst von Großkonzernen bekannt sind. Es ist modular und sichert die bei Hackern beliebtesten Einfallstore ab, etwa Server, Arbeitsplätze, E-Mail, Netzwerke und die Zugänge zum Internet. Zusätzlich werden die Betriebstechnik (Operational Technology, OT) und der sehr große medizinische Gerätepark geschützt, inklusive deren Kommunikation untereinander.„Im Klinik-Umfeld treffen Hacker auf eine heterogene Landschaft unterschiedlichster Systeme. IT und OT gleichermaßen im Blick zu behalten ist da der Schlüssel zu mehr Sicherheit“, sagt Thomas Tschersich, CEO der Deutsche Telekom Security GmbH.

Herausforderung für IT-Abteilung

Die gleichzeitige Verbindung von digitaler Prozessentwicklung und Berücksichtigung von strengen Sicherheitsanforderungen ist auch eine anspruchsvolle Aufgabe für Dieter Padberg und sein Team. Padberg ist Leiter der IT am UKB und steht vor der Herausforderung, sich eigentlich widersprechende Anforderungen unter einen Hut zu bringen.

Man muss Security immer gegen die Usability für die Nutzer im Krankenhaus abwägen.

Das ist zum einen die Sicherheitsfrage, die angesichts zunehmender Hackerangriffe auch auf Krankenhäuser und andere kritische Infrastruktur an Bedeutung bekommt. „Man muss Security immer gegen die Usability für die Nutzer im Krankenhaus abwägen. Sie können ein System sehr sicher machen, aber dann ist es nicht mehr anwendbar“, sagt der IT-Experte.

Dieser Grundsatz der Nutzerfreundlichkeit für Patienten und Personal spielt eine wichtige Rolle im Konzept der digitalen Patient Journey des Hauses. Das beginnt schon vor dem Eintreffen des Patienten in der Uniklinik. Mittels einer App kann jeder Patient sich beim UKB registrieren und einchecken. Über die App können Patienten auch wichtige Daten für die Behandlung senden. „Bevor der Patient überhaupt zu uns kommt, liegen seine Informationen den behandelnden Ärzten hier vor. Diese können ihn screenen und sich vorab ein Bild machen“, erläutert Ulrike Attenberger. Parallel dazu läuft digital längst die Betten- und Operationsplanung an. 

Fahrerlose Autos chauffieren Patienten

Der Patient profitiert auch von Hilfen bei vermeintlich banalen Dingen, etwas dem Parken am Uniklinikum. „Bevor Patienten- und Patientinnen hier auf den Venusberg fahren, bekommen sie digital einen Parkplatz zugeteilt. Das hört sich lächerlich an, ist aber bei 8800 Mitarbeitern und vielen Patienten hier jeden Tag ein riesiges logistisches Problem“, sagt die Projektchefin. Von dort werden die Betroffenen von dem fahrerlosen Auto abgeholt, was sie auf dem großen Klinikgelände zu den einzelnen Gebäuden bringt, QR-Code gesteuert. Die stummen Chauffeure sind in der Pilotphase und teilweise bereits im Einsatz. 

Es ist daher eine unserer wichtigen Aufgaben, es für unsere Patienten so leicht wie möglich zu machen.

Aus Sicht von UKB-Vorstandschef Prof. Wolfgang Holzgreve wird der Aspekt der stressarmen Aufnahme von vielen Krankenhäusern und Ärzten unterschätzt. „Wenn unsere fast 500 000 Patienten hier ankommen, haben fast alle mehr oder weniger Angst bzw. Stress. Sie haben am UKB mit unserem zweithöchsten Case Mix Index in der Regel schwere Diagnosen und komplexe Erkrankungen, häufig mit Multimorbidät. Es ist daher eine unserer wichtigen Aufgaben, es für sie so leicht wie möglich zu machen“, sagt der Ärztliche Direktor. Um das zu erreichen, würden isolierte digitale Anwendungen nicht ausreichen, wichtig sei die gesamte digitale Kette und diese perfekt aufeinander abzustimmen, so der Mediziner.

Kliniksteuerung über Command Center

Die durchgehende Digitalisierung betrifft auch Logistik- und Managementprozesse. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut wollen die Bonner eine KI-gesteuerte Prozess-Steuerung umsetzen, etwa beim Einsatz von Großgeräten, bei der Einsatzplanung des Personals und vieles mehr. Zudem werden laut UKB-Chef Holzgreve die Bonner die erste deutsche Uniklinik sein, die eine zentralisierte Kliniksteuerung über alle Bereiche mittels zentraler Steuereinheiten (Command Center) anbieten. Damit kann ein intelligentes Bettenmanagement implementiert werden. „Das ist absolut zentral für ein Haus wie unseres“, so Holzgreve. Eine entsprechendes Beschaffungsprojekt steht kurz vor dem Abschluss.

Was uns vorschwebt, ist ein strukturiertes Data Repository, wo alle Daten, die am UKW im Behandlungszusammenhang erhoben werden, eingehen.

Herzstück für die medizinische Versorgung im aktuellen Projekt ist für Ulrike Attenberger der sogenannte Data Lake, an dem derzeit mit Hochdruck gearbeitet wird. „Was uns vorschwebt, ist ein strukturiertes Data Repository, wo alle Daten, die am UKW im Behandlungszusammenhang erhoben werden, eingehen“, sagt die Ärztin. Damit würde die Grundlage geschaffen, KI-basierte Modelle auf Grundlage dieser Daten aufzubauen. Außerdem sei der übergreifende Datenschatz „auch ein Thema für unsere eigene Qualitätssicherung.“

Innovative Secure Medical Campus UK Bonn
Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Radiologin Ulrike Attenberger testet gemeinsam mit Philipp Feodorovici, Assistenzarzt in der chirurgischen Klinik, die neuen VR-Brillen.

Grundsätzliches Ziel sei, die Prädikation in Zukunft deutlich zu verbessern, also genaue Voraussagen auf personalisierter Ebene treffen zu können. „Um diesen großen Anspruch erfüllen zu können und überhaupt auch mal in die wissenschaftliche Testung zu kommen, muss die Dateninfrastruktur stehen. Und es erfordert ebenso ein Data Repository, wo diese Daten alle so reingehen, dass sie dann auch verarbeitet werden können“, schildert die Projektchefin. Damit die Daten aus dem Datensee dann auch tatsächlich ganzheitlich über alle Abteilungen und Stationen analysiert und besprochen werden können, entwickeln die Bonner darüber hinaus ein sogenanntes Patienten Dashboard, das bis Projektabschluss fertig sein soll. 

Ich glaube, dass unser Ansatz, lieber zu machen als viel drüber zu reden, der richtige ist.

Auch wenn das UKB nicht alle geplanten Digitalisierungsschritte bis zum Ende des Projektes umgesetzt bekommen wird, wird das das Haus nach eigener Einschätzung einen riesigen Schritt hin zu einer durchgehend digitalisierten und gleichzeitig sicheren Uniklinik vorankommen. Für UKB-Chef Wolfgang Holzgreve sind die bisherigen Ergebnisse auch eine Bestätigung für das Vorgehen des Hauses: „Beim Thema Digitalisierung fällt mir immer auch, dass das viele verbal sehr stark unterwegs sind. Wenn man dann prüft, was tatsächlich vorhanden ist, ist es häufig viel weniger. Ich glaube, dass unser Ansatz, lieber zu machen als viel drüber zu reden, der richtige ist.“

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