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KommentarWo kein Wettbewerb, da keine Innovation

Sie kommt! Endlich! 2021, nach nur knapp 16 Jahren Diskussion, wird die elektronische Patientenakte (ePA) in Deutschland eingeführt. Was eigentlich Grund zur Freude für eine ganze Industrie sein sollte, ist in der Realität ernüchternd: Zu viele Beschränkungen, zu wenig Wettbewerb, kaum Innovationspotenzial.

Admir Kulin
m.Doc GmbH
Admir Kulin, Gründer und Geschäftsführer der m.Doc Gmbh, Anbieter für innovative digitale Gesundheitslösungen.

Ich habe die Frage schon einmal in einer der vorherigen Kolumnen gestellt – damals im Zusammenhang mit dem Vorpreschen von Amazon auf den Gesundheitsmarkt: Haben wir in Europa tatsächlich verstanden, wie Digitalisierung und datengetriebene Geschäftsmodelle funktionieren? Schon damals war die Antwort leider eindeutig und wenn es daran auch nur einen letzten Zweifel gab, hat unser Bundesgesundheitsministerium diesen nun zerstreut. Denn die Rahmenbedingungen der elektronischen Patientenakte (ePA), die nun nach rund 16 Jahren im kommenden Jahr Wirklichkeit werden sollen, widersprechen jedem Grundsatz, dem ein digitales Geschäftsmodell folgt.

Zunächst aber das lobenswerte: Natürlich ist die elektronische Patientenakte ein extrem wichtiger Schritt für die digitale Zukunft unseres Gesundheitswesens. Und natürlich ist es genauso wichtig, bei den sensiblen Daten, die alle Daten rund um unsere Gesundheit nun einmal sind, ein hohes Maß an Datenschutz und -sicherheit anzusetzen. Deshalb jedoch keinen Wettbewerb aus der Industrie zuzulassen oder freiwillige Datenspenden nicht breit der Forschung und Entwicklung zugänglich zu machen, grenzt an Protektionismus, der kaum noch an eine freie Marktwirtschaft erinnert.

Zwei zentrale Kritikpunkte

Wo genau kann das neue Patientendatenschutzgesetz (PDSG) kritisiert werden, das die Einführung der elektronische Patientenakte regelt?

Kritikpunkt 1: Durch Änderungen am Gesetzesentwurf wird externer Wettbewerb bei der ePA praktisch ausgeschlossen. Nur gesetzliche und private Krankenkassen dürfen eine durch die gematik zertifizierte Akte anbieten. Begründet wird dies mit den hohen Standards an Datenschutz und -sicherheit, die nur von den Kassen oder staatlichen Institutionen gewährleistet werden können – was bei genauer Betrachtung nicht haltbar ist. Jedes private Unternehmen, das einer Zertifizierung durch die gematik standhält, würde automatisch auch den hohen Sicherheitsansprüchen genügen. Vielmehr muss hier die Frage erlaubt sein, wer wohl beim Thema Datenschutz und -sicherheit besser aufgestellt ist, ein Digital Healthcare Unternehmen oder eine Krankenkasse – egal ob gesetzlich oder privat?

Kritikpunkt 2: Ebenfalls „last minute“ hat sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) das Recht gesichert, künftig Softwarelösungen im Wettbewerb selbst entwickeln zu können. Das ist insofern verwunderlich, weil die KBV a.) eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts ist und b.) gleichzeitig die Produkte der Industrie zertifiziert. Ohne hier etwas unterstellen zu wollen: Ein Interessenskonflikt bei dieser Gemengelage ist schlicht nicht auszuschließen.

Abschottung bedeutet immer Rückschritt

Ich glaube fest an die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens und die ist – daran führt kein Weg vorbei – nun einmal digital. Die Floskel ist zwar etwas abgedroschen, aber in einer digitalen Welt sind Daten das neue Öl – allerdings mit einem gravierenden Unterschied. Beim Öl hat derjenige das große Los gezogen, derauf dem größten Vorkommen sitzt. Bei Daten komm es hingegen darauf an, was man mit ihnen macht, respektive wie man sie nutzt. Das heißt konkret: Es gibt nicht die eine Art und Weise, wie man Daten verwenden kann, und anschließend verlieren sie ihren Wert. Das Gegenteil ist der Fall. Daher kann eine digitale Wirtschaft vor allem auch dann in ihrer ganzen Vielfalt erblühen, wenn Daten offen zugänglich sind.

Es gibt jedoch auch eine Parallele zum Öl und es ist extrem wichtig diese zu betonen: Gesundheitsdaten sind absolut sensibel. Ich möchte mit meinem Appell in keinem Fall dafür plädieren, das jeder die komplette Bandbreite seiner Gesundheitsdaten möglichst vielen Unternehmen zur Verfügung steht. Im Gegenteil! Es ist gut, wichtig und richtig, dass bestimmte Informationen privat bleiben. Was passiert, wenn man ein Vorkommen komplett ausbeutet, zeigt uns die Geschichte des Öls ja eindrucksvoll. Es geht mir in diesem Fall um den Teil der in der ePA gespeicherten Informationen, die Patienten freiwillig spenden. Sie gilt es gezielt zu nutzen – absolut transparent, versteht sich. Jeder, der mit diesen Daten arbeiten will, muss das offen kenntlich machen. Nur so lässt sich Vertrauen schaffen, ohne das wir gerade im Gesundheitswesen nicht weiterkommen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass sich selbst aus wenigen oder scheinbar unwichtigen Daten wichtig Informationen herausfiltern lassen, die einen großen Beitrag leisten können.

Gesundheit und das Wetter

Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Wetterdaten sind frei zugänglich und haben im ersten Moment nichts mit dem Gesundheitswesen zu tun. Wenn sich bei der Auswertung jedoch zeigt, dass bei einem Tiefdruckgebiet die Anzahl der Patienten mit Kreislaufzusammenbrüchen in den Notaufnahmen zunimmt, lässt sich daraus mindestens eine effizientere Nutzung von Ressourcen ableiten, im Idealfall sogar ein Geschäftsmodell. Und das ist genau das, was branchenfremde Unternehmen wie die US-Tech-Riesen Amazon, Alphabet oder Apple tun: Sie nutzen ihre bereits vorhanden Kundendaten, ziehen daraus Rückschlüsse auf unsere Gesundheit und entwickeln auf dieser Basis Dienstleistungen. Ja sogar Kooperationen zwischen Konkurrenten wie Google und Apple, die bisher undenkbar erschienen, sind plötzlich möglich – dann nämlich, wenn der Nutzen der Zusammenarbeit plötzlich größer wird.

Und genau das ist die Idee, die wir bei der elektronischen Patientenakte verfolgen sollten. Mehrwert schaffen, statt abschotten und ausschließen. Kooperationen fördern, die besten Ideen gewinnen lassen und gemeinsam das Optimum aus den vorhandenen, freiwillig zur Verfügung gestellten Daten machen – vielleicht auch auf eine Art und Weise, an die die Akteure, denen der Zugang gewährt wird, gar nicht kommen.

Denn wo es keinen Wettbewerb gibt, werden auch keine Innovationen entstehen können. Das ist eine Tatsache. Die ePA könnte damit nicht der erste Schritt in Richtung eines digitalen Gesundheitswesens sein, sondern zum Bremsklotz für eine Branche werden, die in Deutschland schon viele spannende und vor allem innovative Lösungen entwickelt hat. Diese Lösungen zahlen schon heute auf unsere Gesundheit ein, entlasten Ärzte und medizinische Personal und erhöhen qualitativ den Grad der Versorgung. Und genau deshalb schreit die Digital Health Branche aktuell auf – zu Recht, wie ich als Unternehmer und Bürger finde.

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