Die Bilder von Menschen auf der Flucht im Herbst 2015 haben alle noch in Erinnerung. Für Georg Romer, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie am Universitätsklinikum Münster (UKM) ahnte schon damals, dass unter den Neuankömmlingen in Deutschland viele sein würden, die in Zukunft der therapeutischen Unterstützung bedürfen könnten. Und so entstand am UKM die Idee einer psychotherapeutischen Erstversorgung von traumatisierten Flüchtlingskindern.
Seit dem 1. August steht die Spezialsprechstunde am UKM nun Flüchtlingen offen. Bis zu zehn therapeutische Sitzungen bietet die Ambulanz an. Familienmitglieder oder – bei unbegleiteten Flüchtlingen – Betreuer werden in die Therapie miteinbezogen. Sollte darüber hinaus weiterer Bedarf bestehen, überweist die Klinik an niedergelassene Kollegen oder Einrichtungen der Jugendhilfe. „Den Zustrom von Patienten, den wir erwarten, werden wir nur mit vereinten Kräften aller stemmen“, glaubt Möller.
Erfahrungen mit einer solchen Spezialsprechstunde hatten Romer und seine Projektleiterin Birgit Möller schon am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sammeln können, wo Möller zur Zeit der Balkankrise 1992 die bundesweit erste Flüchtlingsambulanz an einer Universitätsklinik mitaufbaute. „Erfahrungsgemäß entwickeln viele Kinder und Jugendliche oft erst rund zwei Jahre nach der Flucht ein auffälliges Verhalten“, so Romer. „Viele müssen erst wieder Boden unter den Füßen gewinnen. Erst wenn das nackte Überleben gesichert ist, kann die Seele es sich leisten, mit Symptomen auf die unbewältigte innere Not aufmerksam zu machen.“
In der Folge können Ängste, depressive Verstimmungen oder Albträume die Kinder quälen: „Schlimmstenfalls entsteht bei einer unbehandelten Traumatisierung eines Kindes durch Krieg, Flucht und Verfolgung eine dauerhafte Zerstörung des Vertrauens in das Gute einer von Erwachsenen gestalteten Welt“, weiß Romer. Die erfahrene Hilflosigkeit führe zudem oft zu Sprachlosigkeit in den Familien. „Hier gilt es, therapeutisch anzusetzen“, so die Psychologin Möller. „Gespräche über das Erlebte können erstaunliche Selbstheilungskräfte mobilisieren.“
Eines ist beiden noch wichtig: In der öffentlichen Wahrnehmung würde das Trauma der Schutzsuchenden häufig mit deren höheren Gewaltpotenzial und sogar Terrorbereitschaft assoziiert. Dieser Rückschluss sei schlicht falsch. „Diese Menschen sind vor Terror und Gewalt geflohen.“ Durch psychotherapeutische Unterstützung könne es Betroffenen stattdessen sogar eher gelingen, einen Umgang mit Wut und Hass sowie die Bereitschaft, sich mit den Tätern auseinanderzusetzen, zu entwickeln. Romer stellt klar: „Das Angebot der Flüchtlingsambulanz ist nicht dazu da, Jugendliche, die für gewaltverherrlichende Ideologien anfällig werden könnten, herauszufiltern. Wir können aber sehr wohl einen Beitrag leisten, der Gewaltbereitschaft allgemein vorzubeugen.“


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