
Das RKI hat gerade den Beginn der vierten Welle ausgerufen. Bemerken Sie das bereits?
Wir machen uns Sorgen um die vierte Welle. Bislang hatten wir mehr als 2500 stationäre Covid-19-Patienten. Von diesen sind bei uns 400 am oder im Zusammenhang mit dem Virus verstorben. Wie die Zahlen zeigen, waren wir als Universitätsklinik durch das bisherige Infektionsgeschehen schon sehr belastet. Aktuell erleben wir den Beginn der vierten Welle, die uns früher als vor einem Jahr ereilt. Das wird vor allem auch seitens des Pflegepersonals als sehr besorgniserregend wahrgenommen.
Auf was stellen Sie sich ein? Mit was rechnen Sie für den Winter?
Wir fragen uns, wie die vierte Welle vor dem Hintergrund des großen Impffortschrittes ablaufen wird. Bereits Anfang September hatten wir schon wieder 40 Patienten, davon knapp die Hälfte auf den Intensivstationen. Über die Sommermonate lagen wir noch bei vier bis sechs Patienten, bis die Belegung Mitte August deutlich zunahm. Dieser rasche Anstieg hat uns und vor allem die im Infektionsbereich Beschäftigten sehr bewegt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir in der stationären Krankenversorgung über die Herbst- und Wintermonate durch die Pandemiefolgen wieder deutlich belastet werden.
Sie sprachen den Impffortschritt an. Bislang hofft die Politik, dass dadurch die Anzahl der Patienten auf den Intensivstationen nicht mehr so hoch ausfallen dürfte wie im vergangenen Winter. Teilen Sie diese Einschätzung?
Es ist unbestritten, dass die Impfung sehr viel Gutes bewirkt hat und bewirken wird. Ohne sie wären wir viel weiter zurück. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass längst nicht alle geimpft sind, selbst in den Risikogruppen. Auch wenn das in der absoluten Bevölkerungszahl „nur noch“ wenige Millionen Ungeimpfter wären, sind es ja trotzdem solche Bürgerinnen und Bürger, die Gefahr laufen, sich jetzt zu infizieren - mit all den gesundheitlichen Folgen. Wenn zum Beispiel im Ruhrgebiet einige Hundert schwer erkranken, kommen diese natürlich für uns spürbar in der Klinik an. Diese deutlich geschrumpfte, aber immer noch zu große Gruppe wird die Krankenhäuser erneut belasten und die Regelversorgung all derjenigen, die von anderen Erkrankungen betroffen sind, stören.
Die Frage ist doch, wird die Belastung die Kliniken wieder an ihre Belastungsgrenzen bringen? Genau das bezweifeln viele. Wiegen wir uns in einer falschen Sicherheit?
Mir liegt überhaupt nichts dran, mich in die Gruppe der Alarmisten einzuordnen. Nicht die Belastungsgrenze ist die Frage. Es geht zunächst einmal um zusätzlich Schwersterkrankte, von denen wieder eine Reihe versterben werden. Es geht um die seit Monaten ermüdeten Mitarbeitenden in unseren Infektions- und Intensivbereichen. Bei uns sind jetzt zwei Drittel der Covid-19-Patienten jünger als 50 Jahre. Von den Normalstationen werden sie relativ schnell entlassen. Müssen sie jedoch intensivmedizinisch versorgt werden, verweilen manche von ihnen in diesen Bereichen lange, weil sie eben eine bessere Ausgangskonstitution haben als zum Beispiel die Patienten der ersten Welle. Hinzu kommen Immunsupprimierte und natürlich die nicht nur älteren Ungeimpften, unvollständig Geimpften und vereinzelt auch Geimpften. Wenn ich das alles zusammenzähle, erwarte ich eine belastende vierte Welle für die Universitätsmedizin Essen.
Inwieweit haben Sie in Essen seit dem Abflauen der dritten Welle den Stau an Operationen und Behandlungen, die wegen Corona verschoben werden mussten, abbauen können?
Wir sind hier seit wenigen Monaten wieder im Vollbetrieb, der allerdings im Sommer oftmals weniger ausgelastet ist als im Herbst. Grund hierfür ist, dass es immer auch verschiebbare Operationen gibt, die manche Patienten nach ihrem Urlaub durchführen möchten. Also verschieben sich einige Eingriffe in den Herbst und Winter. Nun ist zu hoffen, dass wir dann keine Pandemie-bedingten Engpässe erleben müssen.
Welche Lehren hat Ihr Haus aus dem bisherigen Verlauf der Pandemie gezogen?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, schließlich war und ist es ein kontinuierlicher Lernprozess. In der ersten Phase hatten wir einen Teil des Klinikums geschlossen, um freie Betten für eine nicht abzuschätzende mögliche Anzahl von Covid-Patienten vorzuhalten. Wir haben dann in der zweiten und dritten Welle schnell umgeschwenkt und uns auf einen eingeschränkten Normalbetrieb umgestellt. Außerdem sind wir an der Universitätsmedizin Essen in der glücklichen Lage, noch mehrere Außenstandorte zu haben, wohin wir Patienten verlegen konnten. Ferner haben wir unser Bettenmonitoring samt verschiedener Eskalationskonzepte permanent weiterentwickelt. Alle diese Dinge haben uns definitiv weiter nach vorne gebracht. Und ganz wichtig: Trotz Pandemie haben wir unsere Weiterentwicklung zum Smart Hospital nicht gestoppt.
Wie hat die Pandemie die Zusammenarbeit der Professionen beeinflusst?
Die Pandemie hat den Prozess beschleunigt, die Mauern zwischen den einzelnen Disziplinen im Haus abzubauen. Das Miteinander im Unternehmen wurde gestärkt. Ohne Pandemie wäre das nicht so gut und so schnell der Fall gewesen. Dennoch bleibt hier noch einiges an Arbeit zu tun. Teambildung, Führungsverhalten sowie der respektvolle und wertschätzende Umgang aller im Unternehmen Beschäftigten ist und bleibt eines unserer größten Aufgabenfelder.
Gibt es weitere Prozesse, die sie aufgrund der Pandemieerfahrungen angepasst haben?
Ja. Nehmen wir das Thema Besucher. Lange haben wir keine Besuche im Klinikum zugelassen. Dennoch waren wir darauf angewiesen, dass die Kommunikation zwischen Patienten und Angehörigen erfolgt. Das hatte zur Folge, dass Pflegekräfte zusätzlich die Aufgabe als Mittler zwischen Patienten und Angehörigen bekamen und nicht selten dadurch zusätzlich belastet worden. Wir haben auch unsere Kooperationen mit der Stadt und einigen Krankenhäusern weiterentwickelt. Mit der Pandemie haben wir schneller gelernt, viele Prozesse schneller anzupassen und diese sicherlich nicht nur unter aber auch dem Aspekt der Krankenhaushygiene zu denken, bis hin zur Größe und Struktur des Raumes, in dem der Mensch nun warten darf oder eben nicht. Corona zwingt einen permanent, Abläufe zu hinterfragen, aus Sicht der Patienten, Angehörigen und Mitarbeitenden.
Ihr Personal auf den Covid-19-Stationen steht mit Ausnahmen von wenigen Pausen seit anderthalb Jahren am Anschlag. Wie haben Sie auf diese Dauerbelastung reagiert?
Wir haben durch Adjustierung der Belegung in bestimmten Bereichen versucht einen Ausgleich zu finden. Bei einigen Elektivbehandlungen haben wir den Betrieb extrem heruntergefahren, um die Beschäftigten in den überbelasteten Bereichen indirekt etwas zu entlasten. In allen anderen Bereichen, wo lebensgefährlich erkrankte Patienten behandelt werden, können wir als Uniklinikum keine Abstriche machen. So haben wir Mitarbeitenden in den Covid-19 Patienten versorgenden Intensivbereichen ermöglicht, für einige Zeit in andere Bereiche zu wechseln, um sich „ein wenig zu entlasten“. Wir haben den Anteil an Zeitarbeitskräften erhöht, sofern diese eine ausreichende Qualifikation für die geforderten Tätigkeiten hatten. Leider aber wirkt auch solch eine Maßnahme nur begrenzt. Die ganz großen Veränderungen kann man in solchen Phasen nicht erreichen, wohl aber die Unterstützung einzelner Themen, wozu natürlich auch psychologische Unterstützungen gehören.
Ist Ihr Personal inzwischen nicht auch ermüdet vom Kampf gegen Covid-19?
Natürlich setzt mittlerweile eine Ermüdung ein. In der ersten Welle war die Bereitschaft zur Tätigkeit im Covid-Bereich sehr hoch, bei der zweiten und dritten Welle war die Erfahrung da. Die hohe Anzahl an ECMO-Versorgungen uferte jedoch aus, teilweise war die Belastung grenzwertig. Bei der vierten Welle erahnen schon alle, was jetzt kommt und da braucht es schon erheblicher Motivation, sich dieser Aufgabe mit aller Kraft zu widmen.
Ihr Haus ist auf dem Weg zum Smart Hospital. Wie sehr profitieren Sie in der laufenden Pandemie von der Digitalisierung in ihrem Haus?
Schon sehr. Wir haben 2018 die elektronische Patientenakte (ePA) eingeführt. Wenn uns die Pandemie 2015 erwischt hätte, wären die Probleme größer gewesen. Die Orientierung bei Suchvorgängen verlief zum Beispiel viel einfacher, wir konnten zudem schneller reagieren und sagen, wir markieren bestimmte Patienten, damit wir wissen, wo wir wen mit wem zusammenlegen können. Das elektronisch basierte Management der ePA hilft uns auch beim Bestellsystem oder Terminbuchungssystem. Das ist ein Vorteil für uns gewesen.
Vor der Smart Hospital-Initiative hatten wir keine zentrale Notaufnahme. In der Pandemie hat die neue, digitalbasierte Notaufnahme vieles abgepuffert. Ebenso stand unsere Lungenfachklinik vor unserer Digitalisierungsinitiative quasi wie auf einer Insel, angeschlossen über ein Faxgerät. Sie hat durch die Covid-19-Pandemie eine ganz andere Bedeutung bekommen, ist inzwischen ein weiterer wichtiger Standort zur Behandlung von Covid-19-Patienten geworden. Ohne die vollständige digitale Integration der Lungenfachklinik 2019 wäre die Abstimmung zwischen beiden Standorten viel chaotischer gewesen.





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