
Im Zuge der Krankenhausreform hat das Klinikum Chemnitz die Federführung bei der Gesundheitsversorgungsplanung in Südwestsachsen in der Hand. Ziel ist eine träger- und sektorenübergreifende Kooperation inklusive telemedizinischer Vernetzung und unter Einbeziehung der Leistungsgruppen. 19 Kliniken in der Region beteiligen sich an dem Modellprojekt. Die Geschäftsführer Martin Jonas und Prof. Dr. Martin Wolz sowie die Leiterin der Geschäftsstelle der Gesundheitsregion, Henriette Auerswald, erläutern im Interview mit kma das Konzept.
Das Klinikum Chemnitz ist die Koordinierungsstelle der neuen Gesundheitsregion. Wo fängt man da an?
Martin Jonas: Wir alle sind immer noch mit der Unplanbarkeit und der noch nicht finalen Ausgestaltung der Krankenhausreform konfrontiert, wissen also noch nicht wirklich, was auf uns zukommt. Aber wir können natürlich erahnen, was die Rahmenbedingungen sind und welche Eckpunkte wesentlich werden. Das leitet uns auch bei unseren Themen im Klinikum Chemnitz, die wir in den vergangenen Monaten schon vorangetrieben haben, und führt dann zwangsläufig zur Gesundheitsregion.
Prof. Dr. Martin Wolz: Wir verfolgen eine Strategie, die die Versorgungssituation der Patienten betrachtet: Wie schaffen wir es jetzt und langfristig, mit allen Schwierigkeiten wie dem Fachkräftemangel, der demografischen Entwicklung und den Herausforderungen im ländlichen Raum die medizinische Versorgung zu sichern. Als größtes Haus in der Region haben wir die koordinierende Rolle übernommen, arbeiten jedoch mit den anderen Gesundheitsanbietern auf Augenhöhe. Entstanden ist die Idee für die Gesundheitsregion Südwestsachsen nach den guten Erfahrungen, die wir als Corona-Leitstelle gemacht haben. Wir haben dann überlegt, wie man mit den Anforderungen der Krankenhausreform die Strukturen für die regionale Versorgung adaptieren kann. Das war die Geburtsstunde der Gesundheitsregion Südwestsachsen.
Henriette Auerswald: Im ersten Schritt haben wir alle Kliniken in der Region zu einem Videocall eingeladen, um gemeinsam zu erörtern, wie wir die künftigen Herausforderungen bewältigen können. Dabei ging es im Wesentlichen um Koordinierungs- und Vernetzungsaufgaben, um Zentralisierung, Spezialisierung und sektorenübergreifende Versorgung. Auch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen sowie Fragen zur Aus- und Weiterbildung wurden thematisiert. Anschließend haben wir die Initiative Gesundheitsregion Südwestsachsen, unter anderem beim Sächsischen Krankenhaustag präsentiert. Zusammen mit der größten Krankenkasse in Sachsen haben wir zentrale Ziele und Handlungsfelder für die Gesundheitsregion definiert. Im Mittelpunkt stand und steht die Frage, wie Patienten auch in Zukunft wohnortnah versorgt werden können. Seit August wird das Modellvorhaben mit 1,5 Millionen Euro vom Freistaat Sachsen gefördert. Neben den 19 Kliniken beteiligen sich Kostenträger, die Krankenhausgesellschaft Sachsen, die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen und die Sächsische Landesärztekammer an dem Projekt.
Das Klinikum Chemnitz ist zwar der größte Maximalversorger Sachsens. Aber wir haben nicht alle Fachabteilungen.
Wie stellt sich die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken dar?
Jonas: Alle Kliniken stehen vor der Frage, wie die flächendeckende Versorgung in Südwestsachsen sichergestellt werden kann. Das Klinikum Chemnitz ist zwar der größte Maximalversorger Sachsens. Aber wir haben nicht alle Fachabteilungen und brauchen zwingend die beteiligten Krankenhäuser in der Fläche, um die Versorgung sicherzustellen. Zugleich sind wir das einzige Klinikum in der Region, das mit Stand jetzt die Vernetzungs- und Kooperationsrolle übernehmen kann. Diese Rolle war im ursprünglichen Entwurf der Krankenhausreform allein den Universitätskliniken vorbehalten. Für die Region Südwestsachsen wäre das aber von den Universitätskliniken Leipzig und Dresden nicht leistbar. Zudem hatten zum Zeitpunkt des ersten Entwurfs die Arbeiten zur Gesundheitsregion Südwestsachsen schon begonnen. Das haben wir gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium verdeutlicht. Der Gesetzentwurf zur Krankenhausreform wurde dann dahingehend geändert, dass auch Krankenhäuser der Level-3-Stufe diese Koordinierungsaufgaben übernehmen können.
Partner der Gesundheitsregion Südwestsachsen
Klinikträger: Diakomed – Diakoniekrankenhaus Chemnitzer Land, DRK Gemeinnützige Krankenhaus GmbH Sachsen, DRK Krankenhaus Lichtenstein, Erzgebirgsklinikum, Fachkrankenhaus Bethanien Hochweitzschen, Helios Klinikum Aue, Helios Vogtland-Klinikum Plauen, Klinikum Chemnitz, Kliniken Erlabrunn, Klinikum Obergöltzsch Rodewisch, Landkreis Mittweida Krankenhaus, Paracelsus-Kliniken Adorf/Schöneck, Pleißental-Klinik GmbH, Rudolf Virchow Klinikum Glauchau, Bethanien Krankenhaus Chemnitz
Kostenträger: AOK Plus, Barmer, Bundesknappschaft, Techniker Krankenkasse und DAK
Weitere Partner: Krankenhausgesellschaft Sachsen, Kassenärztliche Vereinigung Sachsen, Sächsische Landesärztekammer
Wie soll die Gesundheitsregion telemedizinisch vernetzt werden?
Wolz: Es gibt in Sachsen und somit auch in unserer Region bereits eine Reihe etablierter Systeme. So werden im Bereich der Landesdirektionen Leipzig, Dresden und Chemnitz seit vielen Jahren telemedizinische Schlaganfall-Netzwerke betrieben. Diese wurden zuletzt miteinander verbunden und nutzen nun die gleiche Technik und eine gemeinsame Infrastruktur. Ein weiteres Beispiel ist das Herzinfarkt-Netzwerk Chemnitz-Erzgebirge. In der teleradiologischen Versorgung sind wir zudem in der Umsetzung mit kleineren Krankenhäusern, die es nicht mehr schaffen, ihre Radiologie selbst zu betreiben. Die Versorgung übernehmen wir teilweise komplett oder im Dienst. In der Telepathologie gibt es ebenfalls Kooperationen mit einzelnen Häusern. In den Bereichen Onkologie und Traumatologie betreiben wir mit dem Heinrich-Braun-Klinikum Zwickau übergeordnete Zentren, die perspektivisch, telemedizinisch verbunden, gemeinsam arbeiten werden. Als zertifiziertes Lungenkrebszentrum ist das Klinikum Chemnitz mit anderen Kliniken der Region zum mitteldeutschen Lungenzentrum zusammengeschlossen. In der Entstehung ist auch ein Wundzentrum, um die entsprechende Expertise in die Fläche zu bringen.
Welche Rolle übernimmt das Klinikum bei Großschadenslagen?
Jonas: Als überregionales Traumazentrum sind wir gemeinsam mit dem Heinrich-Braun-Klinikum in Zwickau im sächsischen Krankenhausplan etabliert. Für Großschadenslagen wie Unfälle mit zahlreichen Verletzten, Blackouts, Kriegs- oder pandemische Situationen müssen beide Häuser eine ausreichende Versorgung rund um die Uhr sicherstellen können.
Warum wird am Standort Chemnitz eine Forschungsdatenbank aufgebaut?
Wolz: Es ist sehr wichtig, dass wir im Rahmen des Projektes MiHUBx das Datenintegrationszentrum in Chemnitz aufbauen. Aber genauso wichtig ist, dass wir ab 2026 damit in die Fläche gehen. Es werden dann die Forschungsdaten auch der Partnerkliniken gesammelt, die in der nächsten Ausbaustufe für Forschung, Diagnostik und Therapie und für die Gesundheitsregion genutzt werden können. Mit der ersten Anwendung arbeiten wir im Bereich der Augenheilkunde, um Lösungen zur Erkennung und Behandlung von diabetischen Augenerkrankungen zu entwickeln. Damit wollen wir bessere Diagnose- und Therapieoptionen für Patienten finden und den Zeitaufwand in der ärztlichen Versorgung reduzieren.
Vor welchen besonderen Herausforderungen steht die Region Südwestsachsen?
Jonas: Der demographische Faktor ist bei uns ganz klar stärker ausgeprägt als in anderen Bundesländern. In der Kombination mit dem ländlichen Raum und dem Fachkräftemangel stehen wir vor der Herausforderung, das Wenige, das wir haben, bündeln zu müssen, um möglichst viel Kompetenz in die Fläche zu bringen. Das gilt auch für den ambulanten Bereich. Das ist ein ganz schwieriger Punkt. Deswegen gibt es hier Landarzt- und Hausarztprogramme und Förderungen, die vom Freistaat und von der Sächsischen Landesärztekammer initiiert sind, um dieses Problems Herr zu werden. Modellprojekte wie das Medizinstudium MEDiC wurden am Klinikum Chemnitz etabliert, damit die Ärzteausbildung nicht nur an den Universitätskliniken in Leipzig und Dresden stattfindet, sondern auch in Chemnitz, in der Hoffnung, dass die jungen Ärztinnen und Ärzte nach dem Studium in der Region bleiben. Auf der Habenseite steht eine sehr gute, flächendeckende Krankenhausstruktur: Da hat das Land Sachsen seine Hausaufgaben in den letzten 20 Jahren bereits gemacht.
Wir stehen vor der Herausforderung, das Wenige, das wir haben, bündeln zu müssen, um möglichst viel Kompetenz in die Fläche zu bringen.
Welche Kooperationsverträge gibt es bereits zwischen den Partnern der Gesundheitsregion?
Auerswald: Wir haben mit zahlreichen Kliniken Kooperationsverträge beispielsweise im onkologischen Bereich, speziell bezogen auf die Expertise unseres Onkologischen Zentrums, das andere Häuser nicht vorhalten. Dazu zählen etwa die Strahlentherapie, die Hämatologie-Onkologie und die Neurochirurgie – Fächer also, die eher bei einem Maximalversorger angesiedelt sind. Für die Kliniken hat es den Vorteil, dass sie im Sinne der Krankenhausreform ihre Strukturvoraussetzungen erfüllen, wenn sie Kooperationen abschließen. Die Anfragen zur Zusammenarbeit nehmen jetzt auch deutlich zu.
Jonas: Es gibt viele weitere Beispiele für Kooperation, etwa beim gemeinsamen Einkauf oder in der Apothekenversorgung. Hier sind wir bilateral mit den Kliniken im Gespräch. Das macht man nicht mit allen Kooperationspartnern, sondern mit denen, die gerade ihren Einkauf neu organisieren, eine Apotheke bauen, ihre Wäscheversorgung anders strukturieren wollen oder überhaupt bei externen Sekundär- und Tertiärdienstleistungen sparen müssen. Wir haben beispielsweise ein eigenes Zentrallager mit einer eigenen Logistik und darüber versorgen wir einen Teil der 19 Kliniken, was den kompletten medizinischen und sonstigen Bedarf anbetrifft. Im Bereich Labor gibt es ähnliche Kooperationen. Die Einzelbeispiele, die in der Vergangenheit schon bestanden haben und jetzt im Zuge dieser Kooperationsbemühungen immer weiter Ausdehnung finden, reichen von der Medizin bis zu den Sekundärbereichen. Die Kooperationen müssen aber nicht zwangsläufig immer nur aus dem Klinikum Chemnitz hervorgehen. Die Zielsetzung in der Region ist zu schauen, welche Kompetenz an welchem Standort vorhanden ist, und ob man sich gegenseitig Dienstleistungen anbieten kann.
Die Klinikum Chemnitz gGmbH
- Kommunaler Maximalversorger mit 25 Kliniken und Instituten
- Bettenzahl: 1735 (Planbetten)
- Fallzahlen 2023: 52 637 vollstationär // ambulante Fälle > 99 000
- Umsatzerlöse: ca. 500 Millionen Euro
- Mitarbeiter: ca. 4500 im Klinikum / ca. 7000 im Konzern (Krankenhaus plus neun Tochtergesellschaften)
Auf welcher Ebene laufen diese Absprachen ab?
Jonas: Es gibt viele Termine bilateral auf Geschäftsführerebene. Aber Themen, wie zum Beispiel die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, betrifft alle 19 Krankenhäuser in der Gesundheitsregion, so dass Werkzeuge und Auswahl der Software gemeinsam entwickelt und genutzt werden können.
Am Klinikum Chemnitz wurde gerade ein Neubau eröffnet. Werden künftig mehr Patienten versorgt?
Wolz: Wir gehen davon aus, dass wir nicht mehr Patienten versorgen, sondern es wird eine andere Verteilung geben. Das schließt den Kreis zum eingangs Gesagten: Wir benötigen auch künftig alle Versorgungsstrukturen für die Gesundheitsversorgung in Südwestsachsen. Aus der Gruppenperspektive gedacht, wird das Klinikum Chemnitz tendenziell eher weniger Patienten behandeln, dafür aber mehr Notfälle und Schwerkranke versorgen. Elemente der Grund- und Regelversorgung, die wir bislang auch abgedeckt haben, werden hingegen perspektivisch im größeren Umfang in den kleineren Krankenhäusern stattfinden.
Was wird in der Gesundheitsregion als nächstes angegangen?
Auerswald: Im Modellvorhaben erproben wir als Pilotprojekt neue Versorgungstrukturen im Bereich der Onkologie. Weitere Arbeitsgruppen befassen sich mit dem Thema Patientenfokussierung, unter anderem am Beispiel der Notfallversorgung in der Region sowie unterversorgten Bereichen wie Dermatologie und Pädiatrie. Hier prüfen wir, wie sich die Partner in der Region unterstützen können. Im Bereich Aus- und Weiterbildung wollen wir Kräfte bündeln und im Bereich Arbeitswelten neue innovative Wege erarbeiten, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir werden gemeinsam mit den Geschäftsführern der Häuser Bürgerdialoge organisieren und auch Landräte dazu einladen, um die Menschen zu informieren, welche Ziele die Gesundheitsregion verfolgt und wie die Gesundheitsversorgung in unserer Region verbessert wird.






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