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DIVI-KongressWarum die Pädiatrie weiterhin defizitär bleibt

Die RSV-Welle hatte Deutschlands Kinderkliniken im vergangenen Jahr fest im Griff. Zeitweise waren fast 40 Prozent der Intensivbetten gesperrt. Was sich in den letzten zwölf Monaten getan hat und warum wir immer noch ein Problem haben.

Kinderarzt
Лилия Дудник/stock.adobe.com
Symbolfoto

Gut ein Jahr ist es her, dass sich die Lage in Deutschlands Kinderkliniken aufgrund von RSV-Infektionen zuspitzte. Fast 40 Prozent der Kinderintensivbetten waren gesperrt, wie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) während des letzten DIVI-Kongresses 2022 mitteilte. Was sich seitdem getan hat, wurde nun während einer Pressekonferenz zum 23. DIVI-Kongress thematisiert. 

Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Volle und zeitgleich zu wenig Betten – so lässt sich die Situation der Kinderkliniken im vergangenen Jahr beschreiben. Kurzfristig und in einer „kleinen Reform“ wurden den Kinderkliniken mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz 300 Millionen Euro pro Jahr mehr zugesichert – für die Jahre 2023 und 2024. Für die einzelne Abteilung bedeutet das jedoch nur einen relativ kleinen Betrag. „Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Prof. Dr. Florian Hoffmann, designierter DIVI-Präsident und Oberarzt am Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München.

Das Geld sei geflossen, jedoch sei die Pädiatrie in den meisten Bereich hoch defizitär. So wurden die Gelder in erster Linie dafür genutzt, das Defizit zu verringern. „Das Geld ist aber nicht wirklich am Kind angekommen“, beschreibt der Mediziner das Problem. Die versprochene Neufinanzierung der Pädiatrie sei in weiter Ferne. „Wir hoffen, dass sich im nächsten Jahr zu Finanzierung der Krankenhäuser etwas positives entwickelt für die Pädiatrie“. 

Weitere Erhebungen zur Bettensituation

Die Zahlen, die im vergangenen Jahr exemplarisch für einen Tag erhoben worden sind, geben nicht die ganze Problematik wieder. Die DIVI setzte die Erhebungen während des gesamten Winters kontinuierlich fort. Zu sieben zufällig gewählten Zeitpunkten wurden alle im DIVI-Intensivverteiler erfassten Intensivstationen mit pädiatrischen Betten zur aktuellen Situation über einen Online-Fragebogen befragt. 

Dr. Ellen Heimberg, stellvertretende Sprecherin der DIVI-Selektion Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin und Oberärztin auf der Pädiatrischen Intensivstation am Universitätsklinikum Tübingen, präsentierte die Ergebnisse. Zwar zeigt sich, dass die Zahl der betreibbaren Betten über den gesamten Winter über stabil geblieben ist – jedoch nicht bei 100 Prozent lag. Im Schnitt waren es 70 Prozent. 

DIVI PK Kinderintensivmedizin
Screenshot/Thieme
Berichteten über die Lage auf den Kinderintensivstationen (v.li.): Prof. Dr. Sebastian Brenner (Vertreter der Pädiater im DIVI-Präsidium und Bereichsleiter der Pädiatrischen Intensivmedizin wie auch Kindernotaufnahme der Unikinderklinik Dresden), Dr. Ellen Heimberg (stellvertretende Sprecherin der DIVI-Sektion Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin und Oberärztin auf der Pädiatrischen Intensivstation am Universitätsklinikum Tübingen), Prof. Dr. Sebastian Brenner (Vertreter der Pädiater im DIVI-Präsidium und Bereichsleiter der Pädiatrischen Intensivmedizin wie auch Kindernotaufnahme der Unikinderklinik Dresden)

Vor allem größere Kliniken hätten größere Probleme: weniger freie Betten, mehr Bettensperrungen und ein höherer Mangel an Pflegepersonal. Dass es in diesen Häusern tendenziell größere Probleme liegt, läge auch am vielfältigen Versorgungsauftrag. Neben akuten Erkrankungen aus dem jeweiligen Versorgungsgebiet kommen beispielsweiße noch chronisch kranke, besonders vulnerable Patienten dazu. Ergänzend kommen noch die Patienten aus peripheren Kliniken hinzu, die etwa aufgrund eines Lungenversagens verlegt werden müssen. 

Personalmangel und Krankheitsausfälle

„Die Ursache für die Bettensperrungen ist ganz klar der Personalmangel“, betont Heimberg. Mehr als 57 Prozent der befragten Kliniken gaben das an, gefolgt von akuten Krankheitsausfällen von Pflegepersonal (38,5 Prozent). 14 Prozent gaben an, dass es wegen Isolationsmaßnahmen von Patienten zu Bettensperrungen gekommen sei. 

Die Bettensperrungen hatten unter anderem zur Folge, dass geplante Operationen abgesagt oder Patienten aus externen Kliniken abgelehnt werden mussten. Zudem sei es aufgrund des Personalmangels zur Verzögerung in der Behandlung von Patienten gekommen. 

Nicht nur die Patienten sind krank, sondern auch das Personal.

Insgesamt zeigt sich, dass es parallel zur Infektionswelle im vergangenen Winter (RSV und Influenza) auch zu Absagen (Operationen, externe Patienten) gekommen ist. „Je mehr Infektionen, desto mehr Absagen“, sagt Heimberg. Gleichzeitig nahmen die Krankheitsfälle beim Personal in der Zeit deutlich zu. „Nicht nur die Patienten sind krank, sondern auch das Personal. Das führt dazu, dass mehr Betten gesperrt werden müssen“, so die Medizinerin. 

Aktuell sehe sie keine RSV-Welle, diese sei wahrscheinlich noch zu erwarten. „Auch wenn wir momentan nicht sehen, dass die Infektionswelle über uns hinwegrollt, die Probleme sind die gleichen“ sagt Heimberg. Stationsleitungen seien permanent damit beschäftigt, Pflegekräfte aus dem frei wieder zu holen, oder Dienste umzuplanen. Man verliere immer mehr Pflegekräfte, weil sie ausgelaugt sind und sich in andere Bereiche begeben. „Davor haben wir Angst. Wenn sich das verschärft, wissen wir nicht, wie wir die Patienten weiter versorgen können.“ 

Ganzjährige Bettenknappheit

„Wenn man sich die Daten ansieht, sieht man, dass der Missstand und die Bettenknappheit ganzjährig vorhanden sind“, sagt Florian Hoffmann. Die Wellen, etwa mit Infektionskrankheiten, würden immer im Winter auftreten. Zwar sei die Ausprägung unterschiedlich, „aber wir wissen, dass sie kommen“.  

Die Missstände im System seien erkannt und es wurde viele Jahre gejammert, Veränderungen würden jedoch Jahre brauchen, bis man sie wirklich am Krankenbett spüre. „Wir haben gemeinsam überlegt: Wie können wir es stemmen?“ Denn klar sei, es liege vor allem am Pflegepersonalmangel. In diesem Zusammenhang kritisiert er auch die generalistische Pflegeausbildung, diese sei jedoch da und werde politisch gehalten. „Wir können nicht sagen, wir brauchen eine bestimmte Zahl an Personal das ganze Jahr, um die Welle zu schaffen. Das wird es nicht geben“, stellte er klar. 

Blick ins Ausland

Man müsse sich also überlegen, was man unternehmen könne, um die Wellen zu bewerkstelligen. Dabei kann sich schon ein Blick ins europäische Nachbarland lohnen. So gibt es in einem Krankenhaus in Bordeaux (Frankreich) im Winter eine IMC-Station, die zu Infektionswellen eröffnet wird. Um das personell abzufedern, werden Pflegeintensivkräfte aus der Erwachsenenmedizin abgezogen, um dort zu helfen. „Das wünschen wir uns natürlich nicht dauerhaft. Natürlich sollen Kinder von Leuten gepflegt und behandelt werden, die dafür auch ausgebildet sind“, sagt Hoffmann. In so einer „kleinen Pandemie“, wie man sie jedes Jahr erlebe, könne es jedoch nach vorheriger Einarbeitung Sinn machen.

In Bordeaux geht dieser Plan auch auf. In den Wintermonaten dürfen die Pflegekräfte mehr als 100 Prozent arbeiten. Die Zeit auf der „Winter-IMC“ werde so gut bezahlt, dass sich die Mitarbeitenden um die Dienste reißen würden, berichtet Hoffmann, „ich glaube es gibt auch bei uns viele, die das könnten“. 

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Verringtertes Risiko durch Impfung

Neben den Lösungsansätzen im Bereich Personal gibt es jedoch auch weitere – in Form einer Impfung. So wurde im Sommer ein Impfstoff zugelassen, der Schwangeren im letzten Drittel der Schwangerschaft verabreicht werden könnte. Die gebildeten Antikörper werden über die Plazenta auf das Kind übertragen. Studien zufolge könnten durch diese Impfungen die RSV-Infektionen im ersten Lebensjahr deutlich reduziert werden. Ein zweiter Weg wäre, die Antikörper isoliert nach der Geburt zu verabreichen. Der Impfstoff sei in Deutschland erhältlich, eine STIKO-Empfehlung gibt es bislang noch nicht. In den USA, Spanien und Frankreich gebe es bereits entsprechende Impfkampagnen. Im kommenden Sommer sollen dann Daten publiziert werden, die zeigen sollen, wie sich die Impfung bei den Krankenhausaufnahmen bemerkbar macht.

Wir müssen uns jetzt schon vorbereiten.

Die DIVI fordere daher alle zuständigen Instanzen wie STIKO, Fachgesellschaften und Kostenträger auf, sich vorzubereiten. Wenn die Impfkampagnen aus dem Ausland zu einer Entlastung führen, müsse Deutschland vorbereitet sein, um umgehend nachbessern zu können. „Wenn die Daten im Sommer publiziert werden, steht der nächste Winter vor der Tür. Das heißt, wir müssen uns jetzt schon vorbereiten“, so seine Forderung. 

Mehr Telemedizin für Kinder

Ein weiterer Ansatz sind telemedizinischen Strukturen als auch spezialisierten Transportteams für Kinder, deren Aufbau die DIVI fordert. Denn strukturbedingt hätte nicht jede Klinik eine Kinder- bzw. Kinderintensivmedizin. „Aber auch in diesen Kliniken gibt es Kinder, die kritisch krank werden und Hilfe brauchen“, sagt Prof. Dr. Sebastian Brenner, Vertreter der Pädiater im DIVI-Präsidium und Bereichsleiter der Pädiatrischen Intensivmedizin wie auch Kindernotaufnahme der Unikinderklinik Dresden. Dies könne telemedizinisch geleistet werden – und auch die Stellungnahmen der Krankenhauskommissionen sehen den Aufbau telemedizinischer Strukturen vor. 

Müssten die Kinder dennoch verlegt werden, seien Strukturen für eine sichere Verlegung notwendig. Denn die Verlegungen seien derzeit auf Erwachsene ausgelegt. Auch die Finanzierung für intensivmedizinische Transporte von Kindern in andere Kliniken wird von den Kassen derzeit nicht bezahlt. Der Freistaat Sachsen fördert seit Januar 2022 mit dem Pilotprojekt „Kinder Tele-Intensivnetzwerk Sachsen“ (KIdS) eine Versorgungsstruktur für kritisch kranke Kinder. Ziel ist die Sicherstellung einer flächendeckenden, hoch qualitativen Notfall- und intensivmedizinischer Versorgung von Kindern. Das Projekt ist auf drei Jahre ausgelegt und soll den Weg ebnen, dass die Kassen künftig die Leistungen der Netzwerke finanzieren, die eine telemedizinische Versorgung von kritisch kranken Kindern und Jugendlichen sowie deren Versorgung sicherstellen. 

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