
Warum haben es Krankenhäuser aktuell schwer, Führungspositionen wie zum Beispiel eine Chefarztstelle neu zu besetzen?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits verdienen Ärzte deutlich mehr als früher, der Gehaltssprung vom Oberarzt zum Chefarzt ist geschrumpft. Bei der jungen Generation, den Ärzten zwischen 38 und 43, beobachten wir außerdem eine starke Zunahme der Individualisierung, ein Desinteresse an Verantwortungsübernahme und ein geändertes Freizeitverhalten. Auch gibt es in der Medizin sehr viele, die den Beruf mit der Familie vereinen müssen. Viele Oberärzte sind weiblich. Hinzu kommt in der heutigen Zeit: Der Kandidat sucht aus.
Sogar Chefarztstellen werden mittlerweile geteilt!
Das kommt nur gelegentlich vor. Es ist nicht einfach, zwei Führungskräfte zu finden, die beide in Teilzeit arbeiten möchten und zueinander passen. Wir hatten einmal einen solchen Fall im Bereich der Gynäkologie in einer mittleren Stadt. Eine leitende Oberärztin mit 80-Prozent-Stelle und zwei kleinen Kindern war nicht bereit, die Chefarztposition zu übernehmen. Es gab wenige gute Kandidaten, die für eine Vollzeitstelle infrage kamen. Durch Zufall bin ich in einer Großstadt auf dieselbe Situation gestoßen: leitende Oberärztin, ebenfalls mit 80-Prozent-Stelle und zwei kleinen Kindern, die die freiwerdende Chefarztstelle in der Gynäkologie nicht übernehmen wollte. Diese Frau kam zufällig aus der Nähe der anderen Stadt und war aus privaten Gründen nicht abgeneigt, der Großstadt den Rücken zu kehren. Ich habe die beiden zusammengebracht, die sich dann gemeinsam auf die Chefarztstelle beworben haben. Dieses Beispiel zeigt, dass man auch bei der Personalbeschaffung neue Wege beschreiten muss.
Warum ist es für viele Krankenhäuser schwer, den richtigen Kandidaten zu finden?
Das passiert zum Beispiel, wenn die Krankenhäuser ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und eine 08/15-Stellenanzeige veröffentlichen. Nehmen wir einmal an, ein 350-Betten-Haus sucht einen IT-Leiter. Stellen Sie sich eine Bewerberpyramide mit etwa 600 Personen vor, die im gesamten Bundesgebiet theoretisch für diese Position infrage kommen. Wie viele davon werden durch Zufall auf diese Stellenanzeige aufmerksam? Es sind diejenigen, vielleicht zehn Personen, die gerade auf der Suche nach einem neuen Job sind und auch noch dorthin wollen. In der aktuellen Marktsituation ist mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit kein einziger dabei, den die Klinik haben möchte. Viele Bewerber sind nicht ausreichend qualifiziert und haben oftmals falsche Vorstellungen von der Tätigkeit.
Zur Person
Andrea Köhn hat in Köln und in München Betriebswirtschaft studiert und war Trainee und Produktmanagerin beim Unilever-Konzern. Bei Gemini Consulting, heute Cap Gemini, hatte sie elf Jahre die Gesamtleitung für das Recruiting Deutschland, Österreich und die Schweiz und war danach in der Industrie Personalleiterin, ehe sie bei den Schön Kliniken Personalchefin wurde. 2009 machte sie sich mit ihrer eigenen Personalberatung selbstständig. Ihr Unternehmen ist spezialisiert auf Führungskräfte im Krankenhaussektor.
Welche Hausaufgabe muss eine Klinik machen?
Wenn das Krankenhaus eine Chefarztstelle besetzen möchte, muss es sich zuvor einige Fragen stellen: Wo wollen wir in fünf Jahren stehen? Was muss der Bewerber mitbringen? Welche Kompetenzen können wir in diesem Verfahren tatsächlich beobachten und beurteilen? Sind wir überhaupt für Kandidaten attraktiv? Sind wir in der Lage, eine solide, gute Auswahl zu treffen? Mit der Beantwortung dieser Fragen tun sich 80 Prozent aller Krankenhäuser schwer, weil in die Vorbereitung eines Besetzungsverfahrens in der Regel wenig Zeit investiert wird. Es ist auch erfahrungsgemäß nur wenig Know-how vorhanden, wie man einen stringenten, attraktiven Prozess für die Kandidaten professionell gestaltet. Die Personalabteilungen sind an dieser Stelle in der Regel keine Hilfe.
Welchen Kommunikationskanal sollte ein Klinikum wählen, haben Sie einen Tipp?
Wir haben ganz oft die Situation, dass ein Krankenhaus auf uns zukommt, das versucht hat, über eigene Kanäle einen Chefarzt zu holen. Beispielsweise telefonieren der ärztliche Direktor und zwei Chefärzte in ihrem Netzwerk herum und lassen sich potenzielle Kandidaten empfehlen. Sie müssen sich aber im Klaren sein, dass sie damit nicht immer den besten Kandidaten bekommen. Wir hatten so ein Beispiel. Ein Ordinarius, die Klinik war Lehrkrankenhaus, hatte einem Kollegen auf Nachfrage drei Namen genannt, die für diese Position infrage kämen. Im Bewerbungsprozess war das Krankenhaus mit keinem der Kandidaten zufrieden und hat uns geholt. Unsere Recherchen haben ergeben, dass der Ordinarius verständlicherweise den Namen seines besten Mitarbeiters nicht genannt hatte. Am Ende haben wir genau diesen Mitarbeiter geholt. Früher war ein Chefarzt stolz darauf, wenn ein Chirurg seiner Abteilung woanders Chefarzt wurde. Heute hat dieser Chirurg eine wirtschaftliche Bedeutung für die Klinik, weshalb man ihn nur ungern hergibt.
Wenn ein Geschäftsführer seine Ärzte bittet, dass sie sich in ihren Netzwerken umhören sollen, muss er einen konkreten Arbeitsauftrag formulieren und Fristen setzen.
Also keine Mund-zu-Mund-Propaganda?
Doch. Ich würde das immer parallel zum üblichen Bewerbungsverfahren ausprobieren. Manchmal erhält man dadurch schnell einen hervorragenden Bewerber. Allerdings sollte man auch für die Mund-zu-Mund-Propaganda einen geordneten Prozess aufsetzen. Wenn ein Geschäftsführer seine Ärzte bittet, dass sie sich in ihren Netzwerken umhören sollen, muss er einen konkreten Arbeitsauftrag formulieren und Fristen setzen. Wenn nach Ablauf dieser Frist kein Bewerber vorliegt, sollte eine Personalberatung eingeschaltet werden.
Viele Krankenhäuser setzen soziale Medien ein, um Pflegekräfte zu gewinnen. Wie funktioniert das bei Führungskräften?
Wechselwillige Krankenhausgeschäftsführer haben eigene Netzwerke, die informieren sich nicht über Facebook oder Tiktok. Ein Geschäftsführer ist in der Regel Mitglied im Verband der Krankenhausdirektoren. Darüber hinaus sind die meisten Krankenhausgeschäftsführer über eine Alumni-Gruppe ihres alten Trägers oder ihrer ehemaligen Universität (beispielsweise Osnabrück) vernetzt und hören sich dort aktiv um, wenn sie eine neue Position suchen. Darüber hinaus spielt das Internet eine wichtige Rolle. Dort finden Geschäftsführer zur Vorbereitung auf das Gespräch die Geschäftsberichte der Krankenhäuser. Presseartikel wiederum können Auskunft über die strategische Situation eines Hauses geben, ob es zum Beispiel ein Sanierungsfall ist. Darüber hinaus informieren sich die Führungskräfte auch bei Wirtschaftsprüfern oder Medizintechnikherstellern, mit denen sie zusammengearbeitet haben. Auch ehemalige Mitarbeiter vom Arzt bis zum Controller, die zufällig in der Nähe des nfrage kommenden Hauses arbeiten, werden gerne angerufen. Mit anderen Worten: Krankenhausdirektoren sind gut vernetzt.
Welche Rolle spielt die Vorbereitung der Kandidaten?
Manche gehen schlecht informiert in die Verfahren. Das sind oft auch die Bewer-ber, die bereits zuvor eine Fehlentscheidung getroffen haben. Sie sitzen dann bei mir im Gespräch ohne gute Vorbereitung und sind dadurch wieder auf dem Weg, eine Fehlentscheidung zu treffen. Ich muss mir dann überlegen, ob dieser Kandidat gut genug für diese Position ist. Manche sind auch überqualifiziert. Wenn sich zum Beispiel ein Geschäftsführer oder ein Chirurg aus einem erstklassigen Haus nicht ausreichend informiert hat und sich in einem zweitklassigen Haus bewirbt, ist zwar der Träger in der Regel begeistert. Der Bewerber fühlt sich durch falsche Versprechungen getäuscht, verliert das Vertrauen und wird das Haus bald wieder verlassen. Damit die Besetzung funktioniert, müssen wir in einer solchen Situation die Erwartungen auf beiden Seiten deutlich machen.
Wie sollte sich die Klinik auf das Gespräch mit einer Führungskraft vorbereiten?
Sie sollte sich wirklich Gedanken über die Strategie für diesen Bereich machen – wo sie in fünf Jahren stehen möchte. Davon hängt zum Beispiel bei einem Arzt ab, welche Spezialisierung er mitbringen sollte. Die Klinik sollte aber auch auf Fragen des Bewerbers vorbereitet sein wie etwa, warum der bisherige Inhaber der Position das Haus verlassen hat. Entscheidend sind Fakten, Transparenz und Ehrlichkeit. Wenn in dem Fall zusammen mit dem Chefarzt drei Mitarbeiter das Haus verlassen haben, muss die Klinik dies auch gegenüber den Bewerbern kommunizieren, selbst wenn sie dadurch Kandidaten abschreckt. Die Klinik kann nur solche Kandidaten gebrauchen, die sich zutrauen, die Arbeit zu stemmen.
Berliner Charité
Die „Charité – Universitätsmedizin Berlin“ ist wohl die bekannteste deutsche Universitätsklinik – und eines der traditionsreichsten Krankenhäuser obendrein. Mehr als die Hälfte aller deutschen Nobelpreisträger für Medizin wirkten dort. Die Charité zählt mit 21 000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu den größten Universitätskliniken in Europa. Sie ist einer der größten Arbeitgeber in der Hauptstadt. Die Uniklinik verfügt über knapp 3 300 Betten, behandelte 2021 rund 124 000 stationäre Fälle und zählt 9 000 Studierende im Fach Medizin. Ihre heutige Struktur (vier Campi, mehr als 100 Kliniken) ist das Ergebnis mehrerer Klinikstrukturreformen in Berlin, die u.a. zu einer Zusammenlegung des ursprünglichen Stammhauses in Berlin-Mitte (Bild 1) mit dem Rudolf-Virchow-Klinikum im Wedding ( Bild 2) und dem Benjamin- Franklin-Krankenhaus in Steglitz (Bild 3) geführt haben. Vierter Campus ist der Wissenschafts- und Technologiestandort in Buch (Bild 4). Die Berliner Charité erzielte 2021 einen Umsatz von 2,3 Mrd. Euro.
Gesundheit neu denken – so will sich die Charité strategisch bis 2030 zukunftssicher aufstellen
Bis 2030 will Berlin ein bedeutender Medizinstandort in Europa sein. Neben einer engen Kooperation mit dem kommunalen Klinikkonzern Vivantes soll die Uniklinik modernisiert und auf Zukunftsfelder der Medizin ausgerichtet werden, führend bei Ausbildung, Forschung, Translation und Gesundheitsversorgung. An den Standorten werden medizinische Schwerpunkte gebildet. So ist in Berlin-Mitte im neuen Bettenhaus das Rahel Hirsch Center for Translational Medicine entstanden – ein gemeinsames Ambulanz-, Translationsund Innovationszentrum des Berlin Institute of Health (BIH) und Charité. Dazu wurde der ehemalige Operations- und Intensivtrakt der Charité kernsaniert. Ziel ist, die Charité zum Zentrum der Translationsmedizin zu machen. Ferner ist der Aufbau eines international führenden Herzzentrums im Virchow-Klinikum geplant, die Fusion mit dem Deutschen Herzzentrum wurde zu Jahresbeginn vollzogen. Am Krankenhaus Benjamin Franklin ist ein Life Science Campus mit einem neuen Forschungscluster zum Thema Gesunderhaltung und Prävention geplant. Die Infrastruktur wird grundlegend erneuert, die Digitalisierung massiv beschleunigt. Insgesamt sollen bis 2050 rund 6,6 Milliarden Euro in das Projekt fließen.





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