Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

kma im InterviewÜber Unklarheiten und Grauzonen beim barrierefreien Bauen

Moderne Krankenhäuser sollen barrierefrei sein: Menschen im Rollstuhl oder Blinde sollen sich in ihnen ohne fremde Hilfe orientieren und fortbewegen können. Ein umfangreiches Regelwerk listet die Vorgaben auf, die Bauherren erfüllen müssen – und Heerscharen von Sachverständigen versuchen sich an der Interpretation. kma spricht darüber mit dem Architekten Rainer Krämer.

Medizin Foto Köln
Rainer Krämer ist Architekt und Projektleiter bei Medfacilities, einem Tochterunternehmen des Uniklinikums Köln. In seiner Funktion überwacht und steuert Rainer Krämer unter anderem die Umsetzung von gesetzlichen Anforderungen zur Barrierefreiheit bei Bauprojekten des UK Köln.

Herr Krämer, welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Vorgaben für barrierefreies Bauen im Krankenhaus?

Generell regelt eine Vielzahl von Richt­linien und Verordnungen das Bauen im öffentlichen Raum. Das Thema Barrierefreiheit wird zunächst in Landes-Bau­ordnungen geregelt. Die Inhalte der Bauordnungen können sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Das wichtigste Regelwerk in diesem Zusammenhang ist aber die DIN 18040, die inzwischen in beinahe allen Bundesländern verbindlich eingeführt ist. Diese DIN-Norm formuliert bis ins Detail die Vorgaben für Barriere­freiheit und muss in diesen Bundesländern bei allen Neubauten für die öffentliche Nutzung umgesetzt werden.

Welches Prinzip liegt ihr zu Grunde?

Die wichtigste Forderung der DIN 18040 lautet: ‚Erreichbarkeit für alle.‘ Menschen mit Behinderungen sollen sich selbständig und ohne fremde Hilfe zurechtfinden können. Das bedeutet den Abbau von Hindernissen für Gehbehinderte in Form von Aufzügen und Rampen ebenso wie Orientierungshilfen für Menschen mit Sinneseinschränkungen. Geht es nur um Neu- oder auch um Umbauten und Sanierungen? DIN 18040 behandelt grundsätzlich beides. Bei Umbauten gilt allerdings das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Hier hat das Bau-Aufsichtsamt als genehmigende Behörde Ermessensspielräume.

Was bedeutet das in der Praxis?

Das heißt zumindest, dass es oft Unklarheiten und Grauzonen gibt. Die Notwendigkeit, Bauvorschriften zu interpretieren und auf das konkrete Bauvorhaben zu übertragen, zwingt die Bauherren immer häufiger dazu, umfangreiche Gutachten in Auftrag zu geben. Auslegungsspiel­räume bringen es außerdem mit sich, dass sich die Einschätzung ändern kann, wenn die zuständige Person in der Genehmigungsbehörde wechselt. Bei komplexen Bauvorhaben, die von der Planung bis zur Schlüsselübergabe mehrere Jahre dauern, kommt das nicht selten vor.

Krankenhäuser haben es außerdem oft mit einer Mischung aus alter und neuer Bausubstanz zu tun. Gebäude unterschiedlichen Alters sind miteinander verwoben und durch Anbauten miteinander verbunden. Das macht die Beurteilung noch schwieriger. Bei der Sanierung von Teilflächen muss teilweise ein unverhältnismäßig großer Aufwand getrieben werden, der die Baukosten nach oben treibt.

Was bedeutet das für Ihren Alltag als Architekt?

Der Grad an Komplexität nimmt ständig zu. Es gibt tausende von Verordnungen und technischen Richtlinien. Das kann ein Einzelner gar nicht mehr überblicken. Im Bereich des Krankenhausbaus ist man inzwischen gezwungen, für eine Vielzahl von Themen Sachverständige zu beschäftigen, die die umfangreichen technischen und rechtlichen Planungsgrundlagen inter­pretieren und ordnen. Sind die Vorschriften in Sachen Barriere­freiheit kongruent und für alle Behindertengruppen gleich wichtig und hilfreich? Auch in diesem Punkt gibt es leider Wider­sprüche.

So gilt seit vielen Jahrzehnten für die Anbringung von Türdrückern das Norm-Maß von 1,05 m über Oberkante Fertigfußboden. Sicherlich mehr als 90 Prozent aller Türdrücker und Lichtschalter in Deutschland befinden sich auf dieser Höhe. Für Sehbehinderte und kognitiv Eingeschränkte ist das extrem wichtig. Sie haben sich diese Höhe ein Leben lang eingeprägt. DIN 18040 schreibt nun aber eine 20 cm niedrigere Anbringung vor, die für Rollstuhlnutzer mit nicht beweglichem Oberkörper ideal ist, jedoch den Bedürfnissen von fast allen anderen eingeschränkten und nicht eingeschränkten Menschen widerspricht.

Für Menschen im Rollstuhl ist das sicherlich eine Erleichterung. Aber letztlich müssen hier die Belange von allen gewürdigt werden. Und zuweilen stehen diese Ansprüche auch im Widerspruch zueinander.

Können Sie weitere Beispiele nennen, wo sich die Planung von Krankenhausbauten durch Vorgaben zur Barriere­freiheit ändern werden?

Etwa im Bereich der Fluchtwege. Bisher werden die Menschen in Gefahrensituationen über Treppen selbstständig und gegebenenfalls über Fenster mit Hilfe der Feuerwehr evakuiert. Für Menschen im Rollstuhl sind solche Rettungswege natürlich nicht selbstständig nutzbar, was dem Grundsatz ‚selbstständig und ohne fremde Hilfe‘ widerspricht. Deshalb werden wir wahrscheinlich die Hauptpodeste der Treppenhäuser von Neubauten künftig vergrößern, um in dem geschützten Bereich Treppenhaus sichere Wartezonen ausweisen zu können, die von Rollstuhlnutzern selbstständig erreicht werden können.

Die Vergrößerung der Hauptpodeste hat eine eklatante Vergrößerung der Treppenhäuser zur Folge und kann bedeuten, dass wir tradierte Gebäudetypologien in Frage stellen müssen. Ein weiteres Beispiel sind taktile Leitsysteme für Sehbehinderte. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Noppen oder Rillen, die in den Bodenbelag auf- oder eingearbeitet werden, um Sehbehinderten Besuchern die Orientierung zu erleichtern. Ein Aufwand, der nicht an allen Stellen sinnvoll oder herstellbar ist.

Als Erleichterung für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit wirken außerdem Farbkontraste, etwa zwischen Türblatt und Türzarge, oder erhabene Raumnummern, die ertastet werden können.

Gibt es Arbeitsbereiche, die von den Bestimmungen ausgenommen werden?

Im Grunde nicht. Als schwierig und teilweise etwas lebensfern erweist sich die Maximalforderung, dass sich alle Menschen, unabhängig von der Art ihrer Behinderung, in allen Räumen ohne fremde Hilfe bewegen können. Ein Krankenhaus ist nun einmal ein Ort, in dem viele Menschen krank und damit natürlicherweise auf Hilfe angewiesen sind.

Wo sehen Sie die größten Probleme bei der Umsetzung?

Die vielen, teilweise gegenläufigen Bestimmungen der unterschiedlichen Verordnungen und Richtlinien erzeugen Grauzonen und Interpretationsspielräume. Für jedes Themengebiet, vom Brandschutz bis zur Barrierefreiheit brauchen Bauherren und Planer inzwischen zunehmend Zuarbeit von Sachverständigen und Gutachtern, deren zeitnahe Verpflichtung aufgrund der baukonjunkturellen Situation immer schwieriger wird. Das Warten auf Gutachten und Entscheidungen verzögert die Fertigstellung. Das Bauen wird teurer.

Dennoch ist uns als Tochterunternehmen der Uniklinik Köln das gesellschaftliche Anliegen der Inklusion natürlicherweise sehr wichtig. Deshalb nehmen wir die Herausforderung, die die barrierefreie Gestaltung von Krankenhausbauten bedeutet, gerne an und suchen ständig nach besseren baulichen Lösungen, die allen Menschen helfen.

Dieser Artikel erscheint in der nächsten Ausgabe der kma Klinik Management aktuell

Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen