



Schockmoment am Montagmorgen. Gegen 7.45 Uhr finden Mitarbeiter im Hauptgebäude des AWO Psychiatriezentrums (APZ) im niedersächsischen Königslutter einen verdächtigen Gegenstand. Er liegt im Fahrstuhl und sieht aus wie eine Bombe. Die Polizei wird alarmiert, und die entscheidet schnell, das Gebäude abzusperren und die Büros, die sich in Fahrstuhlnähe befinden, vorsorglich zu evakuieren.
Das APZ verfügt auf einem weitläufigen, 28 Hektar großen Areal über mehr als 30 Gebäude. Insgesamt hat das Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie 832 Betten und rund 1300 Mitarbeitende. In dem am Montag betroffenen Hauptgebäude befindet sich die Klinik A. Es ist die größte Klinik, mit zehn Stationen, davon vier geschlossenen. Hinzu kommt der Bürotrakt. „Für uns ist das der Super-Gau“, sagt APZ-Geschäftsführer Thomas Zauritz: „Hier sind die meisten Menschen betroffen.“ Auf den Stationen der Klinik A liegen am Montag gut 200 Patienten.
Herr Zauritz, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute, drei Tage danach, an den 15. August denken?
Das war schon sehr surreal. Ich kann nach wie vor nicht glauben, dass uns das passiert ist. Eigentlich kennt man das ja nur aus dem Fernsehen, aus den Krimis. Auf einmal waren wir selbst betroffen.
Wie haben Sie von dem Bombenalarm erfahren?
Ich war zuhause gerade im Aufbruch, als ich den Anruf erhielt. Als ich dann in der Klinik ankam, hatte die lokale Polizei das Gebäude abgesperrt und das Bombenräumkommando aus Hannover angefordert. Unser interner Krisenstab hatte bereits die Arbeit aufgenommen. Wir haben eine Evakuierung der Stationen geplant und genau festgelegt, wie die laufen soll. Was hat Priorität? Mit welcher Station fangen wir an? Wer geht in welchen Auffangbereich? Das Gebäude hat zum Glück fünf Fluchtwege.
Waren Sie auf eine solche Ausnahmesituation vorbereitet?
Für uns war es Gold wert, dass wir im Rahmen unserer Brandschutzübungen auch das Evakuieren regelmäßig trainieren. Jedes Jahr machen wir das mit zwei bis drei Stationen. Es hat uns jetzt unglaublich geholfen, dass die Mitarbeiter gut wissen, was zu tun ist. Wir hatten uns über eine Evakuierung intensiv Gedanken gemacht – über die Abläufe, die Sammelorte und die Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken. Für die Patienten der geschlossenen Stationen wurde auch ein gesichertes Außengelände geschaffen, in das im ersten Schritt evakuiert wird. Von dort aus geht es dann weiter. Als am Montag klar war, dass wir uns auf eine Evakuierung einstellen und wie die ablaufen sollte, haben wir auch alle Mitarbeiter zeitnah informiert – per E-Mail und über unseren Messenger-Dienst. So waren alle genau im Bilde, auch die, die nicht vor Ort waren.
Bis das Bombenräumkommando eintraf, vergingen mehr als 90 Minuten. Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Das war eine lange Zeit, in der einem viel durch den Kopf geht. Aber ich habe den Eindruck, dass alle relativ ruhig und gelassen waren. Ich habe jedenfalls keine Hektik erlebt. Insgesamt ist nach unseren Verfahrensanweisungen, die wir für Feuer, Bombenalarm und Geiselnahme haben, alles relativ routiniert abgelaufen. Auch ich selbst war recht ruhig, habe aber hinterher, als alles vorbei war, gemerkt, welche Anspannung da von mir abfiel.
Ich hatte den Eindruck, dass dann alle unsere Beschäftigten innerhalb von 15 Minuten wieder im Normalbetrieb waren. Das hat mich schon beeindruckt.
Wann gab es Entwarnung?
Die Spezialkräfte aus Hannover haben zunächst einen Sprengstoffroboter eingesetzt. Dann musste aber doch ein Polizeimitarbeiter ins Gebäude. Dessen Ausrüstung wiegt 45 Kilo, und es war ein heißer Tag. Als nach seiner Analyse klar war, dass es sich um eine Attrappe handelte, wurde das Hauptgebäude sofort wieder freigegeben. Das war gegen 12.30 Uhr. Zu dem Zeitpunkt hatte die Polizei auch einen Tatverdächtigen festgenommen. Ich hatte den Eindruck, dass dann alle unsere Beschäftigten innerhalb von 15 Minuten wieder im Normalbetrieb waren. Das hat mich schon beeindruckt.
Hat Sie sonst etwas überrascht?
Wir haben alle gedacht, dass wir die Stationen so schnell wie möglich evakuieren müssen, doch die Polizei, die das ja letztlich entscheidet, wägt noch einmal ganz anders ab. Die haben sich gefragt, was der Täter erreichen will. Es hätte auch darum gehen können, jemanden aus einer geschlossenen Station zu befreien oder einen größeren Kollateralschaden zu verursachen, wenn alle Menschen aus dem Gebäude herausgebracht werden. Deshalb wurde die Evakuierung der Stationen zwar vorbereitet, aber nicht umgesetzt.
Wie ist Ihr Fazit?
Insgesamt hat alles sehr gut funktioniert, auch die Zusammenarbeit mit Polizei, Rettungsdiensten und Feuerwehr. Wir haben aber auch gemerkt, dass wir unsere Kommunikation mit den Rettungskräften noch verbessern müssen. Unser Krisenstab hat in einem fensterlosen Raum getagt und dabei gar nicht richtig mitbekommen, was draußen passiert ist. In der Zwischenzeit war Großalarm ausgelöst worden, und es waren rund 150 Rettungskräfte auf dem Gelände. Viele Einsatzfahrzeuge, ein Sondereinsatzkommando in Vollmontur und drei Einsatzleitungen. Die wussten nicht, dass wir drinnen schon die Evakuierung planten und dafür auch genug Ausweichgebäude auf dem Gelände haben. Deshalb haben sie parallel eine Evakuierung in eine nahegelegene Schule vorbereitet.
Werden Sie sonst noch etwas verändern?
Wir werden künftig kleine Krisenstab-Ausweise vorbereiten und am Empfang deponieren. Denn als ein Mitglied unseres Krisenstabes das Haus verlassen hat, wurde es anschließend nicht mehr hineingelassen. Das hatten wir nicht bedacht. Außerdem ist auch unsere Telefonzentrale im Hauptgebäude, über die nicht nur alle Anrufe, sondern auch die Brandmeldeanlagen laufen. Nur, das Gebäude und damit auch die Zentrale, wurden ja geräumt. Für einen Moment war die Lage unklar, aber dann haben wir technisch alles in unser IT-Gebäude umgestellt. Das werden wir in unserem Krankenhausalarm- und einsatzplan jetzt klarer regeln.
Den ganz konkreten Evakuierungsplan, der jetzt entstanden ist, werden wir sicher als Blaupause für die Zukunft nutzen können.
Wie werden Sie das Erlebte aufarbeiten?
Das haben wir schon – erst direkt in einer Feedback-Runde mit der Einsatzleitung der Feuerwehr und am Dienstag auch in der Krankenhausleitung. Jetzt werden wir das noch mit unserem Brandschutzbeauftragten nachbereiten. Und den ganz konkreten Evakuierungsplan, der jetzt entstanden ist, werden wir sicher als Blaupause für die Zukunft nutzen können. Insgesamt hat mich die großartige Unterstützung aller im Haus begeistert. Viele haben mitgedacht und parallel schon überlegt, was sie tun können, wenn es wirklich zu einer Evakuierung kommt. Und viele haben sich auch aus dem Frei gemeldet und ihre Hilfe angeboten.
Haben Sie eine ähnliche Situation schon einmal erlebt?
Es gab im Jahr 2018 einmal eine Brandstiftung auf einer Station, die glücklicherweise relativ schnell unter Kontrolle gebracht wurde. Außerdem hatten wir mehrfach Bombendrohungen, bei denen Anrufer erklärten, dass sie auf dem Gelände einen Sprengsatz deponiert hätten. Dann sucht die Polizei alles ab, und meist löst sich das recht schnell auf. Diesmal jedoch lag da ein Gegenstand, und der war nicht ganz klein und sah wirklich aus wie eine Bombe. Da denkt man schon an das Schlimmste.





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