

Die Idee gefällt ihr irgendwie. Das nachhaltige Gewissen von Helios – ist sie das? Constanze von der Schulenburg sitzt in der Zentrale von Deutschlands größtem privaten Klinikkonzern in der Berliner Friedrichstraße und legt den Kopf ein wenig zur Seite. Überlegt kurz. Nein, das sei dann doch etwas zu dick aufgetragen.
Aber die im April 2021 neu geschaffene Stabsstelle Nachhaltigkeit, die sie seitdem leitet, ist ihr eine Herzensangelegenheit. Von der Schulenburg will das Thema vorantreiben. Dafür hebt sie beharrlich den Finger, appelliert, erklärt, veranschaulicht, und vor allem lässt sie nicht locker, um auch die anderen mitzureißen.
Die Aufgabe ist gewaltig. Das Spielfeld ist so groß, dass man sich angesichts der Themenfülle schon einmal verlaufen kann. Der Helios-Nachhaltigkeitsbericht definiert vier Bereiche: Patienten, Mitarbeiter, Compliance – und dann eben die Umwelt. Bis 2030 will Helios seine direkten und indirekten CO2-Emissionen halbieren, für 2040 ist die Klimaneutralität angestrebt. Das allein ist ein dickes Brett. Für das 2030-Ziel muss der Konzern, der in Deutschland 87 Kliniken und 130 MVZ betreibt und mehr als 75 000 Mitarbeitende hat, im Vergleich zum Jahr 2021 rund 100 000 Tonnen CO2 einsparen.
Die Erwartungen von allen Seiten steigen
Wo anfangen? Wo den Schwerpunkt setzen? Von der Schulenburg hat mit einer Bestandsaufnahme begonnen: Wo stehen wir eigentlich? Was fehlt? Das Ergebnis war der erste Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns für das Jahr 2019, und „der hat vieles in Gang gesetzt“, erinnert sich von der Schulenburg. Hinzu kommt Druck von außen. Die Anforderungen an verpflichtende Reportings steigen. Genau wie die Erwartungen von Patienten, Öffentlichkeit, von Stellenbewerbern und Shareholdern: „Alle fordern eine Strategie und dass wir uns kümmern.“ Und plötzlich spielen auch Kriterien wie die Klimaziele des Konzerns eine ganz besondere Rolle.
Die Nachhaltigkeitsmanagerin hat davon profitiert, dass der Helios-Mutterkonzern Fresenius nach dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) (Corporate Social Responsibility) schon seit 2017 verpflichtet ist, auch über sein soziales und ökologisches Handeln Rechenschaft abzulegen. Von der Schulenburg konnte darauf aufbauen. Aber es macht ihr ohnehin Spaß, große Themen zu treiben, und für die Nachhaltigkeit gilt das besonders.
15 Jahre lang war sie Unternehmenssprecherin
Bis sie ihren jetzigen Posten übernahm, war die 55-Jährige so etwas wie die Stimme von Helios. 15 Jahre lang arbeitete sie als Unternehmenssprecherin, und ihre neue Aufgabe hat sie sich in gewisser Weise selbst geschaffen. Parallel zum Job als Sprecherin ließ sie sich zwei Jahre lang zur Nachhaltigkeitsmanagerin fortbilden und hat in der Zeit auch die Geschäftsführung überzeugt, dass es für einen Klinikkonzern notwendig ist, auf diesem Feld seine Hausaufgaben zu machen – nicht nur mit Blick auf die Shareholder und rechtliche Vorgaben.
Dass sie sich selbst als genau die Richtige für diese Aufgabe sah, muss dabei auch rübergekommen sein. Die Männer an der Helios-Spitze jedenfalls haben ihr zugehört und ihr Raum gegeben – erst Franzel Simon, dann Dr. Francesco De Meo, in dessen Zeit die Stabsstelle eingerichtet wurde. „Ich habe viel Verantwortung, aber auch sehr große Möglichkeiten bekommen, die neue Aufgabe auszufüllen“, sagt von der Schulenburg.
Ein Nachhaltigkeits-Board entscheidet
Die hat sie genutzt, um ein Netzwerk mit Spezialisten für die unterschiedlichen Themenbereiche aufzubauen und dem Ganzen eine Struktur zu geben. Ihre Position sieht sie als „Schnittstelle mit großer Koordinierungsaufgabe“. Dabei zahlt sich ihre lange Zeit als Helios-Sprecherin aus. Von der Schulenburg kennt den Konzern genau, ist sehr gut vernetzt, hat Kontakte zu den Kommunikatoren in allen Häusern, und als Generalistin, wie sie sich selbst nennt, ist sie es gewohnt, sich in immer neue Themen einzuarbeiten.
Ich bin nicht mehr Alleinkämpferin.
Mittlerweile gibt es im Konzern ein Nachhaltigkeits-Board, dem neben Robert Möller, dem jetzigen CEO der Helios Kliniken GmbH, auch die weiteren Mitglieder der Helios-Geschäftsführung und die Experten aus allen relevanten Bereichen angehören. Für von der Schulenburg bildet das Board „den organisatorischen Unterbau“ und den Rückhalt: „Es ist das wesentliche Gremium, das verantwortlich über Strategie und Projekte entscheidet“, sagt sie und betont: „Ich bin nicht mehr Alleinkämpferin.“ Zudem haben alle Klinikgeschäftsführungen den Auftrag, in ihren Häusern Nachhaltigkeits-Teams zu bilden, in denen die Bereiche Energie, Personal, Hygiene sowie IT- und Kommunikation vertreten sind.
Obendrein gruppieren sich um die Technischen Leiter der Kliniken spezielle Energie-Teams. „Sie sind enorm wichtig für das Reporting“, betont von der Schulenburg, zumal die Regulatorik ständig komplexer werde. Die Energie-Teams kümmern sich um einen jährlichen Energiebericht und stellen die ISO 50001 Zertifizierung zum Energiemanagement sicher. Zur Bearbeitung konkreter Nachhaltigkeitsprojekte werden Kollegen aus dem Einkauf, der Medizintechnik, dem ärztlichen Bereich, der Hygiene, dem Abfallmanagement und dem Marketing hinzugeholt.
Ideen in die Breite tragen
Für von der Schulenburg heißt es mittlerweile zunehmend: einordnen und priorisieren. Den Überblick zu behalten sei eine große Herausforderung. Geht es heute um Blockheizkraftwerke, steht morgen das Thema Narkosegase auf der Agenda, und im nächsten Moment wird über Diversity diskutiert. Doch genau darum geht es ihr. Sie will alles bündeln, die Fäden in der Hand halten und zeigen, was der Konzern bereits zu bieten hat: „Es ist viel mehr vorhanden als wir nach außen zeigen.“ Von der Schulenburg will die Ideen auch intern in die Breite tragen. Den Helios-Wagen zum Christopher-Street-Day (CSD) in Berlin genauso wie die „Geschlechterspezifische Medizin und Forschung“ im Unternehmen. Manches finde einfach noch zu wenig Beachtung, intern wie extern, sagt sie.
Wartet nicht auf den Konzern, bis alles für alle Kliniken abgenickt ist – macht einfach und teilt Eure Erfahrungen.
Dass ihre Arbeit jetzt Früchte trägt, sie von den Beschäftigten viel Zuspruch und etliche Vorschläge bekommt, die Nachhaltigkeit voranzutreiben, bringt sie manchmal selbst an ihre Grenzen: „Das Thema ist vor allem in den letzten Jahren massiv gewachsen“, sagt sie. So sehr, dass sie den Kliniken oft rät: „Wartet nicht auf den Konzern, bis alles für alle Kliniken abgenickt ist – macht einfach und teilt Eure Erfahrungen.“ Das Feedback aus den Kliniken begeistert sie, spiegelt es doch die wachsende Sensibilität für das Thema: „Wer sich privat im Haushalt, bei Reisen und beim Essen nachhaltig verhält, sein Verhalten geändert hat, der hört damit ja nicht an der Kliniktür auf“, sagt von der Schulenburg. Deshalb gebe es auch eine große Erwartungshaltung gegenüber dem Konzern.
Alle Beschäftigten sollen gemeinsam das Thema angehen
Die neue Kampagne „Patientin: Erde“, die sie mit angestoßen hat, greift das jetzt auf. Die Kampagne erklärt die Helios-Klimaziele und ruft die mehr als 75 000 Beschäftigten auf, sich zuhause und am Arbeitsplatz umweltbewusst zu verhalten: Was wäre, wenn alle Helios-Mitarbeitenden vier Dinge in ihrem Leben verändern würden, wird da gefragt und mit konkreten Zahlen berechnet. Zum Beispiel, wenn sie jeden dritten Tag vegetarisch lebten. „Es würde viel bewegen.“ In der ersten Aktion geht es noch bis Ende September darum, das Auto stehen zu lassen: Mitmachen, Selfie aufnehmen und in den sozialen Netzwerken verbreiten – so haben sie sich das gedacht.
Für von der Schulenburg ist die Kampagne ein Baustein, um bis Ende des Jahres wieder eine Trendumkehr zu schaffen. 2021 ist der Energieverbrauch der Helios Kliniken gestiegen – vor allem wegen der Hygieneanforderungen durch die Corona-Pandemie, weshalb etwa die Lüftungsanlagen durchgehend auf Volllast liefen. Jetzt sollen alle gemeinsam das Thema angehen. Als Anreiz vergibt der Konzern künftig jährlich den Helios Green Award an die Einrichtung, die es schafft, am meisten CO2 einzusparen. Zudem soll in die Renaturierung stillgelegter Moorflächen investiert werden – das „Helios Moor“, das von der Schulenburg besonders am Herzen liegt: „Stillgelegte Flächen werden wieder bewässert, um ihren CO2-Ausstoß zu stoppen und sie wieder in ein intaktes Ökosystem mit hoher CO2-Bindung umzuwandeln.“
Robert Möller: Helios soll ein Umdenken anstoßen
In Helios-Chef Robert Möller, der wie von der Schulenburg drei Kinder hat, hat die Nachhaltigkeitsmanagerin einen gewichtigen Unterstützer. Möller, Jahrgang 1967, hat das Energie- und Umwelt-Thema höchstselbst in den Fokus gerückt. Seit diesem Jahr bezieht Helios ausschließlich zertifizierten Grünstrom und will unter anderem in Photovoltaikanlagen investieren. Gleichzeitig, so Möller, gelte es, den Verbrauch zu senken, zum Beispiel durch neue Lüftungstechnik und Monitoring-Systeme zur Kälteregulierung in den Kliniken.
Die Zahlen liegen auf dem Tisch.
In Sachen Nachhaltigkeit, so erklärte Möller Mitte des Jahres, solle das Unternehmen zum Taktgeber im deutschen Gesundheitswesen werden und ein Umdenken anstoßen. Umgehend, appellierte er an alle Helios-Beschäftigten, müsse gemeinsam mit der Therapie für die „Patientin: Erde“ begonnen werden. Welches Budget der Konzern dafür insgesamt ausgibt, ist noch nicht klar. Von der Schulenburg jedenfalls hat ihre Hausaufgaben gemacht. Alles sei durchgerechnet, sagt sie, jeder einzelne Kostenfaktor, jede Maßnahme, für jedes Haus. „Die Zahlen liegen auf dem Tisch.“ Nun müsse entschieden werden, ob und wann welche investive Maßnahme zur Energiesicherheit umgesetzt werde, zunächst im Nachhaltigkeits-Board.
Je nach Thema sucht sie sich Unterstützer
Manchmal wünscht sie sich eine noch größere Dynamik, mehr Schnelligkeit. Doch trotz der großen Offenheit brauche das Thema vor allem Zeit. War sie als Pressearbeiterin jahrelang darauf programmiert, alles „jetzt und sofort“ zu erledigen, lerne sie momentan, Geduld zu haben, sagt von der Schulenburg. Die neue Aufgabe diktiert ihr ein ganz anderes Tempo: „Die Themen sind komplex und brauchen viel Vorarbeit, Recherche und Abstimmung.“ Dafür schmiedet sie Allianzen, ist täglich in Verhandlungen und sucht sich je nach Thema ihre Experten und Unterstützer, „die an meiner Seite sind“ – für den Bereich Abfall zum Beispiel oder die Emissionen und auch die Speisenversorgung.
Die Themen sind komplex und brauchen viel Vorarbeit, Recherche und Abstimmung.
Um die kümmert sich seit März insbesondere Hendrik Otto. Der Sternekoch ist als Leiter des neu geschaffenen Bereichs Quality and Sustainability Culinary Development gestartet, und er nimmt zunächst alle regionalen und örtlichen Prozesse auf, um sie zu bewerten und gegebenenfalls zu optimieren, wird bei Helios betont. Dabei sollen neben dem Geschmack die Faktoren Nachhaltigkeit, Gesundheit, Regionalität und Saisonalität im Mittelpunkt stehen, und Otto soll alles im Blick haben – vom Anbau der Produkte über die Anlieferung und Lagerhaltung bis hin zum Abfallmanagement.
Helios sei es wichtig, dass ein großer Anteil der Lebensmittel in Deutschland und in Bio-Qualität angebaut werde, heißt es. Allerdings stehe das Unternehmen dabei noch am Anfang, da viele Produkte in frischer und Bio-Qualität noch nicht in den gewünschten Mengen verfügbar seien. Grundsätzlich sollen künftig über alle Regionen mehr lokale, saisonale und Bio-Lebensmittel angeboten werden. Es soll mehr vegetarische Speisen mit Gemüse geben, das Fleischangebot soll reduziert und regionaler werden.
Sternekoch Otto soll Essensverschwendung vermeiden
Ottos besonderes Augenmerk gilt dem Abfall und der Essensverschwendung. Beides soll möglichst vermieden werden. Bei Angeboten zum Mitnehmen etwa soll kein unnötiger Abfall mehr entstehen, stattdessen werden Mehrwegbehälter zum Einsatz kommen. Und bei Frühstück, Mittag und Abendbrot auf den Stationen sollen Verpackungsmaterialien künftig auf ein Minimum reduziert werden. Lebensmittel-Überangebote können vor Verkaufsschluss günstiger angeboten werden, um so das Wegwerfen der Lebensmittel zu vermeiden oder zu verringern. Eine weitere Möglichkeit sei, die Lebensmittelreste über Entsorger wie ReFood gesetzeskonform verwerten zu lassen, die daraus dann zum Beispiel Düngemittel herstellen. All das werde aktuell mit allen Beteiligten besprochen.
Die Zwischenbilanz nach gut einem Stabsstellen-Jahr fällt für Constanze von der Schulenburg jedenfalls positiv aus. „Wir haben viel auf den Weg gebracht“, sagt sie: „Es hat sich gelohnt, dafür zu kämpfen.“ Drei ihrer kritischsten Begleiter sind ihre Söhne, 19, 23 und 25 Jahre alt. „Sie schauen mir sehr genau auf die Finger“, sagt die 55-Jährige, die zum Ausgleich intensiv schwimmt, läuft und seit sechs Jahren einmal pro Woche in einem klassischen Chor singt. Entsprechend versucht sie, sich auch zuhause möglichst nachhaltig zu verhalten – fährt Rad, setzt auf Second-Hand-Produkte und hat ihren Fleischkonsum drastisch reduziert. Ganz so, wie sich das gehört, für ein nachhaltiges Gewissen…





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