
Technikgetriebene Innovationen waren immer schon ein Treiber für Umwälzungen in der Medizin. Künstliche Intelligenz hat es allerdings noch nicht in der Breite in die klinische Routineversorgung geschafft – Ausnahmen bestätigen die Regel. Das mag zum einen an überzogenen Erwartungen der Anwender oder einer fehlenden Infrastruktur in den Gesundheitseinrichtungen liegen. Zum anderen aber hat die Digitalisierung in Deutschland gerade erst angefangen. Daneben erweisen sich gesetzliche Vorgaben immer wieder als Hürden: aktuell etwa die europäische Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulatory, MDR), nach der Softwarelösungen höher klassifiziert werden als bislang und damit zeitaufwendig und kostspielig zertifiziert werden müssen.
Plattformen statt Marktplätze
In jüngster Vergangenheit hat KI die Radiologie mehr als jede andere Disziplin des Gesundheitswesens beeinflusst. Das zeigt sich nicht nur an der Zahl von Start-ups in diesem Bereich, sondern auch daran, dass jeder Modalitätenanbieter mehr oder minder intelligente Algorithmen in seine Lösungen einbindet. Die Implementierung neuer Instrumente in der klinischen Routine ist aber komplex. Ein hoher Aufwand auf Anwenderseite mindert die Akzeptanz. Kaum ein Haus kann es sich leisten, KI-Lösungen unterschiedlicher Anbieter einzusetzen – weder aus der Perspektive der IT-Administration noch hinsichtlich der Anzahl von Vertragspartnern und Wartungsverträgen. Krankenhäuser benötigen eine einzige Lösung, die mehrere Modalitäten abdeckt und sowohl KI- als auch Nicht-KI-Algorithmen nahtlos in bestehende bildgebende Arbeitsabläufe integriert.
Die Antwort von GE Healthcare auf diese Forderung heißt Edison Open AI Orchestrator, eine Algorithmus-Management- Lösung. Sie wurde entwickelt, um klinische Anwendungen nahtlos in den Befundwork- flow zu integrieren, und reduziert nach Unternehmensangaben die Komplexität der Implementierung und Verwaltung mehrerer Systeme und Algorithmen. Ziel sei es, Gesundheitseinrichtungen eine einfache Möglichkeit zu bieten, mit KI zu starten und sie zu erkunden. Die Orchestrierung entscheidet, welche Algorithmen bei welchen Untersuchungen in welcher Reihenfolge oder zu welchem Zeitpunkt ausgeführt werden. So sei das System in der Lage, KI- und nicht KI-basierte Bildverarbeitungs-Workflows auf einem oder mehreren DICOM-Geräten von GE Healthcare und Drittanbietern effizient zu verwalten und zu automatisieren.
Nahtlose Integration
Philips wartet mit der IntelliSpace AI Workflow Suite auf, die es Gesundheitsdienstleistern ermöglicht, KI-Anwendungen nahtlos in den klinischen Workflow zu integrieren. Laut Unternehmen bietet die Plattform eine umfassende Palette von Anwendungen für die Integration in die klinische Routine und das zentrale Workflow-Management mittels KI-Algorithmen. Die Suite fügt sich in die bestehende Abteilungs- und Krankenhausinfrastruktur ein. Auf diese Weise werden die KI-Ergebnisse in strukturierter Form bereitgestellt, wo immer sie in der Patientenversorgung benötigt werden. IntelliSpace AI Workflow Suite orchestriert vollautomatisch die Ausführung der relevanten KI-Algorithmen und übernimmt das Routing klinischer Daten an die entsprechende KI-Anwendung, um die Datenverarbeitung ohne Benutzerinteraktion zu ermöglichen. Sie lässt sich, s o P hilips, nativ in die diagnostischen Bildgebungs- und Informatiklösungen des Unternehmens integrieren und kann auch zusammen mit Bildgebungslösungen anderer Anbieter genutzt werden. Darüber hinaus unterstützt die Suite das Training standortspezifischer KI-Anwendungen auf Basis lokaler Daten.
Siemens Healthineers stellte auf dem RSNA gleich zwei auf Künstlicher Intelligenz basierende Software-Assistenten vor, die Radiologen bei MRT-Untersuchungen des Gehirns und der Prostata von Routinetätigkeiten entlasten sollen. AI-Rad Companion Brain MR segmentiert automatisch das Gehirn auf MRT-Bildern, misst das Volumen der Gehirnareale und weist Normabweichungen in Reports aus, die Neurologen für Diagnostik und Therapie nutzen. AI-Rad Companion Prostate MR segmentiert die äußere Kontur der Prostata auf MRT-Bildern automatisch. Durch die Markierung von Läsionen wird eine gezielte Prostatabiopsie erleichtert. Die beiden neuen Anwendungen sind laut Siemens Healthineers auf MRT-Scannern verschiedener Hersteller einsetzbar und stehen Radiologen auf teamplay2, der cloudbasierten Healthcare-Plattform des Erlanger Unternehmens, zur Verfügung.
KI in der Bildgebung
Was KI für die Radiologie leisten kann, skizzierte Professor Dr. Charles Kahn, Jr., stellvertretender Vorsitzender der Radiologischen Fakultät der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, in seinem Vortrag: „Der Wert geht weit über die Erkennung von Anomalien auf Bildern hinaus. Sie wird uns bei allem helfen – von der Auswahl der bildgebenden Verfahren und Protokolle über die Erstellung einer Diagnose bis hin zur Kommunikation dieser Diagnose an unsere überweisenden Kollegen und Patienten.“ So werde sie den Arbeitsablauf und die Effizienz bei der täglichen Arbeit verbessern. „Durch die Automatisierung einiger der sich wiederholenden Aufgaben kann die KI unseren Workflow effizienter gestalten – was der Schlüssel zu einer besseren Patientenversorgung ist“, sagte Kahn.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass jeder Algorithmus qualitativ hochwertige, annotierte Daten zur Entwicklung braucht – und die sind schwer zu bekommen. Aus diesem Grunde sponsert die RSNA mit der jährlichen KI Challenge einen Wettbewerb unter Wissenschaftlern, bei dem es darum geht, Anwendungen zu entwickeln, die eine definierte Aufgabe nach festgelegten Leistungskriterien erfüllt. Jedes Jahr werden Tausende von Ergebnissen gesammelt, kommentiert und in Datensätze umgewandelt. Radiologen und Data Scientists stehen dann vor der Herausforderung, KI-basierte Algorithmen zu entwickeln, um eine spezifische Anomalie innerhalb dieser Datensätze zu erkennen. Nach dem Wettbewerb werden die leistungsfähigsten Algorithmen der Community als Open-Source-Code zur Verfügung gestellt. Unternehmen in Deutschland tun sich hingegen immer noch schwer, eine Datenbasis zu generieren. Viele gehen den Weg der Zusammenarbeit mit Universitäts- oder spezialisierten Kliniken, um an valide Daten zu kommen.
KI in der Krebsprognostik
Wie weit KI bereits ist, zeigten verschiedene Vorträge. Laut Dr. Pritam Mukherjee vom Stanford Center for Biomedical Informatics Research an der Stanford University School of Medicine kann Künstliche Intelligenz helfen vorherzusagen, welche Lungenknötchen potenziell zu Krebs werden. So kann eine angemessene Behandlung der Patienten frühzeitig eingeleitet werden. „CT-Scans haben viele Merkmale, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind“, so Mukherjee. „Durch das Training unseres Algorithmus an fast 1200 Patientenaufnahmen, die positiv auf Lungenknötchen befundet wurden, konnten wir mit einer relativ großen Genauigkeit die Krebswahrscheinlichkeit vorhersagen.“
Das Verfahren beruht auf einem mehrstufigen maschinenlernenden Prozess. Die erste Stufe erkennt Knoten und prognostiziert Malignitätswerte. In der zweiten Phase wird der populäre Algorithmus XGBoost eingesetzt, um die Krebswahrscheinlichkeit anhand der Positionen und Malignitätswerte der Lungenknoten des Patienten vorherzusagen. „Die Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, bei einem Patienten mit Lungenknötchen größer als vier Millimeter, der zu mehreren Zeitpunkten untersucht wurde, zu prognostizieren, ob er in den nächsten Jahren Krebs entwickelt“, erklärte Mukherjee.
Standard für Annotationen
Während die diagnostische Bildgebung das beste Instrument zur Früherkennung von Knochenmetastasen ist, stellen die derzeit verfügbaren bildgebenden Verfahren – Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT), Knochenszintigraphie, Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und PET/CT – oft eine Herausforderung dar. In den vergangenen Jahren hat das Deep Learning (DL) daher an Bedeutung gewonnen. „Im Allgemeinen war die Datenannotation einer der wichtigsten Aspekte der gesamten Entwicklung von Systemen mit DL“, sagte Dr. Saori Koshino von der Graduate School of Medicine der Universität Tokyo. „Trotz dieser Fortschritte gibt es keinen Goldstandard für die Generierung von Annotationen im radiologischen Bereich.“
Um einen solchen Standard zu schaffen, hat die Radiologin einen Algorithmus mit DL zur Früherkennung von Knochenmetastasen aus CT-Daten entwickelt. Sie hat auch untersucht, wie reale Daten für das Training des DL-Algorithmus automatisch aus PET/CT-Datensätzen generiert werden können. Laut Dr. Koshino ist diese Forschung ein wichtiger Schritt zur Nutzung der KI für eine bessere und genauere Detektion von Knochenmetastasen unter Verwendung von CT-Daten.
KI in der Vorhersage von Krankheitskosten
Künstliche Intelligenz kann aber nicht nur der Medizin helfen, sondern auch der Ökonomie. Ein Team um Dr. Jae Ho Sohn vom Department of Radiology and Biomedical Imaging der University of California, San Francisco, hat einen Algorithmus entwickelt, der die zukünftigen Gesundheitsausgaben eines Patienten für fünf Jahre vorhersagen kann. Basis dafür ist die Auswertung von Thoraxröntgenaufnahmen. Mit der Methode soll eine frühzeitige Therapie ermöglicht werden, die zu niedrigeren Kosten und besseren Ergebnissen für die Patienten führt.
Dieser Artikel erschien in kma Klinik Management aktuell Ausgabe 01-02/2020.





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