
Im Streit um aktiv verbreitete Informationen zu einer Sammelklage wegen Atemgeräten des niederländischen Medizintechnikkonzerns Philips in Italien scheinen sich die Kassen durchzusetzen. Per gerichtlicher Verfügung wollte das Unternehmen deutsche gesetzliche Krankenkassen daran hindern, Patienten zur Teilnahme an einer italienischen Sammelklage einzuladen. Philips habe die Verfahren zurückgezogen, meldet nun der AOK-Bundesverband.
Kurz vor dem Ende der Deadline am 31. Dezember haben sich nach Angeben des AOK-Bundesverbands 20 000 Betroffene einer Sammelklage gegen den Medizintechnikhersteller Philips angeschlossen. Der Prozess sei noch am Laufen, sagt ein Sprecher, täglich könnten neue Versicherte hinzukommen.
Rund 30 000 Klagewillige
Nach online veröffentlichten Informationen der auf Medizinrecht spezialisierten Kanzlei Hemmerich & Rohde haben sich sogar 30 000 Klagewillige registriert. Die Juristen hatten extra eine Website zur Registrierung aufgebaut.
Weil das Klage-Procedere dort einfacher ist, sollen sich die deutschen Patienten einer Sammelklage in Italien anschließen. In Frage kommen gesetzlich Versicherte, die ein potenziell schadhaftes Beatmungsgerät von Philips Respironics genutzt haben, informiert der AOK-Bundesverband.
Hintergrund ist der Skandal um Philips-Beatmungsgeräte, der den niederländischen Konzern vor drei Jahren schwer mitgenommen hat. In den Geräten sei laut Hersteller ein Schaumstoff verbaut worden, der sich zersetzen und bei Einatmung Gesundheitsschäden hervorrufen könne, schreibt der AOK -Bundesverband in seiner Mitteilung: demnach könne auch ein toxisches oder karzinogenes Risiko nicht ausgeschlossen werden.
Mehr als fünf Millionen Patienten weltweit waren seinerzeit betroffen, davon etwa 1,2 Millionen in Europa. Es war bislang offenbar einer der größten Rückrufe eines Medizinproduktes europaweit. In Italien hatte im Juli eine Verbraucherschutz-Organisation zusammen mit einem Verband mehrerer Anwaltskanzleien die erste europaweite Sammelklage eingereicht.
Das Debakel um den millionenfachen Rückruf hatte Philips hart getroffen. Im April 2024 schlossen die Niederländer in den USA eine Vereinbarung über 1,1 Milliarden Dollar zur Beilegung aller Klagen wegen Personenschäden ab. An dem Rechtsstreit in den USA waren mehr als 50 000 Kläger beteiligt, von denen jedoch nicht alle die Bedingungen des Vergleichs erfüllten.
Kassen informieren ihre Versicherten – Philips empört
Deutsche Geschädigte könnten nun über die Klage in Italien zu Schadenersatz kommen, hoffen die Kassen. Denn dort sind die Hürden für eine Sammelklage niedriger als in Deutschland. Für eine Teilnahme als Kläger ist es ausreichend, dass die betroffenen Versicherten belegen, mit einem Gerät aus dem Rückruf versorgt worden zu sein. In Deutschland müssten sie dagegen nachweisen, dass sie konkret durch dieses Gerät geschädigt wurden, was zumeist sehr schwierig ist. Die Kassen argumentieren, dass es deutschen Patienten unverhältnismäßig schwer gemacht werde, Ansprüche geltend zu machen.
In einem Anschreiben hatten AOK und andere gesetzliche Kassen potenziell Geschädigte persönlich angeschrieben und sie auf die Klagemöglichkeit in Italien hingewiesen. Auch die Bermer habe rund 20 000 Versicherte, die ein Gerät der mangelhaften Serie genutzt haben, über einen möglichen Schmerzensgeldanspruch und die Klagemöglichkeit informiert. Im Erfolgsfall werde ein Schmerzensgeld an die Versicherten ausgezahlt.
Die Barmer bot zudem ihren Versicherten in Zusammenarbeit mit der Kanzlei Hemmerich & Rohde die Möglichkeit, sich anzuschließen. Betroffene könnten Ansprüche anmelden, ohne finanzielle Aufwände fürchten zu müssen. Die Teilnahme an der Sammelklage verhindere eine Verjährung möglicher Ansprüche zum 31.Dezember.
Der ungewöhnliche Schritt der Krankenkassen, ihren Patienten aktiv über die Möglichkeiten einer Klage zu informieren, noch dazu im Ausland, empört den Hersteller Philips. Der Konzern hat dem Vernehmen nach eine große US-Kanzlei ins Rennen geschickt.
Verfahren zur Unterlassung ohne Erfolg
Beim Sozialgericht München gingen nach Angaben des Gerichts am 31. Oktober zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein. Den Kassen sollte damit offenbar untersagt werden, weitere ähnliche Schreiben an ihre Patienten zu schicken. Am 20. November war nach Auskunft des Gerichts noch ein Antrag anhängig. „Ein weiterer Antrag hat sich unstreitig erledigt“, erklärte die Richterin Birgitta Gaa-Unterpaul. Dagegen ist die Sache für den AOK-Bundesverband offenbar vom Tisch: „Die Verfahren waren nicht erfolgreich und wurden von Philips zurückgezogen“, schreibt ein Sprecher auf Anfrage.







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