Als 1981 beim damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Schrittmacher eingesetzt wurde, galt das noch als Pioniertat. Schmidts erster Schrittmacher war noch so groß wie eine Zigarettenschachtel und tickte, wie er in einem Zeit-Interview launig beschrieb, wie eine Standuhr. 2015 bekam der mittlerweile verstorbene Exkanzler dann die fünfte Schrittmacher-Generation eingesetzt.
Allein in Deutschland pflanzen Kardiologen jedes Jahr 75.000 Herzschrittmacher und fast 30.000 Herz-Defibrillatoren neu ein. Die jüngste Gerätegeneration überträgt dabei immer häufiger Messwerte von Patienten drahtlos an den Kardiologen.
Seit dem vergangenen Jahr werden in Deutschland Herzschrittmacher implantiert, die die Größe einer Vitamintablette haben und ein Zehntel so groß wie herkömmliche Produkte sind. Für den Patienten ergeben sich dadurch Vorteile wie beispielsweise kürzere OP-Zeiten, gemindertes Infektionsrisiko und besserer Tragekomfort. So hat der Reveal LINQ, ein implantierbares EKG, die Größe von drei Streichhölzern. Außerdem bietet der Herzschrittmacher-Spezialist Medtronic die Kardiokapsel Micra an, einen Einkammer-Herzschrittmacher, der ungefähr so groß ist wie eine Vitamintablette.
Der Reveal LINQ wird per 1-cm-Schnitt über der linken Brust mittels eines kurzen Eingriffs unter die Haut geschoben, die Kardiokapsel Micra über einen Katheter durch die Leistenvene in der Herzspitze platziert. Die Batteriedauer der lebensrettenden Implantate ist recht langlebig (LINQ drei Jahre und Micra zehn Jahre). Angeschlossen hat sie Medtronic an das weltweit einsetzbare MyCareLink-Netzwerk zur telemedizinischen Überwachung des Patienten, das mit allen gängigen Mobilfunknetzen arbeitet.
Siegeszug der Medizintechnik
Die Entwicklung des Herzschrittmachers ist ein Paradebeispiel für den Siegeszug der Medizintechnik in vielen Bereichen, von der Dialysetechnik über die Herz-Lungen-Maschine bis hin zur immer mehr verfeinerten Strahlentechnik. So produzieren die Geräte des Nürnberger Medizintechnik-Herstellers Ziehm Imaging weniger Röntgenstrahlen und gleichzeitig bessere Bilder. Gebrochene Knochen, verstopfte Blutgefäße, verschlissene Gelenke: All das kann man auf den Bildern in 65.000 Graustufen gut erkennen. Der Mittelständler stellt mobile Röntgengeräte, sogenannte C-Bögen, für Kliniken in aller Welt her. Sie heißen so wegen des Bogens, der Röntgenquelle und Röntgenempfänger (den „Detektor“) verbindet.
Dank digitaler Technik liefern die fahrbaren Apparate immer genauere Bilder, in 3-D, noch während der Operation. Wenige Sekunden reichen mittlerweile zum Durchleuchten des Körpers von allen Seiten. Ein Rechenprogramm setzt die Aufnahmen dann zu einem Rundum-Bild zusammen. Spezielle Blenden lenken den Röntgenstrahl auf jene Stellen im Körper, die der Arzt genauer sehen muss. „Dadurch wird die Strahlenbelastung erheblich verringert“, erklärt Martin Ringholz, internationaler Marketingleiter bei Ziehm Imaging.
Pro Jahr verkauft Ziehm rund 1.000 C-Bögen, zwei von drei Geräten gehen ins Ausland. Die Nürnberger setzen dabei auf Flachdetektoren statt wie bisher auf Röhrentechnologie. Das verhindert Verzerrungen insbesondere am Bildrand. Die Technik macht selbst komplizierte Eingriffe an Wirbeln und am Herzen ein gutes Stück sicherer. Der Operateur kann jeden Arbeitsschritt auf dem Monitor kontrollieren und korrigieren. Er sieht etwa sofort, ob eine Schraube im Knochen oder eine künstliche Herzklappe richtig sitzt. „In der Medizin wird die digitale Bildgebung im OP immer wichtiger“, erläutert Ringholz. „Ohne sie wäre mancher Eingriff gar nicht möglich.“
Intraoperative Bildgebung
Weil die Röntgentechnik beim Blick in den Körper hilft, sind oft nur noch kleine oder gar keine Schnitte mehr erforderlich. Das bedeutet gleichzeitig weniger Schmerzen. „Der Trend zur minimalinvasiven Chirurgie erhöht auch den Bedarf an intraoperativer Bildgebung. 3D-C-Bögen erlauben es dabei, noch im OP Aufnahmen bereitzustellen, die an die Qualität der Schnittbilder von Computertomografen herankommen, beschreibt Ringholz die Vorteile der Technik.
Chirurgen und Patienten profitieren gleichermaßen von der Digitalisierung des OP. Hybrid-Operationssäle, in deren sterilen Bereichen bildgebende Geräte stehen, die sonst in der Radiologie zu finden sind, ermöglichen nicht nur risikoarme, schonende Eingriffe, sondern gleichzeitig steigt auch die Effizienz.
Hybrid-Operationssäle sind allerdings teuer. Es müsse jedoch nicht immer der voll ausgestattete Hochleistungs-OP sein, auch kleinere Krankenhäuser, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, einen vollausgestatteten Hybrid-OP einzurichten, könnten von der Digitalisierung profitieren, meint Ringholz. So biete Ziehm Imaging beispielsweise mobile Bildgebungslösungen an, die es ermöglichen, eine Vielzahl komplexer Eingriffe zu unterstützen, die zuvor nur von Festanlagen geleistet werden konnten.
Deutsche Erfinder sind besonders ideenreich
Millionen Menschen profitieren heute von den Segnungen einer Medizintechnik, die Anfang der sechziger Jahre ihren Siegeszug begann. Nach Angaben des Europäischen Patentamtes in München führen Medizintechnologien die Liste der Technologiebereiche mit 12.474 weltweiten Patentanträgen auch 2015 weiter an – vor der digitalen Kommunikation (10.762 Anmeldungen) und vor der Computertechnik (10.549). Die Zahl der MedTech-Patentanmeldungen stieg dabei gegenüber dem Vorjahr nochmals um elf Prozent.
Unternehmen und Erfinder aus Deutschland zeigten sich im EU-Ländervergleich als besonders ideenreich: Zwölf Prozent der Anmeldungen stammten von dort. Erst mit großem Abstand folgen andere europäische Nationen – wie die Niederlande mit sechs Prozent oder Frankreich mit vier Prozent der Anmeldungen. Top-Inovatoren in der Medtech-Branche sind laut EPA-Statistik mit 712 Anmeldungen die Unternehmen Philips vor Johnson and Johnson (497) und Medtronic (411).
Die große Zahl der Patentanmeldungen hänge auch damit zusammen, dass sich in den letzten Jahren die Anforderungen an die Branche komplett verändert haben, analysiert Peter Vullinghs, CEO bei Philips für Deutschland Österreich und die Schweiz. Denn in den Krankenhäusern kümmere sich immer weniger Pflegepersonal um die Patienten. „Deshalb müssen wir in Zukunft integriert arbeiten, um das Gesundheitssystem wieder wirtschaftlich zu machen“, sagt Vullinghs. Der Gesundheitsmarkt der Zukunft sei digital. Und die Digitalisierung könne und werde dabei helfen, die Kosten für eine immer älter werdende Gesellschaft zu begrenzen.


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