Der digitale Wandel in der Medizintechnikbranche scheint allerdings noch Anlaufschwierigkeiten zu haben: Nur knapp ein Viertel der Unternehmen fühlt sich gut auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet. Nicht einmal 30 Prozent investieren mehr als 2,5 Prozent ihres Umsatzes in Projekte zur Digitalisierung. So lautet das Ergebnis der Studie Gesundheit 4.0, an der 200 deutsche Medizintechnikunternehmen teilgenommen haben. Diese sehen die größten Chancen der Digitalisierung in verkürzten Entwicklungszeiten neuer Produkte und Dienstleistungen und einer verbesserten Produktivität. Auch die Bereiche Vertrieb und Services könnten stark profitieren. Einig sind sich die Unternehmer bei der Frage, welche digitale Anwendung das größte Potenzial verspricht. Die einhellige Antwort lautet: die elektronische Patientenakte als zentrale Schnittstelle zum Patienten.
Drei Fragen an Marcus Kuhlmann, Leiter Medizintechnik bei Spectaris
Worauf führen Sie die derzeitige positive Entwicklung der Umsatzzahlen zurück?
„Zur derzeitigen Umsatzentwicklung tragen einige Sondereffekte bei. Asien investiert derzeit sehr stark in den Ausbau seiner Gesundheitssysteme. Die Handelsstreitigkeiten zwischen USA und China führen zu vorgezogenen Medizintechnikkäufen – die deutschen Medizintechnikausfuhren nach China legten um 12 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
Sowie Trump einen Tweet loslässt, gehen bei vielen die Verkaufszahlen hoch, weil alle Angst haben, der könnte mal Ernst machen. Das ist kein schöner Zustand, ein Unternehmen braucht Planungssicherheit. Auch im Vereinigten Königreich beobachten wir Hamsterkäufe, dort angesichts des Brexits. Unabhängig davon sind vorgezogene Medizintechnikkäufe, um einen möglichen Versorgungsengpass aufgrund der Auswirkungen der neuen europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR), nicht auszuschließen. Das wirkt sich zwar momentan positiv auf die Umsätze aus, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die MDR schon bald negativ auf die wirtschaftliche Situation der Medtech-Unternehmen auswirken könnte.“
Müssen die Kliniken Lieferengpässe befürchten?
„Die Stimmung in der Medizintechnikbranche ist insbesondere im Hinblick auf die MDR sehr kritisch. Tausende Medizinprodukte verlieren ihre Zulassung und müssen nach MDR neu zertifiziert werden. Da auch die Benannten Stellen neu zertifiziert werden müssen, ist ein Flaschenhals zu befürchten: So sind erst sieben Benannte Stellen für die MDR neu notifiziert. Zum Vergleich: Im Mai dieses Jahres gab es 58 benannte Stellen, die nach der alten Medizinprodukterichtlinie (Medical Device Directive, MDD) Medizinprodukte zertifizieren konnten.“
Was ist in Ihren Augen erforderlich, um Lieferengpässe abzuwenden?
„Die zur Umsetzung der MDR notwendige Infrastruktur – ausreichende Anzahl an Benannten Stellen samt eines zügigen Ausbaus der Kapazitäten der Benannten Stellen – muss voll funktionsfähig sein. Dazu zählt auch die Eudamed-Datenbank (Anm. d. Red.: Ab Mai 2020 müssen sämtlich Medizinprodukte an die Eudamed-Datenbank gemeldet werden. Ihre Fertigstellung ist allerdings erst für Mai 2022 angekündigt.). Insbesondere muss die EU-Kommission endlich die Leitfäden erarbeiten und veröffentlichen, in denen beschrieben wird, wie die Anforderungen aus der MDR konkret umzusetzen sind.“
Das Interview führte Jana Ehrhardt-Joswig.





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